Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

rung nicht mehr daran zweifeln) daß, wenn hier die
Pferde müde und faul sind, (was leider nur zu oft
statt findet) nur der Postillon Schnaps zu trin-
ken braucht, um jene wieder sichtbar zu erheitern
und muthig zu machen. Die Weisheit der Natur
und ihre verborgenen Kräfte sind unergründlich! --
Das eben erwähnte Phänomen erklärt sich indeß viel-
leicht aus der bekannten Erfahrung, daß Wein in den
Fässern zu gähren anfängt, wenn der Weinstock
blüht.*) Auf der letzten Station vor Torgau bekam
mein Begleiter, der Gardelieutenant Graf S ... aus
Potsdam, bei dem das Reich der Gnade noch gar
nicht zum Durchbruch gekommen ist, und der sich des-
halb auch noch jeden Augenblick über weltliche Dinge
so unnütz ereifert -- Händel mit unserm Postillon,
und ward so böse, daß er ihn, mit dem Stocke dro-
hend, einen Sächsischen Hund nannte. "O Jeses
nein, mein knädger Herr Leutnant" erwiederte
dieser recht albern, "da erren Se sich, mer sind ja
schon seit mehr als zehn Jahren Preißische Hunde."
Man sieht doch, daß es den Leuten hier noch ganz
an unsrer nationalen Bildung fehlt.

2., Nach meinem schickungsreichen Unglücksfall
am 6ten Juli 1827.

Vier Wochen lang konnte ich nicht schreiben! dank-
bar und tiefgerührt ergreife ich heute zum erstenmale

*) NB. nicht zu vergessen: unsern gelehrten Professor
Blindemann zu fragen, was er von dieser Auslegung
hält?
Briefe eines Verstorbenen. I. 4

rung nicht mehr daran zweifeln) daß, wenn hier die
Pferde müde und faul ſind, (was leider nur zu oft
ſtatt findet) nur der Poſtillon Schnaps zu trin-
ken braucht, um jene wieder ſichtbar zu erheitern
und muthig zu machen. Die Weisheit der Natur
und ihre verborgenen Kräfte ſind unergründlich! —
Das eben erwähnte Phänomen erklärt ſich indeß viel-
leicht aus der bekannten Erfahrung, daß Wein in den
Fäſſern zu gähren anfängt, wenn der Weinſtock
blüht.*) Auf der letzten Station vor Torgau bekam
mein Begleiter, der Gardelieutenant Graf S … aus
Potsdam, bei dem das Reich der Gnade noch gar
nicht zum Durchbruch gekommen iſt, und der ſich des-
halb auch noch jeden Augenblick über weltliche Dinge
ſo unnütz ereifert — Händel mit unſerm Poſtillon,
und ward ſo böſe, daß er ihn, mit dem Stocke dro-
hend, einen Sächſiſchen Hund nannte. „O Jeſes
nein, mein knädger Herr Leutnant“ erwiederte
dieſer recht albern, „da erren Se ſich, mer ſind ja
ſchon ſeit mehr als zehn Jahren Preißiſche Hunde.“
Man ſieht doch, daß es den Leuten hier noch ganz
an unſrer nationalen Bildung fehlt.

2., Nach meinem ſchickungsreichen Unglücksfall
am 6ten Juli 1827.

Vier Wochen lang konnte ich nicht ſchreiben! dank-
bar und tiefgerührt ergreife ich heute zum erſtenmale

*) NB. nicht zu vergeſſen: unſern gelehrten Profeſſor
Blindemann zu fragen, was er von dieſer Auslegung
hält?
Briefe eines Verſtorbenen. I. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0073" n="49"/>
rung nicht mehr daran zweifeln) daß, wenn hier die<lb/>
Pferde müde und faul &#x017F;ind, (was leider nur zu oft<lb/>
&#x017F;tatt findet) nur der <hi rendition="#g">Po&#x017F;tillon</hi> Schnaps zu trin-<lb/>
ken braucht, um <hi rendition="#g">jene</hi> wieder &#x017F;ichtbar zu erheitern<lb/>
und muthig zu machen. Die Weisheit der Natur<lb/>
und ihre verborgenen Kräfte &#x017F;ind unergründlich! &#x2014;<lb/>
Das eben erwähnte Phänomen erklärt &#x017F;ich indeß viel-<lb/>
leicht aus der bekannten Erfahrung, daß Wein in den<lb/>&#x017F;&#x017F;ern zu gähren anfängt, wenn der Wein&#x017F;tock<lb/>
blüht.<note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">NB.</hi> nicht zu verge&#x017F;&#x017F;en: un&#x017F;ern gelehrten Profe&#x017F;&#x017F;or<lb/>
Blindemann zu fragen, was er von die&#x017F;er Auslegung<lb/>
hält?</note> Auf der letzten Station vor Torgau bekam<lb/>
mein Begleiter, der Gardelieutenant Graf S &#x2026; aus<lb/>
Potsdam, bei dem das Reich der Gnade noch gar<lb/>
nicht zum Durchbruch gekommen i&#x017F;t, und der &#x017F;ich des-<lb/>
halb auch noch jeden Augenblick über weltliche Dinge<lb/>
&#x017F;o unnütz ereifert &#x2014; <choice><sic>Ha&#x0307;ndel</sic><corr>Händel</corr></choice> mit un&#x017F;erm Po&#x017F;tillon,<lb/>
und ward &#x017F;o bö&#x017F;e, daß er ihn, mit dem Stocke dro-<lb/>
hend, einen Säch&#x017F;i&#x017F;chen Hund nannte. &#x201E;O Je&#x017F;es<lb/>
nein, mein knädger Herr Leutnant&#x201C; erwiederte<lb/>
die&#x017F;er recht albern, &#x201E;da erren Se &#x017F;ich, mer &#x017F;ind ja<lb/>
&#x017F;chon &#x017F;eit mehr als zehn Jahren Preißi&#x017F;che Hunde.&#x201C;<lb/>
Man &#x017F;ieht doch, daß es den Leuten hier noch ganz<lb/>
an un&#x017F;rer nationalen Bildung fehlt.</p><lb/>
          <list>
            <item>2., Nach meinem &#x017F;chickungsreichen Unglücksfall<lb/>
am 6ten Juli 1827.</item>
          </list><lb/>
          <p>Vier Wochen lang konnte ich nicht &#x017F;chreiben! dank-<lb/>
bar und tiefgerührt ergreife ich heute zum er&#x017F;tenmale<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Briefe eines Ver&#x017F;torbenen. <hi rendition="#aq">I.</hi> 4</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0073] rung nicht mehr daran zweifeln) daß, wenn hier die Pferde müde und faul ſind, (was leider nur zu oft ſtatt findet) nur der Poſtillon Schnaps zu trin- ken braucht, um jene wieder ſichtbar zu erheitern und muthig zu machen. Die Weisheit der Natur und ihre verborgenen Kräfte ſind unergründlich! — Das eben erwähnte Phänomen erklärt ſich indeß viel- leicht aus der bekannten Erfahrung, daß Wein in den Fäſſern zu gähren anfängt, wenn der Weinſtock blüht. *) Auf der letzten Station vor Torgau bekam mein Begleiter, der Gardelieutenant Graf S … aus Potsdam, bei dem das Reich der Gnade noch gar nicht zum Durchbruch gekommen iſt, und der ſich des- halb auch noch jeden Augenblick über weltliche Dinge ſo unnütz ereifert — Händel mit unſerm Poſtillon, und ward ſo böſe, daß er ihn, mit dem Stocke dro- hend, einen Sächſiſchen Hund nannte. „O Jeſes nein, mein knädger Herr Leutnant“ erwiederte dieſer recht albern, „da erren Se ſich, mer ſind ja ſchon ſeit mehr als zehn Jahren Preißiſche Hunde.“ Man ſieht doch, daß es den Leuten hier noch ganz an unſrer nationalen Bildung fehlt. 2., Nach meinem ſchickungsreichen Unglücksfall am 6ten Juli 1827. Vier Wochen lang konnte ich nicht ſchreiben! dank- bar und tiefgerührt ergreife ich heute zum erſtenmale *) NB. nicht zu vergeſſen: unſern gelehrten Profeſſor Blindemann zu fragen, was er von dieſer Auslegung hält? Briefe eines Verſtorbenen. I. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/73
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/73>, abgerufen am 24.11.2024.