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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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rige Welt verschloß. Dies ist die Pracht, welche sich
die Natur allein vorbehalten hat, und die selbst Clau-
de's Pinsel nicht nachahmen könnte.

Den Heimweg entlang erzählte mir mein junger
Begleiter unaufhörlich von Mistriß L ..., die er,
wie ich wohl sah, nicht ungestraft, wie die Mücke das
Licht, so lange umspielt hatte. Nie sagte er, unter
andern, bemerkte ich, bei aller ihrer Lebhaftigkeit,
auch nur einen Augenblick, üble Laune oder Unge-
duld an ihr -- nie hatte eine Frau ein besseres
"temper." Dieses Wort ist, eben so wie gentle,
unübersetzbar -- nur eine Nation, die das Wort
comfort erfinden konnte, war zugleich fähig, temper
zu erdenken -- denn temper ist in der That im Gei-
stigen, was comfort im Materiellen. Es ist der be-
haglichste Zustand der Seele, und das größte Glück,
sowohl für die, welche es besitzen, als für die, welche
es an Andern genießen. Vollkommen wird es vielleicht
nur beim Weibe gefunden, weil es mehr duldender,
als thätiger Natur ist. Dennoch muß man es von
bloßer Apathie sehr unterscheiden, welche Andere ent-
weder langweilt, oder Aerger und Zorn nur vermehrt,
während temper Alles beruhigt und mildert. Es ist
ein ächt frommes, liebendes und heitres Prinzip,
mild und kühlend wie ein wolkenloser Maitag. Mit
gentleness im Charakter, comfort im Hause und
temper in seiner Frau, ist die irdische Seligkeit eines
Mannes erschöpft. Temper, im höchsten Potenz, ist
ohne Zweifel einer der seltensten Eigenschaften -- die
Folge einer vollendeten Harmonie (Gleichgewichts)

rige Welt verſchloß. Dies iſt die Pracht, welche ſich
die Natur allein vorbehalten hat, und die ſelbſt Clau-
de’s Pinſel nicht nachahmen könnte.

Den Heimweg entlang erzählte mir mein junger
Begleiter unaufhörlich von Miſtriß L …, die er,
wie ich wohl ſah, nicht ungeſtraft, wie die Mücke das
Licht, ſo lange umſpielt hatte. Nie ſagte er, unter
andern, bemerkte ich, bei aller ihrer Lebhaftigkeit,
auch nur einen Augenblick, üble Laune oder Unge-
duld an ihr — nie hatte eine Frau ein beſſeres
„temper.“ Dieſes Wort iſt, eben ſo wie gentle,
unüberſetzbar — nur eine Nation, die das Wort
comfort erfinden konnte, war zugleich fähig, temper
zu erdenken — denn temper iſt in der That im Gei-
ſtigen, was comfort im Materiellen. Es iſt der be-
haglichſte Zuſtand der Seele, und das größte Glück,
ſowohl für die, welche es beſitzen, als für die, welche
es an Andern genießen. Vollkommen wird es vielleicht
nur beim Weibe gefunden, weil es mehr duldender,
als thätiger Natur iſt. Dennoch muß man es von
bloßer Apathie ſehr unterſcheiden, welche Andere ent-
weder langweilt, oder Aerger und Zorn nur vermehrt,
während temper Alles beruhigt und mildert. Es iſt
ein ächt frommes, liebendes und heitres Prinzip,
mild und kühlend wie ein wolkenloſer Maitag. Mit
gentleness im Charakter, comfort im Hauſe und
temper in ſeiner Frau, iſt die irdiſche Seligkeit eines
Mannes erſchöpft. Temper, im höchſten Potenz, iſt
ohne Zweifel einer der ſeltenſten Eigenſchaften — die
Folge einer vollendeten Harmonie (Gleichgewichts)

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[240/0264] rige Welt verſchloß. Dies iſt die Pracht, welche ſich die Natur allein vorbehalten hat, und die ſelbſt Clau- de’s Pinſel nicht nachahmen könnte. Den Heimweg entlang erzählte mir mein junger Begleiter unaufhörlich von Miſtriß L …, die er, wie ich wohl ſah, nicht ungeſtraft, wie die Mücke das Licht, ſo lange umſpielt hatte. Nie ſagte er, unter andern, bemerkte ich, bei aller ihrer Lebhaftigkeit, auch nur einen Augenblick, üble Laune oder Unge- duld an ihr — nie hatte eine Frau ein beſſeres „temper.“ Dieſes Wort iſt, eben ſo wie gentle, unüberſetzbar — nur eine Nation, die das Wort comfort erfinden konnte, war zugleich fähig, temper zu erdenken — denn temper iſt in der That im Gei- ſtigen, was comfort im Materiellen. Es iſt der be- haglichſte Zuſtand der Seele, und das größte Glück, ſowohl für die, welche es beſitzen, als für die, welche es an Andern genießen. Vollkommen wird es vielleicht nur beim Weibe gefunden, weil es mehr duldender, als thätiger Natur iſt. Dennoch muß man es von bloßer Apathie ſehr unterſcheiden, welche Andere ent- weder langweilt, oder Aerger und Zorn nur vermehrt, während temper Alles beruhigt und mildert. Es iſt ein ächt frommes, liebendes und heitres Prinzip, mild und kühlend wie ein wolkenloſer Maitag. Mit gentleness im Charakter, comfort im Hauſe und temper in ſeiner Frau, iſt die irdiſche Seligkeit eines Mannes erſchöpft. Temper, im höchſten Potenz, iſt ohne Zweifel einer der ſeltenſten Eigenſchaften — die Folge einer vollendeten Harmonie (Gleichgewichts)

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/264>, abgerufen am 22.11.2024.