auch die Gefahr sich herschreibt, wo der Genuß auch die Qual, wo das Leben auch der Tod. Das Ganze ist eben Weltleben, und kann nicht nach Willkühr, sondern nur nach unwandelbaren Gesetzen gegeben und geordnet seyn. -- Solche kleinliche Ansichten, als die gerügten, ziehen die Idee der Allmacht zu unsrer Gebrechlichkeit herab. Danken sollen wir für alles Seyn der ewigen Liebe, wäre es auch ohne Worte, -- und kein Gebet vielleicht, kann mehr als dieses: in Entzücken verstummende Dankgefühl -- vom Menschen dargebracht, der Gottheit würdig seyn; -- kindisch aber ist es, alle jene alltäglichen und äußern einzelnen Begebenheiten wie Glücks- und Unglücksfälle, Reichthum, Armuth, Sterben u. s. w., die den Naturgesetzen unterthan sind, oder von uns selbst, nach dem Maaßstab unsrer Kräfte herbeige- führt werden, immer einer ganz besondern, und der Himmel weiß überdieß, wie unnützen! Erziehung unsrer lieben Individuen durch die Allmacht zuzu- schreiben.
Ferner aber spottet er über die Christen -- die es ganz und gar nicht sind, und darunter, sagt er, stehen als Nummer Eins, nicht sogenannte Atheisten (überhaupt eine sinnlose Benennung) nicht einmal wahre Fanatiker, sondern jene heillose Race der mo- dernen Frömmler, die entweder nervenüberreizte Schwächlinge, *) oder Heuchler der gottlosesten Art
*) Herrlich sagt Jean Paul irgendwo von Solchen; "Ich habe diese verdammte Erhebung der Seelen blos aus
auch die Gefahr ſich herſchreibt, wo der Genuß auch die Qual, wo das Leben auch der Tod. Das Ganze iſt eben Weltleben, und kann nicht nach Willkühr, ſondern nur nach unwandelbaren Geſetzen gegeben und geordnet ſeyn. — Solche kleinliche Anſichten, als die gerügten, ziehen die Idee der Allmacht zu unſrer Gebrechlichkeit herab. Danken ſollen wir für alles Seyn der ewigen Liebe, wäre es auch ohne Worte, — und kein Gebet vielleicht, kann mehr als dieſes: in Entzücken verſtummende Dankgefühl — vom Menſchen dargebracht, der Gottheit würdig ſeyn; — kindiſch aber iſt es, alle jene alltäglichen und äußern einzelnen Begebenheiten wie Glücks- und Unglücksfälle, Reichthum, Armuth, Sterben u. ſ. w., die den Naturgeſetzen unterthan ſind, oder von uns ſelbſt, nach dem Maaßſtab unſrer Kräfte herbeige- führt werden, immer einer ganz beſondern, und der Himmel weiß überdieß, wie unnützen! Erziehung unſrer lieben Individuen durch die Allmacht zuzu- ſchreiben.
Ferner aber ſpottet er über die Chriſten — die es ganz und gar nicht ſind, und darunter, ſagt er, ſtehen als Nummer Eins, nicht ſogenannte Atheiſten (überhaupt eine ſinnloſe Benennung) nicht einmal wahre Fanatiker, ſondern jene heilloſe Race der mo- dernen Frömmler, die entweder nervenüberreizte Schwächlinge, *) oder Heuchler der gottloſeſten Art
*) Herrlich ſagt Jean Paul irgendwo von Solchen; „Ich habe dieſe verdammte Erhebung der Seelen blos aus
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auch die Gefahr ſich herſchreibt, wo der Genuß auch
die Qual, wo das Leben auch der Tod. Das Ganze
iſt eben Weltleben, und kann nicht nach Willkühr,
ſondern nur nach unwandelbaren Geſetzen gegeben
und geordnet ſeyn. — Solche kleinliche Anſichten,
als die gerügten, ziehen die Idee der Allmacht zu
unſrer Gebrechlichkeit herab. Danken ſollen wir für
alles Seyn der ewigen Liebe, wäre es auch ohne
Worte, — und kein Gebet vielleicht, kann mehr als
dieſes: in Entzücken verſtummende Dankgefühl —
vom Menſchen dargebracht, der Gottheit würdig
ſeyn; — kindiſch aber iſt es, alle jene alltäglichen
und äußern einzelnen Begebenheiten wie Glücks-
und Unglücksfälle, Reichthum, Armuth, Sterben u. ſ. w.,
die den Naturgeſetzen unterthan ſind, oder von uns
ſelbſt, nach dem Maaßſtab unſrer Kräfte herbeige-
führt werden, immer einer ganz beſondern, und der
Himmel weiß überdieß, wie unnützen! Erziehung
unſrer lieben Individuen durch die Allmacht zuzu-
ſchreiben.
Ferner aber ſpottet er über die Chriſten — die
es ganz und gar nicht ſind, und darunter, ſagt er,
ſtehen als Nummer Eins, nicht ſogenannte Atheiſten
(überhaupt eine ſinnloſe Benennung) nicht einmal
wahre Fanatiker, ſondern jene heilloſe Race der mo-
dernen Frömmler, die entweder nervenüberreizte
Schwächlinge, *) oder Heuchler der gottloſeſten Art
*) Herrlich ſagt Jean Paul irgendwo von Solchen; „Ich
habe dieſe verdammte Erhebung der Seelen blos aus
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/124>, abgerufen am 16.02.2025.
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