von einer Fee in die Luft gehangen, ja die Phantasie erschöpft sich nicht an Bildern; und als jetzt eine Diligence mit vier Pferden rasch über den 100 Fuß hohen und 600 Fuß weit gespannten Bogen fuhr, halb von dem Kettengewebe verborgen, an dem die Brücke hängt, so schienen es eben nur einige im Netze flatternde Lerchen zu seyn. Nicht anders sahen die Menschen aus, welche überall in den Ketten sa- ßen, die jetzt zum erstenmal ihren neuen Oehlanstrich erhielten, denn das ganze Werk wurde erst kürzlich vollendet. Wer das Berliner Schloß kennt, dem wird es einen anschaulichen Begriff von den enor- men Dimensionen dieser Brücke geben, wenn er hört, daß dieses bequem unter dem Hauptbogen zwischen dem Wasser und dem Belag stehen könnte, und doch halten die Ketten den letzterm so fest, daß man auch bei dem schnellsten Fahren, welches keineswegs ver- boten ist, und bei der schwersten Last, keine Bebung wahrnimmt. Die Brücke ist oben in drei Wege ge- theilt, der eine für das Hin-, der andere für das Zurückfahren, die Mitte für die Fußgänger. Die Bohlen ruhen auf einem eisernen Gitter, so daß sie leicht, wenn schadhaft, abgenommen und ersetzt wer- den, nie aber durch ihr Brechen eine Gefahr besor- gen lassen können. Alle drei Jahr erhält sämmtli- ches Eisen einen neuen Oehlanstrich, um den Rost zu verhindern. Der Baumeister, der sich hier ei- nen langen Ruhm gegründet haben wird, heißt Telford.
von einer Fee in die Luft gehangen, ja die Phantaſie erſchöpft ſich nicht an Bildern; und als jetzt eine Diligence mit vier Pferden raſch über den 100 Fuß hohen und 600 Fuß weit geſpannten Bogen fuhr, halb von dem Kettengewebe verborgen, an dem die Brücke hängt, ſo ſchienen es eben nur einige im Netze flatternde Lerchen zu ſeyn. Nicht anders ſahen die Menſchen aus, welche überall in den Ketten ſa- ßen, die jetzt zum erſtenmal ihren neuen Oehlanſtrich erhielten, denn das ganze Werk wurde erſt kürzlich vollendet. Wer das Berliner Schloß kennt, dem wird es einen anſchaulichen Begriff von den enor- men Dimenſionen dieſer Brücke geben, wenn er hört, daß dieſes bequem unter dem Hauptbogen zwiſchen dem Waſſer und dem Belag ſtehen könnte, und doch halten die Ketten den letzterm ſo feſt, daß man auch bei dem ſchnellſten Fahren, welches keineswegs ver- boten iſt, und bei der ſchwerſten Laſt, keine Bebung wahrnimmt. Die Brücke iſt oben in drei Wege ge- theilt, der eine für das Hin-, der andere für das Zurückfahren, die Mitte für die Fußgänger. Die Bohlen ruhen auf einem eiſernen Gitter, ſo daß ſie leicht, wenn ſchadhaft, abgenommen und erſetzt wer- den, nie aber durch ihr Brechen eine Gefahr beſor- gen laſſen können. Alle drei Jahr erhält ſämmtli- ches Eiſen einen neuen Oehlanſtrich, um den Roſt zu verhindern. Der Baumeiſter, der ſich hier ei- nen langen Ruhm gegründet haben wird, heißt Telford.
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von einer Fee in die Luft gehangen, ja die Phantaſie
erſchöpft ſich nicht an Bildern; und als jetzt eine
Diligence mit vier Pferden raſch über den 100 Fuß
hohen und 600 Fuß weit geſpannten Bogen fuhr,
halb von dem Kettengewebe verborgen, an dem die
Brücke hängt, ſo ſchienen es eben nur einige im
Netze flatternde Lerchen zu ſeyn. Nicht anders ſahen
die Menſchen aus, welche überall in den Ketten ſa-
ßen, die jetzt zum erſtenmal ihren neuen Oehlanſtrich
erhielten, denn das ganze Werk wurde erſt kürzlich
vollendet. Wer das Berliner Schloß kennt, dem
wird es einen anſchaulichen Begriff von den enor-
men Dimenſionen dieſer Brücke geben, wenn er hört,
daß dieſes bequem unter dem Hauptbogen zwiſchen
dem Waſſer und dem Belag ſtehen könnte, und doch
halten die Ketten den letzterm ſo feſt, daß man auch
bei dem ſchnellſten Fahren, welches keineswegs ver-
boten iſt, und bei der ſchwerſten Laſt, keine Bebung
wahrnimmt. Die Brücke iſt oben in drei Wege ge-
theilt, der eine für das Hin-, der andere für das
Zurückfahren, die Mitte für die Fußgänger. Die
Bohlen ruhen auf einem eiſernen Gitter, ſo daß ſie
leicht, wenn ſchadhaft, abgenommen und erſetzt wer-
den, nie aber durch ihr Brechen eine Gefahr beſor-
gen laſſen können. Alle drei Jahr erhält ſämmtli-
ches Eiſen einen neuen Oehlanſtrich, um den Roſt
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/117>, abgerufen am 21.11.2024.
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