Diesen Morgen empfing mich wieder der Ruf: "Long life to Napoleon and to Your honour!" und während mein Wagen, mit meinem Kammerdiener darin, den man diesmal für Napoleons Sohn nahm, unter Vivatgeschrei abfuhr, schlich ich mich heimlich, mit dem Hausknecht, der meinen Nachtsack trug, zur Hinterthür hinaus, um einen Platz auf der Diligence zu nehmen, die mich nach dem See von Killarney bringen sollte. Meine Leute hatten Befehl, mich in Cashel zu erwarten, wo ich in 14 Tagen sie einzu- holen denke.
In meinem jetzigen einfachen Aufzug fiel es keinem Menschen mehr ein, mir mit Ehrenbezeugungen be- schwerlich zu fallen, und ich konnte nicht umhin, bei Gelegenheit dieser offenbaren Farce darüber zu philosophiren, daß aller Ehrgeiz doch auch nur zu einer verdeckten führt. Gewiß von allen Träumen dieses Lebens ist dieses der schattenartigste! Liebe befriedigt zuweilen, Wissenschaft beruhigt, Kunst er- freut, aber Ehrgeiz -- Ehrgeiz giebt nur den qual- vollen Genuß eines Hungers, den nichts stillen kann, oder gleicht der Jagd nach einem Phantom, das im- mer unerreichbar bleibt.
Nach einer Viertelstunde war ich ganz bequem in meiner Diligence etablirt. Außer den Passagieren auf der Imperiale, bestand die Gesellschaft aus einer dicken jovialen Frau, einer andern, sehr magern, einer
Trallee, den 23ſten.
Dieſen Morgen empfing mich wieder der Ruf: „Long life to Napoléon and to Your honour!“ und während mein Wagen, mit meinem Kammerdiener darin, den man diesmal für Napoleons Sohn nahm, unter Vivatgeſchrei abfuhr, ſchlich ich mich heimlich, mit dem Hausknecht, der meinen Nachtſack trug, zur Hinterthür hinaus, um einen Platz auf der Diligence zu nehmen, die mich nach dem See von Killarney bringen ſollte. Meine Leute hatten Befehl, mich in Caſhel zu erwarten, wo ich in 14 Tagen ſie einzu- holen denke.
In meinem jetzigen einfachen Aufzug fiel es keinem Menſchen mehr ein, mir mit Ehrenbezeugungen be- ſchwerlich zu fallen, und ich konnte nicht umhin, bei Gelegenheit dieſer offenbaren Farce darüber zu philoſophiren, daß aller Ehrgeiz doch auch nur zu einer verdeckten führt. Gewiß von allen Träumen dieſes Lebens iſt dieſes der ſchattenartigſte! Liebe befriedigt zuweilen, Wiſſenſchaft beruhigt, Kunſt er- freut, aber Ehrgeiz — Ehrgeiz giebt nur den qual- vollen Genuß eines Hungers, den nichts ſtillen kann, oder gleicht der Jagd nach einem Phantom, das im- mer unerreichbar bleibt.
Nach einer Viertelſtunde war ich ganz bequem in meiner Diligence etablirt. Außer den Paſſagieren auf der Imperiale, beſtand die Geſellſchaft aus einer dicken jovialen Frau, einer andern, ſehr magern, einer
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0312"n="288"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Trallee, den 23<hirendition="#sup">ſten.</hi></hi></dateline></opener><lb/><p>Dieſen Morgen empfing mich wieder der Ruf:<lb/><hirendition="#aq">„Long life to Napoléon and to Your honour!“</hi> und<lb/><choice><sic>wȧhrend</sic><corr>während</corr></choice> mein Wagen, mit meinem Kammerdiener<lb/>
darin, den man diesmal für Napoleons Sohn nahm,<lb/>
unter Vivatgeſchrei abfuhr, ſchlich ich mich heimlich,<lb/>
mit dem Hausknecht, der meinen Nachtſack trug, zur<lb/>
Hinterthür hinaus, um einen Platz auf der Diligence<lb/>
zu nehmen, die mich nach dem See von Killarney<lb/>
bringen ſollte. Meine Leute hatten Befehl, mich in<lb/>
Caſhel zu erwarten, wo ich in 14 Tagen ſie einzu-<lb/>
holen denke.</p><lb/><p>In meinem jetzigen einfachen Aufzug fiel es keinem<lb/>
Menſchen mehr ein, mir mit Ehrenbezeugungen be-<lb/>ſchwerlich zu fallen, und ich konnte nicht umhin, bei<lb/>
Gelegenheit dieſer <hirendition="#g">offenbaren</hi> Farce darüber zu<lb/>
philoſophiren, daß aller Ehrgeiz doch auch nur zu<lb/>
einer <hirendition="#g">verdeckten</hi> führt. Gewiß von allen <choice><sic>Trȧumen</sic><corr>Träumen</corr></choice><lb/>
dieſes Lebens iſt dieſes der ſchattenartigſte! Liebe<lb/>
befriedigt zuweilen, Wiſſenſchaft beruhigt, Kunſt er-<lb/>
freut, aber Ehrgeiz — Ehrgeiz giebt nur den qual-<lb/>
vollen Genuß eines Hungers, den nichts ſtillen kann,<lb/>
oder gleicht der Jagd nach einem Phantom, das im-<lb/>
mer unerreichbar bleibt.</p><lb/><p>Nach einer Viertelſtunde war ich ganz bequem in<lb/>
meiner Diligence etablirt. Außer den Paſſagieren<lb/>
auf der Imperiale, beſtand die Geſellſchaft aus einer<lb/>
dicken jovialen Frau, einer andern, ſehr magern, einer<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[288/0312]
Trallee, den 23ſten.
Dieſen Morgen empfing mich wieder der Ruf:
„Long life to Napoléon and to Your honour!“ und
während mein Wagen, mit meinem Kammerdiener
darin, den man diesmal für Napoleons Sohn nahm,
unter Vivatgeſchrei abfuhr, ſchlich ich mich heimlich,
mit dem Hausknecht, der meinen Nachtſack trug, zur
Hinterthür hinaus, um einen Platz auf der Diligence
zu nehmen, die mich nach dem See von Killarney
bringen ſollte. Meine Leute hatten Befehl, mich in
Caſhel zu erwarten, wo ich in 14 Tagen ſie einzu-
holen denke.
In meinem jetzigen einfachen Aufzug fiel es keinem
Menſchen mehr ein, mir mit Ehrenbezeugungen be-
ſchwerlich zu fallen, und ich konnte nicht umhin, bei
Gelegenheit dieſer offenbaren Farce darüber zu
philoſophiren, daß aller Ehrgeiz doch auch nur zu
einer verdeckten führt. Gewiß von allen Träumen
dieſes Lebens iſt dieſes der ſchattenartigſte! Liebe
befriedigt zuweilen, Wiſſenſchaft beruhigt, Kunſt er-
freut, aber Ehrgeiz — Ehrgeiz giebt nur den qual-
vollen Genuß eines Hungers, den nichts ſtillen kann,
oder gleicht der Jagd nach einem Phantom, das im-
mer unerreichbar bleibt.
Nach einer Viertelſtunde war ich ganz bequem in
meiner Diligence etablirt. Außer den Paſſagieren
auf der Imperiale, beſtand die Geſellſchaft aus einer
dicken jovialen Frau, einer andern, ſehr magern, einer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/312>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.