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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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Die Irländerin verlor über eine so ehrenrührige
Beleidigung allen Respekt, riß sich aus den Armen
der sie, noch an der Saalthür, vergebens zurück hal-
tenden Gefährtinnen los, stürzte mit untergestemm-
ten Händen auf den Beleidiger zu, und überschüttete
ihn nun mit einer solchen Fluth ächt nationaler Be-
nennungen, daß dieser, vor der empörten virago er-
blassend, das Feld räumte. Noch einmal so laut als
gewöhnlich: my Stippers! brüllend, eilte er, ohne
ferneren Versuch, der Köchin die Spitze zu bieten,
schleunigst seiner Schlafstube im dritten Stocke zu;
denn Du weißt, daß, wie im Colombier, die Nacht-
lager sich hier stes unter dem Dache befinden.

Als der verstorbene Großherzog von W . . . . in
England war, bekam er auch Lust, allein und incog-
nito mit der Stage zu reisen, um diese Art Leben
kennen zu lernen. Es amüsirte ihn sehr; am näch-
sten Morgen war er aber nicht wenig verwundert,
als ihm der boots, nouchalamment, mit den Worten
die Stiefeln brachte: Ich hoffe, daß Euere Königl. Ho-
heit recht wohl geschlafen haben! Er glaubte indeß, viel-
leicht falsch verstanden zu haben, und setzte seine
Reise, auf der imperiale sitzend, fort. Den nächsten
Morgen dieselbe Titulatur. Nun frug er genauer
nach, und es fand sich, daß im Innern seines Man-
tels eine Carte, mit seinem wahren Namen und
Stand, angeheftet war, die das incognito vernichtete.
Was ihm aber ohne Zweifel dabei am meisten auffiel,
war, daß man so wenig darauf achtete, ob ein deut-
scher Souverain auf der Diligence sitze oder nicht.

Die Irländerin verlor über eine ſo ehrenrührige
Beleidigung allen Reſpekt, riß ſich aus den Armen
der ſie, noch an der Saalthür, vergebens zurück hal-
tenden Gefährtinnen los, ſtürzte mit untergeſtemm-
ten Händen auf den Beleidiger zu, und überſchüttete
ihn nun mit einer ſolchen Fluth ächt nationaler Be-
nennungen, daß dieſer, vor der empörten virago er-
blaſſend, das Feld räumte. Noch einmal ſo laut als
gewöhnlich: my Stippers! brüllend, eilte er, ohne
ferneren Verſuch, der Köchin die Spitze zu bieten,
ſchleunigſt ſeiner Schlafſtube im dritten Stocke zu;
denn Du weißt, daß, wie im Colombier, die Nacht-
lager ſich hier ſtes unter dem Dache befinden.

Als der verſtorbene Großherzog von W . . . . in
England war, bekam er auch Luſt, allein und incog-
nito mit der Stage zu reiſen, um dieſe Art Leben
kennen zu lernen. Es amüſirte ihn ſehr; am näch-
ſten Morgen war er aber nicht wenig verwundert,
als ihm der boots, nouchalamment, mit den Worten
die Stiefeln brachte: Ich hoffe, daß Euere Königl. Ho-
heit recht wohl geſchlafen haben! Er glaubte indeß, viel-
leicht falſch verſtanden zu haben, und ſetzte ſeine
Reiſe, auf der imperiale ſitzend, fort. Den nächſten
Morgen dieſelbe Titulatur. Nun frug er genauer
nach, und es fand ſich, daß im Innern ſeines Man-
tels eine Carte, mit ſeinem wahren Namen und
Stand, angeheftet war, die das incognito vernichtete.
Was ihm aber ohne Zweifel dabei am meiſten auffiel,
war, daß man ſo wenig darauf achtete, ob ein deut-
ſcher Souverain auf der Diligence ſitze oder nicht.

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[210/0234] Die Irländerin verlor über eine ſo ehrenrührige Beleidigung allen Reſpekt, riß ſich aus den Armen der ſie, noch an der Saalthür, vergebens zurück hal- tenden Gefährtinnen los, ſtürzte mit untergeſtemm- ten Händen auf den Beleidiger zu, und überſchüttete ihn nun mit einer ſolchen Fluth ächt nationaler Be- nennungen, daß dieſer, vor der empörten virago er- blaſſend, das Feld räumte. Noch einmal ſo laut als gewöhnlich: my Stippers! brüllend, eilte er, ohne ferneren Verſuch, der Köchin die Spitze zu bieten, ſchleunigſt ſeiner Schlafſtube im dritten Stocke zu; denn Du weißt, daß, wie im Colombier, die Nacht- lager ſich hier ſtes unter dem Dache befinden. Als der verſtorbene Großherzog von W . . . . in England war, bekam er auch Luſt, allein und incog- nito mit der Stage zu reiſen, um dieſe Art Leben kennen zu lernen. Es amüſirte ihn ſehr; am näch- ſten Morgen war er aber nicht wenig verwundert, als ihm der boots, nouchalamment, mit den Worten die Stiefeln brachte: Ich hoffe, daß Euere Königl. Ho- heit recht wohl geſchlafen haben! Er glaubte indeß, viel- leicht falſch verſtanden zu haben, und ſetzte ſeine Reiſe, auf der imperiale ſitzend, fort. Den nächſten Morgen dieſelbe Titulatur. Nun frug er genauer nach, und es fand ſich, daß im Innern ſeines Man- tels eine Carte, mit ſeinem wahren Namen und Stand, angeheftet war, die das incognito vernichtete. Was ihm aber ohne Zweifel dabei am meiſten auffiel, war, daß man ſo wenig darauf achtete, ob ein deut- ſcher Souverain auf der Diligence ſitze oder nicht.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/234>, abgerufen am 26.11.2024.