12 Meilen ein kirchenartiges Gebäude auf der Spitze eines hohen Berges, und frug den Küster, was es bedeute? er erwiederte in holprigem englisch: "dies sey das Tabernakel des Königs, und wer sieben Jahre lang sich weder waschen, noch die Nägel abschneiden, oder den Bart scheeren wolle, dem sey es erlaubt, dort zu wohnen, und nach dem siebenten Jahre habe er das Recht nach London zu gehen, wo ihn der König ausstatten und zum Gentleman machen müsse." Dies tolle Mährchen glaubte der Mann im vollen Ernst und schwur auf seine Wahrheit. Voila ce que c'est que la foi! Als ich mich später nach dem wirk- lichen Verlauf der Sache erkundigte, erfuhr ich von dem Ursprung der Geschichte bloß, daß das Haus zum Regierungs-Jubiläum des vorigen Königs von der Provinz oder County gebaut worden sey, und seitdem leer stehe, ein Spaßvogel aber einst am an- dern Orte eine bedeutende Summe in den Zeitungen ausgeboten, wenn Jemand die erwähnten Bedingun- gen in einer ihm zugehörigen Höhle erfülle. Das gemeine Volk hat nun jene Feuerprobe mit dem "Tabernakel" des guten Königs Georgs des III. in Verbindung gesetzt.
Ich bin den Thurm jetzt wieder herabgestiegen, und am Fuße sanfter Hügel hin, kannst Du mich weiter gallopiren sehen, bis ich einen felsigen einzeln stehen- den Berg erreiche, auf dem die Ruinen von Denbigh Castle stehen. An den Seiten des Berges klammern sich ringsum die baufälligen Häuser und Hütten des ärmlichen Städtchens an, und mit Mühe gelangt
12 Meilen ein kirchenartiges Gebäude auf der Spitze eines hohen Berges, und frug den Küſter, was es bedeute? er erwiederte in holprigem engliſch: „dies ſey das Tabernakel des Königs, und wer ſieben Jahre lang ſich weder waſchen, noch die Nägel abſchneiden, oder den Bart ſcheeren wolle, dem ſey es erlaubt, dort zu wohnen, und nach dem ſiebenten Jahre habe er das Recht nach London zu gehen, wo ihn der König ausſtatten und zum Gentleman machen müſſe.“ Dies tolle Mährchen glaubte der Mann im vollen Ernſt und ſchwur auf ſeine Wahrheit. Voilà ce que c’est que la foi! Als ich mich ſpäter nach dem wirk- lichen Verlauf der Sache erkundigte, erfuhr ich von dem Urſprung der Geſchichte bloß, daß das Haus zum Regierungs-Jubiläum des vorigen Königs von der Provinz oder County gebaut worden ſey, und ſeitdem leer ſtehe, ein Spaßvogel aber einſt am an- dern Orte eine bedeutende Summe in den Zeitungen ausgeboten, wenn Jemand die erwähnten Bedingun- gen in einer ihm zugehörigen Höhle erfülle. Das gemeine Volk hat nun jene Feuerprobe mit dem „Tabernakel“ des guten Königs Georgs des III. in Verbindung geſetzt.
Ich bin den Thurm jetzt wieder herabgeſtiegen, und am Fuße ſanfter Hügel hin, kannſt Du mich weiter gallopiren ſehen, bis ich einen felſigen einzeln ſtehen- den Berg erreiche, auf dem die Ruinen von Denbigh Caſtle ſtehen. An den Seiten des Berges klammern ſich ringsum die baufälligen Häuſer und Hütten des ärmlichen Städtchens an, und mit Mühe gelangt
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12 Meilen ein kirchenartiges Gebäude auf der Spitze
eines hohen Berges, und frug den Küſter, was es
bedeute? er erwiederte in holprigem engliſch: „dies
ſey das Tabernakel des Königs, und wer ſieben Jahre
lang ſich weder waſchen, noch die Nägel abſchneiden,
oder den Bart ſcheeren wolle, dem ſey es erlaubt,
dort zu wohnen, und nach dem ſiebenten Jahre habe er
das Recht nach London zu gehen, wo ihn der König
ausſtatten und zum Gentleman machen müſſe.“
Dies tolle Mährchen glaubte der Mann im vollen
Ernſt und ſchwur auf ſeine Wahrheit. Voilà ce que
c’est que la foi! Als ich mich ſpäter nach dem wirk-
lichen Verlauf der Sache erkundigte, erfuhr ich von
dem Urſprung der Geſchichte bloß, daß das Haus
zum Regierungs-Jubiläum des vorigen Königs von
der Provinz oder County gebaut worden ſey, und
ſeitdem leer ſtehe, ein Spaßvogel aber einſt am an-
dern Orte eine bedeutende Summe in den Zeitungen
ausgeboten, wenn Jemand die erwähnten Bedingun-
gen in einer ihm zugehörigen Höhle erfülle. Das
gemeine Volk hat nun jene Feuerprobe mit dem
„Tabernakel“ des guten Königs Georgs des III. in
Verbindung geſetzt.
Ich bin den Thurm jetzt wieder herabgeſtiegen, und
am Fuße ſanfter Hügel hin, kannſt Du mich weiter
gallopiren ſehen, bis ich einen felſigen einzeln ſtehen-
den Berg erreiche, auf dem die Ruinen von Denbigh
Caſtle ſtehen. An den Seiten des Berges klammern
ſich ringsum die baufälligen Häuſer und Hütten des
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/163>, abgerufen am 24.11.2024.
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