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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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auf aber ihn selbst, seines Vaters Kniee umfassend,
sich als den Mörder Gonzalvo's anklagen, und seine
schnelle Bestrafung dringend verlangen hörte.

Gefesselt ward er zurückgebracht, und in voller
Sitzung des Magistrats, von seinem eignen Vater,
zum Tode verurtheilt. Aber das Volk wollte seinen
Liebling nicht verlieren. Wie die Wogen des vom
Sturm erregten Meeres erfüllte es Markt und
Straßen, die Schuld des Sohnes über der grausa-
men Gerechtigkeit des Vaters vergessend, mit drohen-
dem Toben verlangte es die Oeffnung des Gefäng-
nisses, und die Begnadigung des Verbrechers. Nur
mit Mühe konnten in der darauf folgenden Nacht,
durch verdoppelte Wachen, die immer erhitzter wer-
denden Empörer vom gewaltsamen Einbruch zurück
gehalten werden. Gegen Morgen aber meldete man
dem Maire, daß bald aller Widerstand vergeblich
seyn würde, da auch ein Theil der Soldaten sich auf
des Volkes Seite geschlagen, nur die fremden Söld-
ner noch aushielten, und Alles mit wüthendem Ge-
schrei des jungen Mannes Auslieferung angenblick-
lich verlange. Da faßte der unerschütterliche Mann
einen Entschluß, den Viele unmenschlich nennen wer-
den, dessen furchtbare Selbstüberwindung aber ge-
wiß zu den seltensten Beispielen stoischer Festigkeit
gehört. Von einem Priester begleitet, begab er sich
durch einen geheimen Gang in das Gefängniß sei-
nes Sohnes, und als dieser, mit neu erwachter Le-
benslust, ihm zu Füßen sank, und durch die Theil-

auf aber ihn ſelbſt, ſeines Vaters Kniee umfaſſend,
ſich als den Mörder Gonzalvo’s anklagen, und ſeine
ſchnelle Beſtrafung dringend verlangen hörte.

Gefeſſelt ward er zurückgebracht, und in voller
Sitzung des Magiſtrats, von ſeinem eignen Vater,
zum Tode verurtheilt. Aber das Volk wollte ſeinen
Liebling nicht verlieren. Wie die Wogen des vom
Sturm erregten Meeres erfüllte es Markt und
Straßen, die Schuld des Sohnes über der grauſa-
men Gerechtigkeit des Vaters vergeſſend, mit drohen-
dem Toben verlangte es die Oeffnung des Gefäng-
niſſes, und die Begnadigung des Verbrechers. Nur
mit Mühe konnten in der darauf folgenden Nacht,
durch verdoppelte Wachen, die immer erhitzter wer-
denden Empörer vom gewaltſamen Einbruch zurück
gehalten werden. Gegen Morgen aber meldete man
dem Maire, daß bald aller Widerſtand vergeblich
ſeyn würde, da auch ein Theil der Soldaten ſich auf
des Volkes Seite geſchlagen, nur die fremden Söld-
ner noch aushielten, und Alles mit wüthendem Ge-
ſchrei des jungen Mannes Auslieferung angenblick-
lich verlange. Da faßte der unerſchütterliche Mann
einen Entſchluß, den Viele unmenſchlich nennen wer-
den, deſſen furchtbare Selbſtüberwindung aber ge-
wiß zu den ſeltenſten Beiſpielen ſtoiſcher Feſtigkeit
gehört. Von einem Prieſter begleitet, begab er ſich
durch einen geheimen Gang in das Gefängniß ſei-
nes Sohnes, und als dieſer, mit neu erwachter Le-
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[278/0302] auf aber ihn ſelbſt, ſeines Vaters Kniee umfaſſend, ſich als den Mörder Gonzalvo’s anklagen, und ſeine ſchnelle Beſtrafung dringend verlangen hörte. Gefeſſelt ward er zurückgebracht, und in voller Sitzung des Magiſtrats, von ſeinem eignen Vater, zum Tode verurtheilt. Aber das Volk wollte ſeinen Liebling nicht verlieren. Wie die Wogen des vom Sturm erregten Meeres erfüllte es Markt und Straßen, die Schuld des Sohnes über der grauſa- men Gerechtigkeit des Vaters vergeſſend, mit drohen- dem Toben verlangte es die Oeffnung des Gefäng- niſſes, und die Begnadigung des Verbrechers. Nur mit Mühe konnten in der darauf folgenden Nacht, durch verdoppelte Wachen, die immer erhitzter wer- denden Empörer vom gewaltſamen Einbruch zurück gehalten werden. Gegen Morgen aber meldete man dem Maire, daß bald aller Widerſtand vergeblich ſeyn würde, da auch ein Theil der Soldaten ſich auf des Volkes Seite geſchlagen, nur die fremden Söld- ner noch aushielten, und Alles mit wüthendem Ge- ſchrei des jungen Mannes Auslieferung angenblick- lich verlange. Da faßte der unerſchütterliche Mann einen Entſchluß, den Viele unmenſchlich nennen wer- den, deſſen furchtbare Selbſtüberwindung aber ge- wiß zu den ſeltenſten Beiſpielen ſtoiſcher Feſtigkeit gehört. Von einem Prieſter begleitet, begab er ſich durch einen geheimen Gang in das Gefängniß ſei- nes Sohnes, und als dieſer, mit neu erwachter Le- bensluſt, ihm zu Füßen ſank, und durch die Theil-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/302>, abgerufen am 22.11.2024.