nichts weniger als devot war. Als der neben mir Sitzende eine leichte Verwunderung darüber bei mir bemerkte, sagte er mir ins Ohr: Hier vergessen wir jetzt den fremden . . . . . . . ., den Erzbischof und die Geistlichen -- hier bei Tisch sind wir alle Gentle- men, und freuen uns des Lebens. Dieser Mann war der unbestrittene Abkömmling eines alten irischen Königgeschlechts, und obgleich es ihm jetzt keine Aus- zeichnung mehr verlieh, so war er doch nicht wenig stolz darauf. "Eine seltsame Wohnung habe ich dazu für einen Geistlichen," sagte er zu mir. "Wenn Sie Irland je wieder besuchen, gönnen Sie mir vielleicht die Ehre, Ihnen die Honneurs davon zu machen. Sie liegt gerade unter dem Teufelsbiß -- und eine schö- nere Aussicht als von diesem Biß bietet ganz Irland nicht." Er machte nachher noch die Bemerkung, daß: katholisch zu seyn, in diesem Königreich schon für ein Adelsdiplom gelten könne, denn nur neue Familien seyen protestantisch, die Katholiken müßten nothwen- dig alt seyn, da sie, schon seit der Reformation, keine Proselyten mehr machten. Die Melodieen der Lieder welche man sang, hatten eine auffallende Aehn- lichkeit mit denen der Wenden, wie ich überhaupt zwischen beiden Völkern viel gleiche Beziehungen finde. Beide fabriciren und lieben ausschließlich reinen Korn- branntwein (Whiskey), und leben fast allein von Kar- toffeln; beider Nationalmusik kennt nur den Dudel- sack, sie lieben leidenschaftlich Gesang und Tanz, und doch sind ihre Melodieen stets melancholisch; beide sind unterdrückt durch eine fremde Nation, und spre-
Briefe eines Verstorbenen. II. 7
nichts weniger als devot war. Als der neben mir Sitzende eine leichte Verwunderung darüber bei mir bemerkte, ſagte er mir ins Ohr: Hier vergeſſen wir jetzt den fremden . . . . . . . ., den Erzbiſchof und die Geiſtlichen — hier bei Tiſch ſind wir alle Gentle- men, und freuen uns des Lebens. Dieſer Mann war der unbeſtrittene Abkömmling eines alten iriſchen Königgeſchlechts, und obgleich es ihm jetzt keine Aus- zeichnung mehr verlieh, ſo war er doch nicht wenig ſtolz darauf. „Eine ſeltſame Wohnung habe ich dazu für einen Geiſtlichen,“ ſagte er zu mir. „Wenn Sie Irland je wieder beſuchen, gönnen Sie mir vielleicht die Ehre, Ihnen die Honneurs davon zu machen. Sie liegt gerade unter dem Teufelsbiß — und eine ſchö- nere Ausſicht als von dieſem Biß bietet ganz Irland nicht.“ Er machte nachher noch die Bemerkung, daß: katholiſch zu ſeyn, in dieſem Königreich ſchon für ein Adelsdiplom gelten könne, denn nur neue Familien ſeyen proteſtantiſch, die Katholiken müßten nothwen- dig alt ſeyn, da ſie, ſchon ſeit der Reformation, keine Proſelyten mehr machten. Die Melodieen der Lieder welche man ſang, hatten eine auffallende Aehn- lichkeit mit denen der Wenden, wie ich überhaupt zwiſchen beiden Völkern viel gleiche Beziehungen finde. Beide fabriciren und lieben ausſchließlich reinen Korn- branntwein (Whiskey), und leben faſt allein von Kar- toffeln; beider Nationalmuſik kennt nur den Dudel- ſack, ſie lieben leidenſchaftlich Geſang und Tanz, und doch ſind ihre Melodieen ſtets melancholiſch; beide ſind unterdrückt durch eine fremde Nation, und ſpre-
Briefe eines Verſtorbenen. II. 7
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nichts weniger als devot war. Als der neben mir
Sitzende eine leichte Verwunderung darüber bei mir
bemerkte, ſagte er mir ins Ohr: Hier vergeſſen wir
jetzt den fremden . . . . . . . ., den Erzbiſchof und
die Geiſtlichen — hier bei Tiſch ſind wir alle Gentle-
men, und freuen uns des Lebens. Dieſer Mann
war der unbeſtrittene Abkömmling eines alten iriſchen
Königgeſchlechts, und obgleich es ihm jetzt keine Aus-
zeichnung mehr verlieh, ſo war er doch nicht wenig
ſtolz darauf. „Eine ſeltſame Wohnung habe ich dazu
für einen Geiſtlichen,“ ſagte er zu mir. „Wenn Sie
Irland je wieder beſuchen, gönnen Sie mir vielleicht
die Ehre, Ihnen die Honneurs davon zu machen. Sie
liegt gerade unter dem Teufelsbiß — und eine ſchö-
nere Ausſicht als von dieſem Biß bietet ganz Irland
nicht.“ Er machte nachher noch die Bemerkung, daß:
katholiſch zu ſeyn, in dieſem Königreich ſchon für ein
Adelsdiplom gelten könne, denn nur neue Familien
ſeyen proteſtantiſch, die Katholiken müßten nothwen-
dig alt ſeyn, da ſie, ſchon ſeit der Reformation,
keine Proſelyten mehr machten. Die Melodieen der
Lieder welche man ſang, hatten eine auffallende Aehn-
lichkeit mit denen der Wenden, wie ich überhaupt
zwiſchen beiden Völkern viel gleiche Beziehungen finde.
Beide fabriciren und lieben ausſchließlich reinen Korn-
branntwein (Whiskey), und leben faſt allein von Kar-
toffeln; beider Nationalmuſik kennt nur den Dudel-
ſack, ſie lieben leidenſchaftlich Geſang und Tanz, und
doch ſind ihre Melodieen ſtets melancholiſch; beide
ſind unterdrückt durch eine fremde Nation, und ſpre-
Briefe eines Verſtorbenen. II. 7
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/119>, abgerufen am 24.11.2024.
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