Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

konnte, und daher eine Erklärung mancher
Sätze sehnlich wünschte. Dieß Geschäfft über-
nahmen Abubeker und Aly, zwey sehr vertrau-
te Freunde des Mohammeds. Allein sie konn-
ten mit der Erklärung des Gesetzbuchs eben so
wenig einig werden, wie über das Recht der
Nachfolge. Ein jeder gab seine Erklärung:
und ein jeder erhielt auch seine Anhänger.
Daraus entstanden denn die zwey berühmten
Secten des Mohammedanismus, wovon die
eine Chias und die audre Sunni heißt. Die
erste hat ihre Anhänger sonderlich in Persien:
die andere aber hat sich weiter ausgedehnt,
denn die Türken, Tatern und indianischen Mo-
guln bekennen sich alle zu ihr. Beyde Secten
aber haben noch verschiedene Unterabtheilun-
gen, wie das fast in den meisten Religio-
nen ist.

Die Türken halten den Abubeker, Omar
und Osman für die rechtmäßigen Nachfolger
Mohammeds, für gute und heilige Fürsten,
und die Auslegungen derselben einzig und al-
lein für die wahre. Den Aly hingegen verflu-
chen sie bey jeder Gelegenheit, und halten ihn
für einen ungerechten Usurpateur und Verdre-
her der Gesetze Mohammeds. *)

Die
*) Der Haß der Türken gegen die Perser rührt
allein von dieser Trennung her. Weil jene die-
se für unheilig halten; so können sie ihnen auch
die

konnte, und daher eine Erklaͤrung mancher
Saͤtze ſehnlich wuͤnſchte. Dieß Geſchaͤfft uͤber-
nahmen Abubeker und Aly, zwey ſehr vertrau-
te Freunde des Mohammeds. Allein ſie konn-
ten mit der Erklaͤrung des Geſetzbuchs eben ſo
wenig einig werden, wie uͤber das Recht der
Nachfolge. Ein jeder gab ſeine Erklaͤrung:
und ein jeder erhielt auch ſeine Anhaͤnger.
Daraus entſtanden denn die zwey beruͤhmten
Secten des Mohammedanismus, wovon die
eine Chias und die audre Sunni heißt. Die
erſte hat ihre Anhaͤnger ſonderlich in Perſien:
die andere aber hat ſich weiter ausgedehnt,
denn die Tuͤrken, Tatern und indianiſchen Mo-
guln bekennen ſich alle zu ihr. Beyde Secten
aber haben noch verſchiedene Unterabtheilun-
gen, wie das faſt in den meiſten Religio-
nen iſt.

Die Tuͤrken halten den Abubeker, Omar
und Osman fuͤr die rechtmaͤßigen Nachfolger
Mohammeds, fuͤr gute und heilige Fuͤrſten,
und die Auslegungen derſelben einzig und al-
lein fuͤr die wahre. Den Aly hingegen verflu-
chen ſie bey jeder Gelegenheit, und halten ihn
fuͤr einen ungerechten Uſurpateur und Verdre-
her der Geſetze Mohammeds. *)

Die
*) Der Haß der Tuͤrken gegen die Perſer ruͤhrt
allein von dieſer Trennung her. Weil jene die-
ſe fuͤr unheilig halten; ſo koͤnnen ſie ihnen auch
die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0194" n="174"/>
konnte, und daher eine Erkla&#x0364;rung mancher<lb/>
Sa&#x0364;tze &#x017F;ehnlich wu&#x0364;n&#x017F;chte. Dieß Ge&#x017F;cha&#x0364;fft u&#x0364;ber-<lb/>
nahmen <hi rendition="#fr">Abubeker</hi> und <hi rendition="#fr">Aly</hi>, zwey &#x017F;ehr vertrau-<lb/>
te Freunde des Mohammeds. Allein &#x017F;ie konn-<lb/>
ten mit der Erkla&#x0364;rung des Ge&#x017F;etzbuchs eben &#x017F;o<lb/>
wenig einig werden, wie u&#x0364;ber das Recht der<lb/>
Nachfolge. Ein jeder gab &#x017F;eine Erkla&#x0364;rung:<lb/>
und ein jeder erhielt auch &#x017F;eine Anha&#x0364;nger.<lb/>
Daraus ent&#x017F;tanden denn die zwey beru&#x0364;hmten<lb/>
Secten des Mohammedanismus, wovon die<lb/>
eine <hi rendition="#fr">Chias</hi> und die audre <hi rendition="#fr">Sunni</hi> heißt. Die<lb/>
er&#x017F;te hat ihre Anha&#x0364;nger &#x017F;onderlich in Per&#x017F;ien:<lb/>
die andere aber hat &#x017F;ich weiter ausgedehnt,<lb/>
denn die Tu&#x0364;rken, Tatern und indiani&#x017F;chen Mo-<lb/>
guln bekennen &#x017F;ich alle zu ihr. Beyde Secten<lb/>
aber haben noch ver&#x017F;chiedene Unterabtheilun-<lb/>
gen, wie das fa&#x017F;t in den mei&#x017F;ten Religio-<lb/>
nen i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Die Tu&#x0364;rken halten den Abubeker, Omar<lb/>
und Osman fu&#x0364;r die rechtma&#x0364;ßigen Nachfolger<lb/>
Mohammeds, fu&#x0364;r gute und heilige Fu&#x0364;r&#x017F;ten,<lb/>
und die Auslegungen der&#x017F;elben einzig und al-<lb/>
lein fu&#x0364;r die wahre. Den Aly hingegen verflu-<lb/>
chen &#x017F;ie bey jeder Gelegenheit, und halten ihn<lb/>
fu&#x0364;r einen ungerechten U&#x017F;urpateur und Verdre-<lb/>
her der Ge&#x017F;etze Mohammeds. <note xml:id="seg2pn_7_1" next="#seg2pn_7_2" place="foot" n="*)">Der Haß der Tu&#x0364;rken gegen die Per&#x017F;er ru&#x0364;hrt<lb/>
allein von die&#x017F;er Trennung her. Weil jene die-<lb/>
&#x017F;e fu&#x0364;r unheilig halten; &#x017F;o ko&#x0364;nnen &#x017F;ie ihnen auch<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw></note></p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0194] konnte, und daher eine Erklaͤrung mancher Saͤtze ſehnlich wuͤnſchte. Dieß Geſchaͤfft uͤber- nahmen Abubeker und Aly, zwey ſehr vertrau- te Freunde des Mohammeds. Allein ſie konn- ten mit der Erklaͤrung des Geſetzbuchs eben ſo wenig einig werden, wie uͤber das Recht der Nachfolge. Ein jeder gab ſeine Erklaͤrung: und ein jeder erhielt auch ſeine Anhaͤnger. Daraus entſtanden denn die zwey beruͤhmten Secten des Mohammedanismus, wovon die eine Chias und die audre Sunni heißt. Die erſte hat ihre Anhaͤnger ſonderlich in Perſien: die andere aber hat ſich weiter ausgedehnt, denn die Tuͤrken, Tatern und indianiſchen Mo- guln bekennen ſich alle zu ihr. Beyde Secten aber haben noch verſchiedene Unterabtheilun- gen, wie das faſt in den meiſten Religio- nen iſt. Die Tuͤrken halten den Abubeker, Omar und Osman fuͤr die rechtmaͤßigen Nachfolger Mohammeds, fuͤr gute und heilige Fuͤrſten, und die Auslegungen derſelben einzig und al- lein fuͤr die wahre. Den Aly hingegen verflu- chen ſie bey jeder Gelegenheit, und halten ihn fuͤr einen ungerechten Uſurpateur und Verdre- her der Geſetze Mohammeds. *) Die *) Der Haß der Tuͤrken gegen die Perſer ruͤhrt allein von dieſer Trennung her. Weil jene die- ſe fuͤr unheilig halten; ſo koͤnnen ſie ihnen auch die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/194
Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/194>, abgerufen am 21.11.2024.