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Juan de Posos [i. e. Smeeks, Hendrik]: Beschreibung des Mächtigen Königreichs Krinke Kesmes. Übers. v. [N. N.]. Leipzig, 1721.

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Curieuse Reise-Beschreibung. V. Cap.
"Weisheit, Liebe, Freundschafft und Ehestand,
"und von vielen andern Sachen, ich will euch ei-
"nige davon mittheilen, die ihr abschreiben kön-
"net.

Jch antwortete den Garbon, daß ich die Lehren
wol abschreiben möchte, in Europa aber redete
man von solchen Sachen als von der nackenden
Krähe AEsopi, als welche von ieden Vogel eine
Feder geliehen, und sich selbst damit ausgezieret.
Da sie also viel bunter als alle andere Vögel
wurde, fieng sie aus Hoffart an alle andere
Vögel zu verachten, die aber darüber böse wur-
den, und holte ein ieder seine Feder wieder zurück,
worauf die hoffärtige 'Krähe wieder nackend
und beschämt wurde.

Wohl, Johann de Posos, wendete er drauf ein,
wenn solche Sachen iemand bey uns in Süd-
land
sagte, so solte man dencken, daß derjenige,
so dieses vorbrächte, uns weiß machen wolte, daß
ein solcher Autor seine Schrifften von sich selber
ohne Hülffe anderer Bücher hätte, welches aber
hier vor unmöglich gehalten wird, weil nichts
neues unter der Sonne geschicht. Hier in Süd-
land wird dieses vor ein männlich Werck gehal-
ten, wenn man aus vielen Büchern das Beste
heraus nimmt, und solches wohl zu brauchen
weiß.

Nicht anders als ein berühmter Mahler seine
Bilder von dem Alterthum entlehnet, als wel-
che eine gute Geschicklichkeit, nebst einer guten
Invention, und natürlichen Farben in einen or-
dentlichen Perspectiv praesentiren, da alles unge-

zwun-

Curieuſe Reiſe-Beſchreibung. V. Cap.
„Weisheit, Liebe, Freundſchafft und Eheſtand,
„und von vielen andern Sachen, ich will euch ei-
„nige davon mittheilen, die ihr abſchreiben koͤn-
„net.

Jch antwortete den Garbon, daß ich die Lehren
wol abſchreiben moͤchte, in Europa aber redete
man von ſolchen Sachen als von der nackenden
Kraͤhe Æſopi, als welche von ieden Vogel eine
Feder geliehen, und ſich ſelbſt damit ausgezieret.
Da ſie alſo viel bunter als alle andere Voͤgel
wurde, fieng ſie aus Hoffart an alle andere
Voͤgel zu verachten, die aber daruͤber boͤſe wur-
den, und holte ein ieder ſeine Feder wieder zuruͤck,
worauf die hoffaͤrtige ’Kraͤhe wieder nackend
und beſchaͤmt wurde.

Wohl, Johann de Poſos, wendete er drauf ein,
wenn ſolche Sachen iemand bey uns in Suͤd-
land
ſagte, ſo ſolte man dencken, daß derjenige,
ſo dieſes vorbraͤchte, uns weiß machen wolte, daß
ein ſolcher Autor ſeine Schrifften von ſich ſelber
ohne Huͤlffe anderer Buͤcher haͤtte, welches aber
hier vor unmoͤglich gehalten wird, weil nichts
neues unter der Sonne geſchicht. Hier in Suͤd-
land wird dieſes vor ein maͤnnlich Werck gehal-
ten, wenn man aus vielen Buͤchern das Beſte
heraus nimmt, und ſolches wohl zu brauchen
weiß.

Nicht anders als ein beruͤhmter Mahler ſeine
Bilder von dem Alterthum entlehnet, als wel-
che eine gute Geſchicklichkeit, nebſt einer guten
Invention, und natuͤrlichen Farben in einen or-
dentlichen Perſpectiv præſentiren, da alles unge-

zwun-
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[74/0098] Curieuſe Reiſe-Beſchreibung. V. Cap. „Weisheit, Liebe, Freundſchafft und Eheſtand, „und von vielen andern Sachen, ich will euch ei- „nige davon mittheilen, die ihr abſchreiben koͤn- „net. Jch antwortete den Garbon, daß ich die Lehren wol abſchreiben moͤchte, in Europa aber redete man von ſolchen Sachen als von der nackenden Kraͤhe Æſopi, als welche von ieden Vogel eine Feder geliehen, und ſich ſelbſt damit ausgezieret. Da ſie alſo viel bunter als alle andere Voͤgel wurde, fieng ſie aus Hoffart an alle andere Voͤgel zu verachten, die aber daruͤber boͤſe wur- den, und holte ein ieder ſeine Feder wieder zuruͤck, worauf die hoffaͤrtige ’Kraͤhe wieder nackend und beſchaͤmt wurde. Wohl, Johann de Poſos, wendete er drauf ein, wenn ſolche Sachen iemand bey uns in Suͤd- land ſagte, ſo ſolte man dencken, daß derjenige, ſo dieſes vorbraͤchte, uns weiß machen wolte, daß ein ſolcher Autor ſeine Schrifften von ſich ſelber ohne Huͤlffe anderer Buͤcher haͤtte, welches aber hier vor unmoͤglich gehalten wird, weil nichts neues unter der Sonne geſchicht. Hier in Suͤd- land wird dieſes vor ein maͤnnlich Werck gehal- ten, wenn man aus vielen Buͤchern das Beſte heraus nimmt, und ſolches wohl zu brauchen weiß. Nicht anders als ein beruͤhmter Mahler ſeine Bilder von dem Alterthum entlehnet, als wel- che eine gute Geſchicklichkeit, nebſt einer guten Invention, und natuͤrlichen Farben in einen or- dentlichen Perſpectiv præſentiren, da alles unge- zwun-

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Zitationshilfe: Juan de Posos [i. e. Smeeks, Hendrik]: Beschreibung des Mächtigen Königreichs Krinke Kesmes. Übers. v. [N. N.]. Leipzig, 1721, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/posos_krinkekesmes_1721/98>, abgerufen am 27.11.2024.