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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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Frömmigkeit. Unendlich sind die Gaben Gottes, und
man könnte fast sagen: es ist nicht zu verantworten,
wenn wir nicht glücklich sind. -- Wie sehr wir es
wirklich selbst in der Gewalt haben, kann jeder se-
hen, wenn er auf sein vergangenes Leben zurück-
blickt, und sich da überzeugen muß, wie er fast alles
Uebele so leicht hätte zum Guten wenden können.
Wie ich Dir früher und oft sagte: Wir machen un-
ser Schicksal selbst -- aber freilich uns selbst haben
wir nicht gemacht, und da liegt eine weite, unbekannte
Vergangenheit, über die jedoch sich den Kopf zu zer-
brechen zu nichts führen würde. Es thue nur jeder
sein Möglichstes, mit frischem Muthe die äußern
Dinge dieser Welt ohne Ausnahme leicht anzusehen,
weil die Dinge dieser Welt wirklich leicht wiegen, im
Guten wie im Schlimmen. Eine bessere Waffe giebt
es nicht, nur muß man deshalb die Hände nicht in
den Schoos legen. Dein weiblicher Fehler, gute Julie
ist bei üblen Zeiten, mit einer schwachen Art Fröm-
migkeit, Dich auf den lieben Gott und seine Hülfe
als Deus ex machina allein zu verlassen. Damit
aber geht man, wenn diese Hülfe endlich doch aus-
bleibt, sicher zu Grunde. Doch kann Beides, frommes
Hoffen und rüstiges Thun sehr wohl mit einan-
der bestehen, und kein Zweifel sogar, daß dann das
erste das zweite gar sehr erleichtert; denn ist auch
jene Art Frömmigkeit, wie sie die Welt gewöhnlich
versteht, jene sichere Zuversicht auf irdischen besondern
Schutz von oben, jenes Bitten um Güter oder gegen
Uebel, nur eine Selbsttäuschung -- so ist es doch

Briefe eines Verstorbenen. I. 9

Frömmigkeit. Unendlich ſind die Gaben Gottes, und
man könnte faſt ſagen: es iſt nicht zu verantworten,
wenn wir nicht glücklich ſind. — Wie ſehr wir es
wirklich ſelbſt in der Gewalt haben, kann jeder ſe-
hen, wenn er auf ſein vergangenes Leben zurück-
blickt, und ſich da überzeugen muß, wie er faſt alles
Uebele ſo leicht hätte zum Guten wenden können.
Wie ich Dir früher und oft ſagte: Wir machen un-
ſer Schickſal ſelbſt — aber freilich uns ſelbſt haben
wir nicht gemacht, und da liegt eine weite, unbekannte
Vergangenheit, über die jedoch ſich den Kopf zu zer-
brechen zu nichts führen würde. Es thue nur jeder
ſein Möglichſtes, mit friſchem Muthe die äußern
Dinge dieſer Welt ohne Ausnahme leicht anzuſehen,
weil die Dinge dieſer Welt wirklich leicht wiegen, im
Guten wie im Schlimmen. Eine beſſere Waffe giebt
es nicht, nur muß man deshalb die Hände nicht in
den Schoos legen. Dein weiblicher Fehler, gute Julie
iſt bei üblen Zeiten, mit einer ſchwachen Art Fröm-
migkeit, Dich auf den lieben Gott und ſeine Hülfe
als Deus ex machina allein zu verlaſſen. Damit
aber geht man, wenn dieſe Hülfe endlich doch aus-
bleibt, ſicher zu Grunde. Doch kann Beides, frommes
Hoffen und rüſtiges Thun ſehr wohl mit einan-
der beſtehen, und kein Zweifel ſogar, daß dann das
erſte das zweite gar ſehr erleichtert; denn iſt auch
jene Art Frömmigkeit, wie ſie die Welt gewöhnlich
verſteht, jene ſichere Zuverſicht auf irdiſchen beſondern
Schutz von oben, jenes Bitten um Güter oder gegen
Uebel, nur eine Selbſttäuſchung — ſo iſt es doch

Briefe eines Verſtorbenen. I. 9
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[129/0153] Frömmigkeit. Unendlich ſind die Gaben Gottes, und man könnte faſt ſagen: es iſt nicht zu verantworten, wenn wir nicht glücklich ſind. — Wie ſehr wir es wirklich ſelbſt in der Gewalt haben, kann jeder ſe- hen, wenn er auf ſein vergangenes Leben zurück- blickt, und ſich da überzeugen muß, wie er faſt alles Uebele ſo leicht hätte zum Guten wenden können. Wie ich Dir früher und oft ſagte: Wir machen un- ſer Schickſal ſelbſt — aber freilich uns ſelbſt haben wir nicht gemacht, und da liegt eine weite, unbekannte Vergangenheit, über die jedoch ſich den Kopf zu zer- brechen zu nichts führen würde. Es thue nur jeder ſein Möglichſtes, mit friſchem Muthe die äußern Dinge dieſer Welt ohne Ausnahme leicht anzuſehen, weil die Dinge dieſer Welt wirklich leicht wiegen, im Guten wie im Schlimmen. Eine beſſere Waffe giebt es nicht, nur muß man deshalb die Hände nicht in den Schoos legen. Dein weiblicher Fehler, gute Julie iſt bei üblen Zeiten, mit einer ſchwachen Art Fröm- migkeit, Dich auf den lieben Gott und ſeine Hülfe als Deus ex machina allein zu verlaſſen. Damit aber geht man, wenn dieſe Hülfe endlich doch aus- bleibt, ſicher zu Grunde. Doch kann Beides, frommes Hoffen und rüſtiges Thun ſehr wohl mit einan- der beſtehen, und kein Zweifel ſogar, daß dann das erſte das zweite gar ſehr erleichtert; denn iſt auch jene Art Frömmigkeit, wie ſie die Welt gewöhnlich verſteht, jene ſichere Zuverſicht auf irdiſchen beſondern Schutz von oben, jenes Bitten um Güter oder gegen Uebel, nur eine Selbſttäuſchung — ſo iſt es doch Briefe eines Verſtorbenen. I. 9

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/153>, abgerufen am 24.11.2024.