bot, suchte er sie zu demüthigen, sie in Verlegenheit zu setzen, mit wegwerfendem Stolz zu kränken, oder mit tief beleidigenden Vorwürfen zu überhäufen, bis -- der geheimen Schuld sich bewußt -- Scham und Empörung die Aermste überwältigten, und sie in Thränenströme ausbrach, deren Anblick allein ihm eine Labung gab, wie sie den Verdammten während ihrer Qualen zu Theil werden mag. Doch keine wohlthuende Versöhnung folgte auf diese Scenen, und löste, wie bei Liebenden, die Dissonanz in selige Harmonie auf -- jede derselben steigerte nur immer mehr seine Wuth, bis zum Rande der Verzweif- lung. Als er aber nun auch in dem, der Verstel- lung so wenig fähigen Gomez, dasselbe Feuer auf- lodern sah, das in Anna's Augen brannte, als er seine Schwester schon vernachläßigt, sich selbst aber, wie er meinte, von einer im Busen genährten Schlange verrathen fand -- da erreichte sein Zustand jenen Grad menschlicher Gebrechlichkeit, von dem nur der Allwissende entscheidet, ob er schon Wahn- sinn, oder noch der Zurechnung fähig sey.
An demselben Abend, wo der Argwohn Edward ruhelos von seinem Lager in die Nacht hinaustrieb, scheint es, daß die Liebenden, vielleicht zum ersten- mal, eine heimliche Zusammenkunft gehabt. -- Der spätern Aussage Edwards nach, erblickte er, selbst hinter einen Pfeiler verborgen, mit schüchternen Schritten Gomez, in seinen Mantel gehüllt, aus dem Blake'schen Hause schleichen -- aus einer wohl- bekannten Seitenpforte, die zu Anna's Zimmern
18*
bot, ſuchte er ſie zu demüthigen, ſie in Verlegenheit zu ſetzen, mit wegwerfendem Stolz zu kränken, oder mit tief beleidigenden Vorwürfen zu überhäufen, bis — der geheimen Schuld ſich bewußt — Scham und Empörung die Aermſte überwältigten, und ſie in Thränenſtröme ausbrach, deren Anblick allein ihm eine Labung gab, wie ſie den Verdammten während ihrer Qualen zu Theil werden mag. Doch keine wohlthuende Verſöhnung folgte auf dieſe Scenen, und löste, wie bei Liebenden, die Diſſonanz in ſelige Harmonie auf — jede derſelben ſteigerte nur immer mehr ſeine Wuth, bis zum Rande der Verzweif- lung. Als er aber nun auch in dem, der Verſtel- lung ſo wenig fähigen Gomez, daſſelbe Feuer auf- lodern ſah, das in Anna’s Augen brannte, als er ſeine Schweſter ſchon vernachläßigt, ſich ſelbſt aber, wie er meinte, von einer im Buſen genährten Schlange verrathen fand — da erreichte ſein Zuſtand jenen Grad menſchlicher Gebrechlichkeit, von dem nur der Allwiſſende entſcheidet, ob er ſchon Wahn- ſinn, oder noch der Zurechnung fähig ſey.
An demſelben Abend, wo der Argwohn Edward ruhelos von ſeinem Lager in die Nacht hinaustrieb, ſcheint es, daß die Liebenden, vielleicht zum erſten- mal, eine heimliche Zuſammenkunft gehabt. — Der ſpätern Ausſage Edwards nach, erblickte er, ſelbſt hinter einen Pfeiler verborgen, mit ſchüchternen Schritten Gomez, in ſeinen Mantel gehüllt, aus dem Blake’ſchen Hauſe ſchleichen — aus einer wohl- bekannten Seitenpforte, die zu Anna’s Zimmern
18*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0299"n="275"/>
bot, ſuchte er ſie zu demüthigen, ſie in Verlegenheit<lb/>
zu ſetzen, mit wegwerfendem Stolz zu <choice><sic>krȧnken</sic><corr>kränken</corr></choice>, oder<lb/>
mit tief beleidigenden Vorwürfen zu <choice><sic>überhȧufen</sic><corr>überhäufen</corr></choice>, bis<lb/>— der geheimen Schuld ſich bewußt — Scham und<lb/>
Empörung die Aermſte überwältigten, und ſie in<lb/>
Thränenſtröme ausbrach, deren Anblick allein ihm<lb/>
eine Labung gab, wie ſie den Verdammten während<lb/>
ihrer Qualen zu Theil werden mag. Doch keine<lb/>
wohlthuende Verſöhnung folgte auf dieſe Scenen,<lb/>
und löste, wie bei Liebenden, die Diſſonanz in ſelige<lb/>
Harmonie auf — jede derſelben ſteigerte nur immer<lb/>
mehr ſeine Wuth, bis zum Rande der Verzweif-<lb/>
lung. Als er aber nun auch in dem, der Verſtel-<lb/>
lung ſo wenig fähigen Gomez, daſſelbe Feuer auf-<lb/>
lodern ſah, das in Anna’s Augen brannte, als er<lb/>ſeine Schweſter ſchon vernachläßigt, ſich ſelbſt aber,<lb/>
wie er meinte, von einer im Buſen genährten<lb/>
Schlange verrathen fand — da erreichte ſein Zuſtand<lb/>
jenen Grad menſchlicher Gebrechlichkeit, von dem<lb/>
nur der Allwiſſende entſcheidet, ob er ſchon Wahn-<lb/>ſinn, oder noch der Zurechnung fähig ſey.</p><lb/><p>An demſelben Abend, wo der Argwohn Edward<lb/>
ruhelos von ſeinem Lager in die Nacht hinaustrieb,<lb/>ſcheint es, daß die Liebenden, vielleicht zum erſten-<lb/>
mal, eine heimliche Zuſammenkunft gehabt. — Der<lb/>ſpätern Ausſage Edwards nach, erblickte er, ſelbſt<lb/>
hinter einen Pfeiler verborgen, mit ſchüchternen<lb/>
Schritten Gomez, in ſeinen Mantel gehüllt, aus<lb/>
dem Blake’ſchen Hauſe ſchleichen — aus einer wohl-<lb/>
bekannten Seitenpforte, die zu Anna’s Zimmern<lb/><fwplace="bottom"type="sig">18*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[275/0299]
bot, ſuchte er ſie zu demüthigen, ſie in Verlegenheit
zu ſetzen, mit wegwerfendem Stolz zu kränken, oder
mit tief beleidigenden Vorwürfen zu überhäufen, bis
— der geheimen Schuld ſich bewußt — Scham und
Empörung die Aermſte überwältigten, und ſie in
Thränenſtröme ausbrach, deren Anblick allein ihm
eine Labung gab, wie ſie den Verdammten während
ihrer Qualen zu Theil werden mag. Doch keine
wohlthuende Verſöhnung folgte auf dieſe Scenen,
und löste, wie bei Liebenden, die Diſſonanz in ſelige
Harmonie auf — jede derſelben ſteigerte nur immer
mehr ſeine Wuth, bis zum Rande der Verzweif-
lung. Als er aber nun auch in dem, der Verſtel-
lung ſo wenig fähigen Gomez, daſſelbe Feuer auf-
lodern ſah, das in Anna’s Augen brannte, als er
ſeine Schweſter ſchon vernachläßigt, ſich ſelbſt aber,
wie er meinte, von einer im Buſen genährten
Schlange verrathen fand — da erreichte ſein Zuſtand
jenen Grad menſchlicher Gebrechlichkeit, von dem
nur der Allwiſſende entſcheidet, ob er ſchon Wahn-
ſinn, oder noch der Zurechnung fähig ſey.
An demſelben Abend, wo der Argwohn Edward
ruhelos von ſeinem Lager in die Nacht hinaustrieb,
ſcheint es, daß die Liebenden, vielleicht zum erſten-
mal, eine heimliche Zuſammenkunft gehabt. — Der
ſpätern Ausſage Edwards nach, erblickte er, ſelbſt
hinter einen Pfeiler verborgen, mit ſchüchternen
Schritten Gomez, in ſeinen Mantel gehüllt, aus
dem Blake’ſchen Hauſe ſchleichen — aus einer wohl-
bekannten Seitenpforte, die zu Anna’s Zimmern
18*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/299>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.