Vernichtung einer andern Individualität, gegründet. Ein Geschlecht lebt immer von der Zerstörung des andern, Leben entsteht nur durch Tod, bis in alle Ewigkeit der Erscheinung, welche grade auf diese Art Einheit im fortwährenden Wechsel bleibt.
Es ist auch der Bemerkung werth, daß diese Furcht obgleich uns Allen zu unsrem irdischen Bestehen so unumgänglich nöthig, dennoch, selbst hier, von unserm göttlichen Theile so sehr gering geschätzt wird, daß fast kein mögliches Verbrechen uns so tiefe Verach- tung einflößt als Feigheit. Nichts bezwingt da- gegen die Furcht besser als eine große Idee, die aus dem Reiche der Liebe entsprießt. Auch Andere reißt man, so beseelt, dann mit sich fort und ganze Völker werden davon, sich aufopfernd, ergriffen, wenn gleich nichts Irdisches ganz rein von Beimischung des nied- rigerern Prinzips sich erhalten kann. Furcht also wird, in der Zeit und im Raume, Liebe ist, und kennt keine Zeit noch Raum. Die Liebe ist unend- lich und selig, die Furcht stirbt eines ewigen Todes. Die Liebe ist Gott, die Furcht ist der Teufel -- und ihm gehört bekanntlich die Erde zur größern Hälfte.
K ... Park, den 2ten August.
Bei meiner Rückkehr nach Bangor machte ich ge- stern die Bekanntschaft des Besitzers von Peurhyn Castle (dem schwarzen Sachsenschloß, das ich Dir be- schrieben), ein Mann der in der Bauleidenschaft mir wahlverwandt ist. Schon 7 Jahr wird an dem Schloß
Vernichtung einer andern Individualität, gegründet. Ein Geſchlecht lebt immer von der Zerſtörung des andern, Leben entſteht nur durch Tod, bis in alle Ewigkeit der Erſcheinung, welche grade auf dieſe Art Einheit im fortwährenden Wechſel bleibt.
Es iſt auch der Bemerkung werth, daß dieſe Furcht obgleich uns Allen zu unſrem irdiſchen Beſtehen ſo unumgänglich nöthig, dennoch, ſelbſt hier, von unſerm göttlichen Theile ſo ſehr gering geſchätzt wird, daß faſt kein mögliches Verbrechen uns ſo tiefe Verach- tung einflößt als Feigheit. Nichts bezwingt da- gegen die Furcht beſſer als eine große Idee, die aus dem Reiche der Liebe entſprießt. Auch Andere reißt man, ſo beſeelt, dann mit ſich fort und ganze Völker werden davon, ſich aufopfernd, ergriffen, wenn gleich nichts Irdiſches ganz rein von Beimiſchung des nied- rigerern Prinzips ſich erhalten kann. Furcht alſo wird, in der Zeit und im Raume, Liebe iſt, und kennt keine Zeit noch Raum. Die Liebe iſt unend- lich und ſelig, die Furcht ſtirbt eines ewigen Todes. Die Liebe iſt Gott, die Furcht iſt der Teufel — und ihm gehört bekanntlich die Erde zur größern Hälfte.
K … Park, den 2ten Auguſt.
Bei meiner Rückkehr nach Bangor machte ich ge- ſtern die Bekanntſchaft des Beſitzers von Peurhyn Caſtle (dem ſchwarzen Sachſenſchloß, das ich Dir be- ſchrieben), ein Mann der in der Bauleidenſchaft mir wahlverwandt iſt. Schon 7 Jahr wird an dem Schloß
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Vernichtung einer andern Individualität, gegründet.
Ein Geſchlecht lebt immer von der Zerſtörung des
andern, Leben entſteht nur durch Tod, bis in alle
Ewigkeit der Erſcheinung, welche grade auf dieſe Art
Einheit im fortwährenden Wechſel bleibt.
Es iſt auch der Bemerkung werth, daß dieſe Furcht
obgleich uns Allen zu unſrem irdiſchen Beſtehen ſo
unumgänglich nöthig, dennoch, ſelbſt hier, von unſerm
göttlichen Theile ſo ſehr gering geſchätzt wird, daß
faſt kein mögliches Verbrechen uns ſo tiefe Verach-
tung einflößt als Feigheit. Nichts bezwingt da-
gegen die Furcht beſſer als eine große Idee, die aus
dem Reiche der Liebe entſprießt. Auch Andere reißt
man, ſo beſeelt, dann mit ſich fort und ganze Völker
werden davon, ſich aufopfernd, ergriffen, wenn gleich
nichts Irdiſches ganz rein von Beimiſchung des nied-
rigerern Prinzips ſich erhalten kann. Furcht alſo
wird, in der Zeit und im Raume, Liebe iſt, und
kennt keine Zeit noch Raum. Die Liebe iſt unend-
lich und ſelig, die Furcht ſtirbt eines ewigen Todes.
Die Liebe iſt Gott, die Furcht iſt der Teufel — und
ihm gehört bekanntlich die Erde zur größern Hälfte.
K … Park, den 2ten Auguſt.
Bei meiner Rückkehr nach Bangor machte ich ge-
ſtern die Bekanntſchaft des Beſitzers von Peurhyn
Caſtle (dem ſchwarzen Sachſenſchloß, das ich Dir be-
ſchrieben), ein Mann der in der Bauleidenſchaft mir
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/156>, abgerufen am 24.11.2024.
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