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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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durch die Erfahrung, überall begründete, wenn
gleich schmerzliche Wahrheit: daß in den irdischen
Verhältnissen
es dem Individuo noch gewisseren
Schaden bringt, thöricht, als bös und schlecht zu seyn.
Die äußern Folgen des Letzteren können durch Klugheit
aufgehalten, ja ganz abgewendet werden, nichts aber
wendet die Folgen der Thorheit ab, die fortwährend
gegen sich selbst arbeitet. Das Bedürfniß und
die Erfindung positiver Religionen mögen dieser Er-
kenntniß, und der daraus folgenden Unzulänglichkeit
der blos irdischen Strafgesetze großentheils ihre Ent-
stehung verdanken, namentlich die Lehre der künfti-
gen Strafen und Belohnungen eines Allwissenden,
gegen den die Klugheit nicht mehr ausreicht, und
von dem der Thörichte Mitleiden und Compensation
erwartet, denn wahrlich der Gute und Kluge braucht
keinen weitern Lohn -- er findet ihn schon reich und
überschwenglich in sich selbst. Wer würde nicht ohne
Bedenken Alles hingeben, um die Seligkeit zu ge-
nießen, vollkommen gut zu seyn! Es könnte viel-
leicht eine Zeit kommen, wo alle Staats-Religionen
und Kirchen zu Grabe getragen würden, Poesie
und Liebe aber, deren Blüthe die wahre Religion,
wie Tugend ihre Frucht ist -- müssen ewig den
menschlichen Geist beherrschen, in ihrer heiligen Drei-
einigkeit: der Anbetung Gottes als der Ursach alles
Seyns, der Bewunderung der Natur als seines ho-
hen Werks, und der Liebe zu den Menschen als un-
sere Brüder. Und das allein ist ja Christus Lehre
-- von Keinem reiner, inniger, einfacher und doch

durch die Erfahrung, überall begründete, wenn
gleich ſchmerzliche Wahrheit: daß in den irdiſchen
Verhältniſſen
es dem Individuo noch gewiſſeren
Schaden bringt, thöricht, als bös und ſchlecht zu ſeyn.
Die äußern Folgen des Letzteren können durch Klugheit
aufgehalten, ja ganz abgewendet werden, nichts aber
wendet die Folgen der Thorheit ab, die fortwährend
gegen ſich ſelbſt arbeitet. Das Bedürfniß und
die Erfindung poſitiver Religionen mögen dieſer Er-
kenntniß, und der daraus folgenden Unzulänglichkeit
der blos irdiſchen Strafgeſetze großentheils ihre Ent-
ſtehung verdanken, namentlich die Lehre der künfti-
gen Strafen und Belohnungen eines Allwiſſenden,
gegen den die Klugheit nicht mehr ausreicht, und
von dem der Thörichte Mitleiden und Compenſation
erwartet, denn wahrlich der Gute und Kluge braucht
keinen weitern Lohn — er findet ihn ſchon reich und
überſchwenglich in ſich ſelbſt. Wer würde nicht ohne
Bedenken Alles hingeben, um die Seligkeit zu ge-
nießen, vollkommen gut zu ſeyn! Es könnte viel-
leicht eine Zeit kommen, wo alle Staats-Religionen
und Kirchen zu Grabe getragen würden, Poeſie
und Liebe aber, deren Blüthe die wahre Religion,
wie Tugend ihre Frucht iſt — müſſen ewig den
menſchlichen Geiſt beherrſchen, in ihrer heiligen Drei-
einigkeit: der Anbetung Gottes als der Urſach alles
Seyns, der Bewunderung der Natur als ſeines ho-
hen Werks, und der Liebe zu den Menſchen als un-
ſere Brüder. Und das allein iſt ja Chriſtus Lehre
— von Keinem reiner, inniger, einfacher und doch

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[106/0130] durch die Erfahrung, überall begründete, wenn gleich ſchmerzliche Wahrheit: daß in den irdiſchen Verhältniſſen es dem Individuo noch gewiſſeren Schaden bringt, thöricht, als bös und ſchlecht zu ſeyn. Die äußern Folgen des Letzteren können durch Klugheit aufgehalten, ja ganz abgewendet werden, nichts aber wendet die Folgen der Thorheit ab, die fortwährend gegen ſich ſelbſt arbeitet. Das Bedürfniß und die Erfindung poſitiver Religionen mögen dieſer Er- kenntniß, und der daraus folgenden Unzulänglichkeit der blos irdiſchen Strafgeſetze großentheils ihre Ent- ſtehung verdanken, namentlich die Lehre der künfti- gen Strafen und Belohnungen eines Allwiſſenden, gegen den die Klugheit nicht mehr ausreicht, und von dem der Thörichte Mitleiden und Compenſation erwartet, denn wahrlich der Gute und Kluge braucht keinen weitern Lohn — er findet ihn ſchon reich und überſchwenglich in ſich ſelbſt. Wer würde nicht ohne Bedenken Alles hingeben, um die Seligkeit zu ge- nießen, vollkommen gut zu ſeyn! Es könnte viel- leicht eine Zeit kommen, wo alle Staats-Religionen und Kirchen zu Grabe getragen würden, Poeſie und Liebe aber, deren Blüthe die wahre Religion, wie Tugend ihre Frucht iſt — müſſen ewig den menſchlichen Geiſt beherrſchen, in ihrer heiligen Drei- einigkeit: der Anbetung Gottes als der Urſach alles Seyns, der Bewunderung der Natur als ſeines ho- hen Werks, und der Liebe zu den Menſchen als un- ſere Brüder. Und das allein iſt ja Chriſtus Lehre — von Keinem reiner, inniger, einfacher und doch

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/130>, abgerufen am 21.11.2024.