Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

sehr steil, und mit einem Steinuntergrund, der an
manchen Stellen in weiten Platten zu Tage kam.
Auf diesem abschüssigen Boden mußten wir oft ganze
Stellen mehr hinabgleiten als steigen, und die An-
strengung wurde zuletzt so schmerzhaft in den Knieen,
daß sowohl der Führer als ich, in der Dämmerung
einigemal fielen, ohne uns jedoch Schaden zu thun.
Die hohen umstehenden Berge hatten den Mond bis-
her verdeckt, der nun groß und blutroth über ihre
Wellenlinien heraufstieg. Bald darauf verloren wir
ihn jedoch wieder, und erst nahe am Ziel sahen wir
ihn von neuem, jetzt goldgelb, klein und klar, sich
im stillen Gewässer des See's spiegeln, an dessen
Ufer unser Gasthof liegt. Der letzte Theil des We-
ges wurde auf ebner Landstraße zurückgelegt, und
bot, im Vergleich mit dem vergangenen, eine solche
Bequemlichkeit dar, daß ich darauf hätte gehend schla-
fen können. Es war als wenn ich willenlose Schritte
machte, von einem Uhrwerk fortgetrieben, wie die
Kinderspielwerke welche aufgezogen, unaufhaltsam
auf dem Tische umherfahren. In 1 3/4 Stunden hat-
ten wir die Tour vollbracht, und ganz stolz auf
diese That, zog ich in Capel Cerrig ein, dessen Wirth
kaum glauben wollte, daß wir den Weg in so kur-
zer Zeit bei Nacht zurückgelegt. Ich hatte mich in
den letzten Jahren so verweichlicht, daß ich mich fast
alt geworden glaubte, aber der heutige Tag bewies
mir zu meiner Freude, daß ich nur Anlaß brauche,
um Geist und Körper wieder frischkräftig zu fühlen,
Gefahr und Beschwerde zeigten sich ohnedem immer

Briefe eines Verstorbenen. I. 8

ſehr ſteil, und mit einem Steinuntergrund, der an
manchen Stellen in weiten Platten zu Tage kam.
Auf dieſem abſchüſſigen Boden mußten wir oft ganze
Stellen mehr hinabgleiten als ſteigen, und die An-
ſtrengung wurde zuletzt ſo ſchmerzhaft in den Knieen,
daß ſowohl der Führer als ich, in der Dämmerung
einigemal fielen, ohne uns jedoch Schaden zu thun.
Die hohen umſtehenden Berge hatten den Mond bis-
her verdeckt, der nun groß und blutroth über ihre
Wellenlinien heraufſtieg. Bald darauf verloren wir
ihn jedoch wieder, und erſt nahe am Ziel ſahen wir
ihn von neuem, jetzt goldgelb, klein und klar, ſich
im ſtillen Gewäſſer des See’s ſpiegeln, an deſſen
Ufer unſer Gaſthof liegt. Der letzte Theil des We-
ges wurde auf ebner Landſtraße zurückgelegt, und
bot, im Vergleich mit dem vergangenen, eine ſolche
Bequemlichkeit dar, daß ich darauf hätte gehend ſchla-
fen können. Es war als wenn ich willenloſe Schritte
machte, von einem Uhrwerk fortgetrieben, wie die
Kinderſpielwerke welche aufgezogen, unaufhaltſam
auf dem Tiſche umherfahren. In 1 ¾ Stunden hat-
ten wir die Tour vollbracht, und ganz ſtolz auf
dieſe That, zog ich in Capel Cerrig ein, deſſen Wirth
kaum glauben wollte, daß wir den Weg in ſo kur-
zer Zeit bei Nacht zurückgelegt. Ich hatte mich in
den letzten Jahren ſo verweichlicht, daß ich mich faſt
alt geworden glaubte, aber der heutige Tag bewies
mir zu meiner Freude, daß ich nur Anlaß brauche,
um Geiſt und Körper wieder friſchkräftig zu fühlen,
Gefahr und Beſchwerde zeigten ſich ohnedem immer

Briefe eines Verſtorbenen. I. 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0137" n="113"/>
&#x017F;ehr &#x017F;teil, und mit einem Steinuntergrund, der an<lb/>
manchen Stellen in weiten Platten zu Tage kam.<lb/>
Auf die&#x017F;em ab&#x017F;chü&#x017F;&#x017F;igen Boden mußten wir oft ganze<lb/>
Stellen mehr hinabgleiten als &#x017F;teigen, und die An-<lb/>
&#x017F;trengung wurde zuletzt &#x017F;o &#x017F;chmerzhaft in den Knieen,<lb/>
daß &#x017F;owohl der Führer als ich, in der <choice><sic>Da&#x0307;mmerung</sic><corr>Dämmerung</corr></choice><lb/>
einigemal fielen, ohne uns jedoch Schaden zu thun.<lb/>
Die hohen um&#x017F;tehenden Berge hatten den Mond bis-<lb/>
her verdeckt, der nun groß und blutroth über ihre<lb/>
Wellenlinien herauf&#x017F;tieg. Bald darauf verloren wir<lb/>
ihn jedoch wieder, und er&#x017F;t nahe am Ziel &#x017F;ahen wir<lb/>
ihn von neuem, jetzt goldgelb, klein und klar, &#x017F;ich<lb/>
im &#x017F;tillen Gewä&#x017F;&#x017F;er des See&#x2019;s &#x017F;piegeln, an de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Ufer un&#x017F;er Ga&#x017F;thof liegt. Der letzte Theil des We-<lb/>
ges wurde auf ebner Land&#x017F;traße zurückgelegt, und<lb/>
bot, im Vergleich mit dem vergangenen, eine &#x017F;olche<lb/>
Bequemlichkeit dar, daß ich darauf <choice><sic>ha&#x0307;tte</sic><corr>hätte</corr></choice> gehend &#x017F;chla-<lb/>
fen können. Es war als wenn ich willenlo&#x017F;e Schritte<lb/>
machte, von einem Uhrwerk fortgetrieben, wie die<lb/>
Kinder&#x017F;pielwerke welche aufgezogen, unaufhalt&#x017F;am<lb/>
auf dem Ti&#x017F;che umherfahren. In 1 ¾ Stunden hat-<lb/>
ten wir die Tour vollbracht, und ganz &#x017F;tolz auf<lb/>
die&#x017F;e That, zog ich in Capel Cerrig ein, de&#x017F;&#x017F;en Wirth<lb/>
kaum glauben wollte, daß wir den Weg in &#x017F;o kur-<lb/>
zer Zeit bei Nacht zurückgelegt. Ich hatte mich in<lb/>
den letzten Jahren &#x017F;o verweichlicht, daß ich mich fa&#x017F;t<lb/>
alt geworden glaubte, aber der heutige Tag bewies<lb/>
mir zu meiner Freude, daß ich nur Anlaß brauche,<lb/>
um Gei&#x017F;t und Körper wieder fri&#x017F;chkräftig zu fühlen,<lb/>
Gefahr und Be&#x017F;chwerde zeigten &#x017F;ich ohnedem immer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Briefe eines Ver&#x017F;torbenen. <hi rendition="#aq">I.</hi> 8</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0137] ſehr ſteil, und mit einem Steinuntergrund, der an manchen Stellen in weiten Platten zu Tage kam. Auf dieſem abſchüſſigen Boden mußten wir oft ganze Stellen mehr hinabgleiten als ſteigen, und die An- ſtrengung wurde zuletzt ſo ſchmerzhaft in den Knieen, daß ſowohl der Führer als ich, in der Dämmerung einigemal fielen, ohne uns jedoch Schaden zu thun. Die hohen umſtehenden Berge hatten den Mond bis- her verdeckt, der nun groß und blutroth über ihre Wellenlinien heraufſtieg. Bald darauf verloren wir ihn jedoch wieder, und erſt nahe am Ziel ſahen wir ihn von neuem, jetzt goldgelb, klein und klar, ſich im ſtillen Gewäſſer des See’s ſpiegeln, an deſſen Ufer unſer Gaſthof liegt. Der letzte Theil des We- ges wurde auf ebner Landſtraße zurückgelegt, und bot, im Vergleich mit dem vergangenen, eine ſolche Bequemlichkeit dar, daß ich darauf hätte gehend ſchla- fen können. Es war als wenn ich willenloſe Schritte machte, von einem Uhrwerk fortgetrieben, wie die Kinderſpielwerke welche aufgezogen, unaufhaltſam auf dem Tiſche umherfahren. In 1 ¾ Stunden hat- ten wir die Tour vollbracht, und ganz ſtolz auf dieſe That, zog ich in Capel Cerrig ein, deſſen Wirth kaum glauben wollte, daß wir den Weg in ſo kur- zer Zeit bei Nacht zurückgelegt. Ich hatte mich in den letzten Jahren ſo verweichlicht, daß ich mich faſt alt geworden glaubte, aber der heutige Tag bewies mir zu meiner Freude, daß ich nur Anlaß brauche, um Geiſt und Körper wieder friſchkräftig zu fühlen, Gefahr und Beſchwerde zeigten ſich ohnedem immer Briefe eines Verſtorbenen. I. 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/137
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/137>, abgerufen am 21.11.2024.