Sohn darf gegen seinen Vater nicht anders ge- richtlich verfahren, als mit Einstimmung und Erlaubniß aller seiner Verwandten und seiner Obrigkeit: auch wird nie eine Bittschrift wider den Vater angenommen, außer wenn sie vom Großvater unterschrieben ist; und findet man in selbiger auch nur den geringsten Ungrund; so kann er sich einer Todesstrafe vergewissert hal- ten. -- Ein Vater aber, der über den Unge- horsam seines Sohns zu klagen hat, braucht seine Klage nicht förmlich anzubringen. Soll- te sichs ereignen, daß der Sohn seines Vaters gespottet, auch wohl gar sich erdreistet, gewal- tig seinen Vater anzugreifen und ihn zu tödten; so verbreitet sich Furcht und Schrecken in der ganzen Provinz aus, worinn sich der Fall zu- getragen hat. Alle seine Verwandte werden gestraft, oder wenigstens doch hart bedrohet, daß sie es zugegeben haben, ein solches Unge- heuer unter sich zu dulden. Alle Mandarinen werden in dem Bezierk, wo sich der Vatermord zugetragen hat, ihrer Aemter entsetzt. Es wird öffentlich erklärt: daß die Mandarinen an der That Schuld wären, weil sie über die Erhaltung guter Sitten nicht genug gewacht hätten. Der Uebelthä- ter würde bis zu dieser Schandthat nicht gekommen seyn, wenn ihm bey Zeiten sein wildes und ungestümes Wesen benommen und seine Laster bestraft wären. Das Urtheil, daß über einen solchen ungerathenen
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Sohn darf gegen ſeinen Vater nicht anders ge- richtlich verfahren, als mit Einſtimmung und Erlaubniß aller ſeiner Verwandten und ſeiner Obrigkeit: auch wird nie eine Bittſchrift wider den Vater angenommen, außer wenn ſie vom Großvater unterſchrieben iſt; und findet man in ſelbiger auch nur den geringſten Ungrund; ſo kann er ſich einer Todesſtrafe vergewiſſert hal- ten. — Ein Vater aber, der uͤber den Unge- horſam ſeines Sohns zu klagen hat, braucht ſeine Klage nicht foͤrmlich anzubringen. Soll- te ſichs ereignen, daß der Sohn ſeines Vaters geſpottet, auch wohl gar ſich erdreiſtet, gewal- tig ſeinen Vater anzugreifen und ihn zu toͤdten; ſo verbreitet ſich Furcht und Schrecken in der ganzen Provinz aus, worinn ſich der Fall zu- getragen hat. Alle ſeine Verwandte werden geſtraft, oder wenigſtens doch hart bedrohet, daß ſie es zugegeben haben, ein ſolches Unge- heuer unter ſich zu dulden. Alle Mandarinen werden in dem Bezierk, wo ſich der Vatermord zugetragen hat, ihrer Aemter entſetzt. Es wird oͤffentlich erklaͤrt: daß die Mandarinen an der That Schuld waͤren, weil ſie uͤber die Erhaltung guter Sitten nicht genug gewacht haͤtten. Der Uebelthaͤ- ter wuͤrde bis zu dieſer Schandthat nicht gekommen ſeyn, wenn ihm bey Zeiten ſein wildes und ungeſtuͤmes Weſen benommen und ſeine Laſter beſtraft waͤren. Das Urtheil, daß uͤber einen ſolchen ungerathenen
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Sohn darf gegen ſeinen Vater nicht anders ge-
richtlich verfahren, als mit Einſtimmung und
Erlaubniß aller ſeiner Verwandten und ſeiner
Obrigkeit: auch wird nie eine Bittſchrift wider
den Vater angenommen, außer wenn ſie vom
Großvater unterſchrieben iſt; und findet man
in ſelbiger auch nur den geringſten Ungrund;
ſo kann er ſich einer Todesſtrafe vergewiſſert hal-
ten. — Ein Vater aber, der uͤber den Unge-
horſam ſeines Sohns zu klagen hat, braucht
ſeine Klage nicht foͤrmlich anzubringen. Soll-
te ſichs ereignen, daß der Sohn ſeines Vaters
geſpottet, auch wohl gar ſich erdreiſtet, gewal-
tig ſeinen Vater anzugreifen und ihn zu toͤdten;
ſo verbreitet ſich Furcht und Schrecken in der
ganzen Provinz aus, worinn ſich der Fall zu-
getragen hat. Alle ſeine Verwandte werden
geſtraft, oder wenigſtens doch hart bedrohet,
daß ſie es zugegeben haben, ein ſolches Unge-
heuer unter ſich zu dulden. Alle Mandarinen
werden in dem Bezierk, wo ſich der Vatermord
zugetragen hat, ihrer Aemter entſetzt. Es
wird oͤffentlich erklaͤrt: daß die Mandarinen
an der That Schuld waͤren, weil ſie
uͤber die Erhaltung guter Sitten nicht
genug gewacht haͤtten. Der Uebelthaͤ-
ter wuͤrde bis zu dieſer Schandthat nicht
gekommen ſeyn, wenn ihm bey Zeiten ſein
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und ſeine Laſter beſtraft waͤren. Das
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/293>, abgerufen am 23.11.2024.
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