Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

zeichnenden Vorgebürge Howth, und auf der andern
Seite die bis an den Horizont ausgedehnten Berge
von Wichlow, glänzten alle im Sonnenschein, so
daß ich mich für die kleine Fatigue mehr als belohnt
fand. Aber die Scene wurde noch belebter durch
eine reizende junge Frau, die ich in dieser Wüste,
bei dem bescheidnen Geschäft des Streumachens,
entdeckte. Die natürliche Grazie der irländischen
Bauerweiber, die oft wahre Schönheiten sind, ist
eben so überraschend als ihre Tracht, oder vielmehr
ihr Mangel an Tracht, denn ohngeachtet es recht
kalt auf diesen Bergen war, bestand doch die ganze
Kleidung der jungen Frau vor mir, aus nichts als
einem weiten, sehr groben Strohhut und, wört-
lich
, zwei oder drei Lappen aus dem gröbsten här-
nen Zeuge, die ein Strick unter der Brust zusam-
menhielt, und unter welchen sie die schönsten weißen
Glieder mehr als zur Hälfte zur Schau trug. Ihre
Unterhaltung war, wie ich schon bei andern bemerkt,
heiter, neckend und witzig sogar, dabei ganz unbe-
fangen und gewissermaßen frei, doch würde man
sich sehr irren, wenn man sie deshalb auch für leicht-
fertig hielte. Diese Klasse ist im Gegentheil fast all-
gemein sehr sittlich in Irland, und besonders auf
eine auffallende Weise uninteressirt, so daß, wenn
Einzelne ja einmal vom Pfade der Tugend weichen,
es gewiß höchst selten aus diesem, bei solchen Din-
gen unnatürlichem und niedrigen Beweggrunde des
Eigennutzes geschieht.

zeichnenden Vorgebürge Howth, und auf der andern
Seite die bis an den Horizont ausgedehnten Berge
von Wichlow, glänzten alle im Sonnenſchein, ſo
daß ich mich für die kleine Fatigue mehr als belohnt
fand. Aber die Scene wurde noch belebter durch
eine reizende junge Frau, die ich in dieſer Wüſte,
bei dem beſcheidnen Geſchäft des Streumachens,
entdeckte. Die natürliche Grazie der irländiſchen
Bauerweiber, die oft wahre Schönheiten ſind, iſt
eben ſo überraſchend als ihre Tracht, oder vielmehr
ihr Mangel an Tracht, denn ohngeachtet es recht
kalt auf dieſen Bergen war, beſtand doch die ganze
Kleidung der jungen Frau vor mir, aus nichts als
einem weiten, ſehr groben Strohhut und, wört-
lich
, zwei oder drei Lappen aus dem gröbſten här-
nen Zeuge, die ein Strick unter der Bruſt zuſam-
menhielt, und unter welchen ſie die ſchönſten weißen
Glieder mehr als zur Hälfte zur Schau trug. Ihre
Unterhaltung war, wie ich ſchon bei andern bemerkt,
heiter, neckend und witzig ſogar, dabei ganz unbe-
fangen und gewiſſermaßen frei, doch würde man
ſich ſehr irren, wenn man ſie deshalb auch für leicht-
fertig hielte. Dieſe Klaſſe iſt im Gegentheil faſt all-
gemein ſehr ſittlich in Irland, und beſonders auf
eine auffallende Weiſe unintereſſirt, ſo daß, wenn
Einzelne ja einmal vom Pfade der Tugend weichen,
es gewiß höchſt ſelten aus dieſem, bei ſolchen Din-
gen unnatürlichem und niedrigen Beweggrunde des
Eigennutzes geſchieht.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0192" n="168"/>
zeichnenden Vorgebürge Howth, und auf der andern<lb/>
Seite die bis an den Horizont ausgedehnten Berge<lb/>
von Wichlow, glänzten alle im Sonnen&#x017F;chein, &#x017F;o<lb/>
daß ich mich für die kleine Fatigue mehr als belohnt<lb/>
fand. Aber die Scene wurde noch belebter durch<lb/>
eine reizende junge Frau, die ich in die&#x017F;er Wü&#x017F;te,<lb/>
bei dem be&#x017F;cheidnen Ge&#x017F;chäft des Streumachens,<lb/>
entdeckte. Die natürliche Grazie der irländi&#x017F;chen<lb/>
Bauerweiber, die oft wahre Schönheiten &#x017F;ind, i&#x017F;t<lb/>
eben &#x017F;o überra&#x017F;chend als ihre Tracht, oder vielmehr<lb/>
ihr Mangel an Tracht, denn ohngeachtet es recht<lb/>
kalt auf die&#x017F;en Bergen war, be&#x017F;tand doch die ganze<lb/>
Kleidung der jungen Frau vor mir, aus nichts als<lb/>
einem weiten, &#x017F;ehr groben Strohhut und, <hi rendition="#g">wört-<lb/>
lich</hi>, zwei oder drei Lappen aus dem gröb&#x017F;ten här-<lb/>
nen Zeuge, die ein Strick unter der Bru&#x017F;t zu&#x017F;am-<lb/>
menhielt, und unter welchen &#x017F;ie die &#x017F;chön&#x017F;ten weißen<lb/>
Glieder mehr als zur Hälfte zur Schau trug. Ihre<lb/>
Unterhaltung war, wie ich &#x017F;chon bei andern bemerkt,<lb/>
heiter, neckend und witzig &#x017F;ogar, dabei ganz unbe-<lb/>
fangen und gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen frei, doch würde man<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ehr irren, wenn man &#x017F;ie deshalb auch für leicht-<lb/>
fertig hielte. Die&#x017F;e Kla&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t im Gegentheil fa&#x017F;t all-<lb/>
gemein &#x017F;ehr &#x017F;ittlich in Irland, und be&#x017F;onders auf<lb/>
eine auffallende Wei&#x017F;e unintere&#x017F;&#x017F;irt, &#x017F;o daß, wenn<lb/>
Einzelne ja einmal vom Pfade der Tugend weichen,<lb/>
es gewiß höch&#x017F;t &#x017F;elten aus die&#x017F;em, bei &#x017F;olchen Din-<lb/>
gen unnatürlichem und niedrigen Beweggrunde des<lb/>
Eigennutzes ge&#x017F;chieht.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0192] zeichnenden Vorgebürge Howth, und auf der andern Seite die bis an den Horizont ausgedehnten Berge von Wichlow, glänzten alle im Sonnenſchein, ſo daß ich mich für die kleine Fatigue mehr als belohnt fand. Aber die Scene wurde noch belebter durch eine reizende junge Frau, die ich in dieſer Wüſte, bei dem beſcheidnen Geſchäft des Streumachens, entdeckte. Die natürliche Grazie der irländiſchen Bauerweiber, die oft wahre Schönheiten ſind, iſt eben ſo überraſchend als ihre Tracht, oder vielmehr ihr Mangel an Tracht, denn ohngeachtet es recht kalt auf dieſen Bergen war, beſtand doch die ganze Kleidung der jungen Frau vor mir, aus nichts als einem weiten, ſehr groben Strohhut und, wört- lich, zwei oder drei Lappen aus dem gröbſten här- nen Zeuge, die ein Strick unter der Bruſt zuſam- menhielt, und unter welchen ſie die ſchönſten weißen Glieder mehr als zur Hälfte zur Schau trug. Ihre Unterhaltung war, wie ich ſchon bei andern bemerkt, heiter, neckend und witzig ſogar, dabei ganz unbe- fangen und gewiſſermaßen frei, doch würde man ſich ſehr irren, wenn man ſie deshalb auch für leicht- fertig hielte. Dieſe Klaſſe iſt im Gegentheil faſt all- gemein ſehr ſittlich in Irland, und beſonders auf eine auffallende Weiſe unintereſſirt, ſo daß, wenn Einzelne ja einmal vom Pfade der Tugend weichen, es gewiß höchſt ſelten aus dieſem, bei ſolchen Din- gen unnatürlichem und niedrigen Beweggrunde des Eigennutzes geſchieht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/192
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/192>, abgerufen am 18.12.2024.