verschlingen eine gewisse Anzahl davon, und die Probe der Unschuld oder der gerechten Sache ist, wenn man sie bey sich behält. Alle diese Proben werden nicht nur in Gegenwart der Richter, sondern auch des ganzen Volks vor- genommen; und im Fall beyde Partheyen eine Probe mit gleichem Erfolg überstehen, so müs- sen sie noch eine vornehmen. Der König selbst entscheidet die Sachen auf solche Weise. Nur bedient er sich zuweilen noch eines andern Mit- tels. -- Er wirft nemlich beyde Theile den Tygern vor; derjenige, den diese reissende Thie- re einige Augenblicke unangefochten laßen, wird für unschuldig erklärt. Werden sie beyde zer- rissen, so müssen sie auch beyde schuldig gewe- sen seyn. Sie stehen diese Todesstrafe (ver- möge ihrer natürlichen Trägheit und Unempfind- lichkeit) mit solcher Unerschrockenheit aus, daß man es kaum vermuthen sollte, da sie sich sonst im Kriege als schlechte Helden zeigen. *)
Mit der Kriegeskunst sieht es in Siam schlecht aus; und dieß kommt blos daher, weil die Einwohner keine Lust dazu äußern. Ueber-
haupt
*) So viel von der Regierungsart in Siam. Wir haben uns bey diesem Artikel mit Fleis kurz gefaßt, um noch wichtigern Dingen Platz zu laßen. Auch hoffen wir, daß sich der Leser einigen Begrif von der Regierungsart der Sia- mer, aus dem, was wir beygebracht haben, werde machen können.
verſchlingen eine gewiſſe Anzahl davon, und die Probe der Unſchuld oder der gerechten Sache iſt, wenn man ſie bey ſich behaͤlt. Alle dieſe Proben werden nicht nur in Gegenwart der Richter, ſondern auch des ganzen Volks vor- genommen; und im Fall beyde Partheyen eine Probe mit gleichem Erfolg uͤberſtehen, ſo muͤſ- ſen ſie noch eine vornehmen. Der Koͤnig ſelbſt entſcheidet die Sachen auf ſolche Weiſe. Nur bedient er ſich zuweilen noch eines andern Mit- tels. — Er wirft nemlich beyde Theile den Tygern vor; derjenige, den dieſe reiſſende Thie- re einige Augenblicke unangefochten laßen, wird fuͤr unſchuldig erklaͤrt. Werden ſie beyde zer- riſſen, ſo muͤſſen ſie auch beyde ſchuldig gewe- ſen ſeyn. Sie ſtehen dieſe Todesſtrafe (ver- moͤge ihrer natuͤrlichen Traͤgheit und Unempfind- lichkeit) mit ſolcher Unerſchrockenheit aus, daß man es kaum vermuthen ſollte, da ſie ſich ſonſt im Kriege als ſchlechte Helden zeigen. *)
Mit der Kriegeskunſt ſieht es in Siam ſchlecht aus; und dieß kommt blos daher, weil die Einwohner keine Luſt dazu aͤußern. Ueber-
haupt
*) So viel von der Regierungsart in Siam. Wir haben uns bey dieſem Artikel mit Fleis kurz gefaßt, um noch wichtigern Dingen Platz zu laßen. Auch hoffen wir, daß ſich der Leſer einigen Begrif von der Regierungsart der Sia- mer, aus dem, was wir beygebracht haben, werde machen koͤnnen.
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verſchlingen eine gewiſſe Anzahl davon, und die
Probe der Unſchuld oder der gerechten Sache
iſt, wenn man ſie bey ſich behaͤlt. Alle dieſe
Proben werden nicht nur in Gegenwart der
Richter, ſondern auch des ganzen Volks vor-
genommen; und im Fall beyde Partheyen eine
Probe mit gleichem Erfolg uͤberſtehen, ſo muͤſ-
ſen ſie noch eine vornehmen. Der Koͤnig ſelbſt
entſcheidet die Sachen auf ſolche Weiſe. Nur
bedient er ſich zuweilen noch eines andern Mit-
tels. — Er wirft nemlich beyde Theile den
Tygern vor; derjenige, den dieſe reiſſende Thie-
re einige Augenblicke unangefochten laßen, wird
fuͤr unſchuldig erklaͤrt. Werden ſie beyde zer-
riſſen, ſo muͤſſen ſie auch beyde ſchuldig gewe-
ſen ſeyn. Sie ſtehen dieſe Todesſtrafe (ver-
moͤge ihrer natuͤrlichen Traͤgheit und Unempfind-
lichkeit) mit ſolcher Unerſchrockenheit aus, daß
man es kaum vermuthen ſollte, da ſie ſich ſonſt
im Kriege als ſchlechte Helden zeigen. *)
Mit der Kriegeskunſt ſieht es in Siam
ſchlecht aus; und dieß kommt blos daher, weil
die Einwohner keine Luſt dazu aͤußern. Ueber-
haupt
*) So viel von der Regierungsart in Siam.
Wir haben uns bey dieſem Artikel mit Fleis
kurz gefaßt, um noch wichtigern Dingen Platz
zu laßen. Auch hoffen wir, daß ſich der Leſer
einigen Begrif von der Regierungsart der Sia-
mer, aus dem, was wir beygebracht haben,
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/361>, abgerufen am 22.11.2024.
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