Um 10 Uhr langte endlich mein Wagen an, und ich verließ sogleich Gallway. So lange die Gegend eintönig blieb, brachte ich meine Zeit mit Lesen hin. Bei Gort wird aber das Land wieder interessanter, und ein Fluß strömt unweit davon, der sich, wie bei Cong, mehrmals in die Erde verliert. Einer der tiefsten Kessel, die er bildet, wird von den Ein- wohnern "the punch bowl" genannt. Um solche Bowlen zu füllen, bedürfte man noch größerer Fäs- ser als das Heidelberger. Man beginnt nun sich den Bergen von Clare zu nähern, und die Natur beklei- det sich immer mehr mit ihren malerischen Gewän- dern. Ein schöner Park, dem Lord Gort gehörig, überraschte mich durch eine prachtvolle Scene. Er schließt sich nämlich an einen weiten See mit drei- zehn schön bewaldeten Inseln an, die, mit dem Ge- bürge im Hintergrunde, und der nirgends ganz zu übersehenden Wassermasse davor, eine grandiose Wir- kung hervorbringen. Eins der elenden Postpferde schien mein Wohlgefallen an diesem Orte so sehr zu theilen, daß es nicht mehr davon wegzubringen war. Nach vielen vergeblichen Versuchen, es aus der gefaßten Position zu treiben, wobei der Postillon immer versicherte, es sey nur dieser Fleck, den es so liebe, hätten wir es einmal darüber hinweg, so ginge es wie der leibhaftige Teufel -- mußten wir es endlich ausspannen, da es auch zu schlagen und das morsche Geschirr zu zerreißen begann. Ge-
Limmerick, den 21ſten.
Um 10 Uhr langte endlich mein Wagen an, und ich verließ ſogleich Gallway. So lange die Gegend eintönig blieb, brachte ich meine Zeit mit Leſen hin. Bei Gort wird aber das Land wieder intereſſanter, und ein Fluß ſtrömt unweit davon, der ſich, wie bei Cong, mehrmals in die Erde verliert. Einer der tiefſten Keſſel, die er bildet, wird von den Ein- wohnern „the punch bowl“ genannt. Um ſolche Bowlen zu füllen, bedürfte man noch größerer Fäſ- ſer als das Heidelberger. Man beginnt nun ſich den Bergen von Clare zu nähern, und die Natur beklei- det ſich immer mehr mit ihren maleriſchen Gewän- dern. Ein ſchöner Park, dem Lord Gort gehörig, überraſchte mich durch eine prachtvolle Scene. Er ſchließt ſich nämlich an einen weiten See mit drei- zehn ſchön bewaldeten Inſeln an, die, mit dem Ge- bürge im Hintergrunde, und der nirgends ganz zu überſehenden Waſſermaſſe davor, eine grandioſe Wir- kung hervorbringen. Eins der elenden Poſtpferde ſchien mein Wohlgefallen an dieſem Orte ſo ſehr zu theilen, daß es nicht mehr davon wegzubringen war. Nach vielen vergeblichen Verſuchen, es aus der gefaßten Poſition zu treiben, wobei der Poſtillon immer verſicherte, es ſey nur dieſer Fleck, den es ſo liebe, hätten wir es einmal darüber hinweg, ſo ginge es wie der leibhaftige Teufel — mußten wir es endlich ausſpannen, da es auch zu ſchlagen und das morſche Geſchirr zu zerreißen begann. Ge-
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Limmerick, den 21ſten.
Um 10 Uhr langte endlich mein Wagen an, und
ich verließ ſogleich Gallway. So lange die Gegend
eintönig blieb, brachte ich meine Zeit mit Leſen hin.
Bei Gort wird aber das Land wieder intereſſanter,
und ein Fluß ſtrömt unweit davon, der ſich, wie
bei Cong, mehrmals in die Erde verliert. Einer
der tiefſten Keſſel, die er bildet, wird von den Ein-
wohnern „the punch bowl“ genannt. Um ſolche
Bowlen zu füllen, bedürfte man noch größerer Fäſ-
ſer als das Heidelberger. Man beginnt nun ſich den
Bergen von Clare zu nähern, und die Natur beklei-
det ſich immer mehr mit ihren maleriſchen Gewän-
dern. Ein ſchöner Park, dem Lord Gort gehörig,
überraſchte mich durch eine prachtvolle Scene. Er
ſchließt ſich nämlich an einen weiten See mit drei-
zehn ſchön bewaldeten Inſeln an, die, mit dem Ge-
bürge im Hintergrunde, und der nirgends ganz zu
überſehenden Waſſermaſſe davor, eine grandioſe Wir-
kung hervorbringen. Eins der elenden Poſtpferde
ſchien mein Wohlgefallen an dieſem Orte ſo ſehr zu
theilen, daß es nicht mehr davon wegzubringen
war. Nach vielen vergeblichen Verſuchen, es aus der
gefaßten Poſition zu treiben, wobei der Poſtillon
immer verſicherte, es ſey nur dieſer Fleck, den es
ſo liebe, hätten wir es einmal darüber hinweg,
ſo ginge es wie der leibhaftige Teufel — mußten
wir es endlich ausſpannen, da es auch zu ſchlagen
und das morſche Geſchirr zu zerreißen begann. Ge-
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/305>, abgerufen am 23.11.2024.
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