lein sie sind darinn in so dunkeln und zweydeu- tigen Ausdrücken abgefaßt, daß die Richter sie auslegen, wie sie wollen, und ihnen oft einen ganz sonderbaren Sinn geben. Dieß Buch ist weiter nichts, als eine Sammlung von Urthei- len, und Meynungen ihrer vornehmsten Ge- richtspersonen und Rechtsgelehrten über die ungewöhnlichsten und am meisten streitigen Fälle. -- Ihr großes Gesetzbuch ist der Ko- ran; sie nehmen zu demselben zuerst ihre Zuflucht. Wenn sie aber keine deutliche und genaue Entscheidung über den streitigen Fall in demselben vorfinden; so wenden sie sich zu dem Buche der Reden und Thaten Mo- hammeds, hernach zu dem Buche der Re- den und Thaten Imans, und endlich zu dem vorhingenannten Gesetzbuche.
Das bürgerliche Recht theilt sich gegenwär- tig in Cheray und Ourf. Diese Einthei- lungsart ist sehr zu merken. Cheray ist das bürgerliche Gesetz, welches sich auf den Koran und die Commentarien, welche über denselben von den zwölf ersten Nachfolgern Mohammeds gemacht sind, gründet. Ourf bedeutet ei- gentlich Gewalt, Stärke. Der Name Ourf kommt daher, weil das Gericht Ourf bloß von der Autorität des Königs abhängt. Die schein- heiligen Perser, und überhaupt die Geistlich- keit, sehen das Ourf als eine Art von Tyran- ney an; sie schreyen, und beklagen sich immer über dasselbe. Und doch, wenn man es recht
besieht,
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lein ſie ſind darinn in ſo dunkeln und zweydeu- tigen Ausdruͤcken abgefaßt, daß die Richter ſie auslegen, wie ſie wollen, und ihnen oft einen ganz ſonderbaren Sinn geben. Dieß Buch iſt weiter nichts, als eine Sammlung von Urthei- len, und Meynungen ihrer vornehmſten Ge- richtsperſonen und Rechtsgelehrten uͤber die ungewoͤhnlichſten und am meiſten ſtreitigen Faͤlle. — Ihr großes Geſetzbuch iſt der Ko- ran; ſie nehmen zu demſelben zuerſt ihre Zuflucht. Wenn ſie aber keine deutliche und genaue Entſcheidung uͤber den ſtreitigen Fall in demſelben vorfinden; ſo wenden ſie ſich zu dem Buche der Reden und Thaten Mo- hammeds, hernach zu dem Buche der Re- den und Thaten Imans, und endlich zu dem vorhingenannten Geſetzbuche.
Das buͤrgerliche Recht theilt ſich gegenwaͤr- tig in Cheray und Ourf. Dieſe Einthei- lungsart iſt ſehr zu merken. Cheray iſt das buͤrgerliche Geſetz, welches ſich auf den Koran und die Commentarien, welche uͤber denſelben von den zwoͤlf erſten Nachfolgern Mohammeds gemacht ſind, gruͤndet. Ourf bedeutet ei- gentlich Gewalt, Staͤrke. Der Name Ourf kommt daher, weil das Gericht Ourf bloß von der Autoritaͤt des Koͤnigs abhaͤngt. Die ſchein- heiligen Perſer, und uͤberhaupt die Geiſtlich- keit, ſehen das Ourf als eine Art von Tyran- ney an; ſie ſchreyen, und beklagen ſich immer uͤber daſſelbe. Und doch, wenn man es recht
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lein ſie ſind darinn in ſo dunkeln und zweydeu-
tigen Ausdruͤcken abgefaßt, daß die Richter ſie
auslegen, wie ſie wollen, und ihnen oft einen
ganz ſonderbaren Sinn geben. Dieß Buch iſt
weiter nichts, als eine Sammlung von Urthei-
len, und Meynungen ihrer vornehmſten Ge-
richtsperſonen und Rechtsgelehrten uͤber die
ungewoͤhnlichſten und am meiſten ſtreitigen
Faͤlle. — Ihr großes Geſetzbuch iſt der Ko-
ran; ſie nehmen zu demſelben zuerſt ihre
Zuflucht. Wenn ſie aber keine deutliche
und genaue Entſcheidung uͤber den ſtreitigen
Fall in demſelben vorfinden; ſo wenden ſie ſich
zu dem Buche der Reden und Thaten Mo-
hammeds, hernach zu dem Buche der Re-
den und Thaten Imans, und endlich zu
dem vorhingenannten Geſetzbuche.
Das buͤrgerliche Recht theilt ſich gegenwaͤr-
tig in Cheray und Ourf. Dieſe Einthei-
lungsart iſt ſehr zu merken. Cheray iſt das
buͤrgerliche Geſetz, welches ſich auf den Koran
und die Commentarien, welche uͤber denſelben
von den zwoͤlf erſten Nachfolgern Mohammeds
gemacht ſind, gruͤndet. Ourf bedeutet ei-
gentlich Gewalt, Staͤrke. Der Name Ourf
kommt daher, weil das Gericht Ourf bloß von
der Autoritaͤt des Koͤnigs abhaͤngt. Die ſchein-
heiligen Perſer, und uͤberhaupt die Geiſtlich-
keit, ſehen das Ourf als eine Art von Tyran-
ney an; ſie ſchreyen, und beklagen ſich immer
uͤber daſſelbe. Und doch, wenn man es recht
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/157>, abgerufen am 16.02.2025.
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