Dichtkunst mit der Europäer ihrer gar nicht könne verglichen werden. Es fehlt ihren Ge- dichten an kühnen Metaphern, erhabenen Ge- danken und rührenden Gemählden. Man könn- te sie vielleicht nicht ganz unschicklich für Son- netten und Epigrammate halten, deren Schön- heit hauptsächlich nur in ungleicher Länge der Verse und Wahl der Wörter bestehet. -- Außer der gereimten Poesie, dichten sie auch ohne Reime, die bloß in Antithesen der Ge- danken bestehen, so, daß wenn sich der erste Gedanke auf den Herbst bezieht, der andere auf den Frühling anspielt. -- Ihre dramatischen Aufsätze sind hauptsächlich darauf eingerichtet, um die Tugend anzupreisen und das Laster ver- ächtlich zu machen. Sonst haben ihre drama- tischen Vorstellungen wenig Erhabenes und fast gar nichts Heroisches. Wenn sie z. E. ihren Zuhörern bey dramatischen Vorstellungen den Charakter der Person bekannt machen; so thun sie dieß nicht unvermerkt, sondern ein je- der Acteur erzählt, so bald er aufs Theater kommt, wer er ist, was er für ein Freund oder Feind dieses oder jenes ist u. s. w. Du Halde hat im 2 Th. S. 140. u. f. hiervon ei- ne umständliche Nachricht gegeben, wohin wir den Leser, wenn er mehr zu wissen begehrt, ver- weisen wollen.
Man muß es den Chinesern zum Ruhme gestehen, daß sie sich um die Historie, sonder- lich um die Geschichte ihres Vaterlandes, sehr
be-
Dichtkunſt mit der Europaͤer ihrer gar nicht koͤnne verglichen werden. Es fehlt ihren Ge- dichten an kuͤhnen Metaphern, erhabenen Ge- danken und ruͤhrenden Gemaͤhlden. Man koͤnn- te ſie vielleicht nicht ganz unſchicklich fuͤr Son- netten und Epigrammate halten, deren Schoͤn- heit hauptſaͤchlich nur in ungleicher Laͤnge der Verſe und Wahl der Woͤrter beſtehet. — Außer der gereimten Poeſie, dichten ſie auch ohne Reime, die bloß in Antitheſen der Ge- danken beſtehen, ſo, daß wenn ſich der erſte Gedanke auf den Herbſt bezieht, der andere auf den Fruͤhling anſpielt. — Ihre dramatiſchen Aufſaͤtze ſind hauptſaͤchlich darauf eingerichtet, um die Tugend anzupreiſen und das Laſter ver- aͤchtlich zu machen. Sonſt haben ihre drama- tiſchen Vorſtellungen wenig Erhabenes und faſt gar nichts Heroiſches. Wenn ſie z. E. ihren Zuhoͤrern bey dramatiſchen Vorſtellungen den Charakter der Perſon bekannt machen; ſo thun ſie dieß nicht unvermerkt, ſondern ein je- der Acteur erzaͤhlt, ſo bald er aufs Theater kommt, wer er iſt, was er fuͤr ein Freund oder Feind dieſes oder jenes iſt u. ſ. w. Du Halde hat im 2 Th. S. 140. u. f. hiervon ei- ne umſtaͤndliche Nachricht gegeben, wohin wir den Leſer, wenn er mehr zu wiſſen begehrt, ver- weiſen wollen.
Man muß es den Chineſern zum Ruhme geſtehen, daß ſie ſich um die Hiſtorie, ſonder- lich um die Geſchichte ihres Vaterlandes, ſehr
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Dichtkunſt mit der Europaͤer ihrer gar nicht
koͤnne verglichen werden. Es fehlt ihren Ge-
dichten an kuͤhnen Metaphern, erhabenen Ge-
danken und ruͤhrenden Gemaͤhlden. Man koͤnn-
te ſie vielleicht nicht ganz unſchicklich fuͤr Son-
netten und Epigrammate halten, deren Schoͤn-
heit hauptſaͤchlich nur in ungleicher Laͤnge der
Verſe und Wahl der Woͤrter beſtehet. —
Außer der gereimten Poeſie, dichten ſie auch
ohne Reime, die bloß in Antitheſen der Ge-
danken beſtehen, ſo, daß wenn ſich der erſte
Gedanke auf den Herbſt bezieht, der andere auf
den Fruͤhling anſpielt. — Ihre dramatiſchen
Aufſaͤtze ſind hauptſaͤchlich darauf eingerichtet,
um die Tugend anzupreiſen und das Laſter ver-
aͤchtlich zu machen. Sonſt haben ihre drama-
tiſchen Vorſtellungen wenig Erhabenes und faſt
gar nichts Heroiſches. Wenn ſie z. E. ihren
Zuhoͤrern bey dramatiſchen Vorſtellungen den
Charakter der Perſon bekannt machen; ſo
thun ſie dieß nicht unvermerkt, ſondern ein je-
der Acteur erzaͤhlt, ſo bald er aufs Theater
kommt, wer er iſt, was er fuͤr ein Freund
oder Feind dieſes oder jenes iſt u. ſ. w. Du
Halde hat im 2 Th. S. 140. u. f. hiervon ei-
ne umſtaͤndliche Nachricht gegeben, wohin wir
den Leſer, wenn er mehr zu wiſſen begehrt, ver-
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Man muß es den Chineſern zum Ruhme
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/238>, abgerufen am 22.11.2024.
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