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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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sich Dyk und Johny auf den Weg. Sie mußten
nahe unter den Mauern von Holycroß vorüber, und
der Wind, der sich stürmisch zu erheben begann,
schüttelte die Aeste der alten Eschen so schaurig,
rauschte so hohl und dumpf durch den dicht verschlun-
genen Epheu, und warf mit solcher Gewalt große
Steine von den Mauern hinab in ihren Weg, daß
beiden immer übler zu Muthe ward. Indeß nah-
men sie sich zusammen, und schnell über die Brücke
eilend, die hier über den Suir führt, richteten sie
ihre Schritte eiligst nach dem angezeigten Baum.
Sobald sie ihn erreicht, verlor Dyk keinen Augen-
blick länger, warf seinen Rock ab, maß sorgfältig die
sechs Schritte vom Erdhaufen nach dem Abteithurm,
und begann aufs emsigste zu graben. Johny folgte
schweigend seinem Beispiel, und nachdem so unter
manchem innerlichen Stoßgebet und Zeichen des heili-
gen Kreuzes, eine Stunde verflossen seyn mochte,
fühlte Dyk zuerst seinen Spaten auf etwas Hartes
stoßen. Die lose Erde wegschaufelnd, fanden sie,
daß ein platter breiter Stein vor ihnen lag. Lange
quälten sie sich vergebens, ihn von der Stelle zu
bringen, und nur nach unsäglicher Anstrengung ge-
lang es ihnen endlich, denselben ein wenig zu lüften,
und dann mit Hülfe eiserner Hebel, die sie vorsichtig
mitgenommen, völlig umzukippen. Sie wurden da-
durch eine schmale Treppe gewahr, und ermuthigt
durch die jetzt gewonnene Ueberzeugung, daß die Er-
scheinung sie nicht betrogen, zündeten sie ihre Blend-
laternen an, und stiegen voller Zuversicht, wenn

ſich Dyk und Johny auf den Weg. Sie mußten
nahe unter den Mauern von Holycroß vorüber, und
der Wind, der ſich ſtürmiſch zu erheben begann,
ſchüttelte die Aeſte der alten Eſchen ſo ſchaurig,
rauſchte ſo hohl und dumpf durch den dicht verſchlun-
genen Epheu, und warf mit ſolcher Gewalt große
Steine von den Mauern hinab in ihren Weg, daß
beiden immer übler zu Muthe ward. Indeß nah-
men ſie ſich zuſammen, und ſchnell über die Brücke
eilend, die hier über den Suir führt, richteten ſie
ihre Schritte eiligſt nach dem angezeigten Baum.
Sobald ſie ihn erreicht, verlor Dyk keinen Augen-
blick länger, warf ſeinen Rock ab, maß ſorgfältig die
ſechs Schritte vom Erdhaufen nach dem Abteithurm,
und begann aufs emſigſte zu graben. Johny folgte
ſchweigend ſeinem Beiſpiel, und nachdem ſo unter
manchem innerlichen Stoßgebet und Zeichen des heili-
gen Kreuzes, eine Stunde verfloſſen ſeyn mochte,
fühlte Dyk zuerſt ſeinen Spaten auf etwas Hartes
ſtoßen. Die loſe Erde wegſchaufelnd, fanden ſie,
daß ein platter breiter Stein vor ihnen lag. Lange
quälten ſie ſich vergebens, ihn von der Stelle zu
bringen, und nur nach unſäglicher Anſtrengung ge-
lang es ihnen endlich, denſelben ein wenig zu lüften,
und dann mit Hülfe eiſerner Hebel, die ſie vorſichtig
mitgenommen, völlig umzukippen. Sie wurden da-
durch eine ſchmale Treppe gewahr, und ermuthigt
durch die jetzt gewonnene Ueberzeugung, daß die Er-
ſcheinung ſie nicht betrogen, zündeten ſie ihre Blend-
laternen an, und ſtiegen voller Zuverſicht, wenn

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[130/0152] ſich Dyk und Johny auf den Weg. Sie mußten nahe unter den Mauern von Holycroß vorüber, und der Wind, der ſich ſtürmiſch zu erheben begann, ſchüttelte die Aeſte der alten Eſchen ſo ſchaurig, rauſchte ſo hohl und dumpf durch den dicht verſchlun- genen Epheu, und warf mit ſolcher Gewalt große Steine von den Mauern hinab in ihren Weg, daß beiden immer übler zu Muthe ward. Indeß nah- men ſie ſich zuſammen, und ſchnell über die Brücke eilend, die hier über den Suir führt, richteten ſie ihre Schritte eiligſt nach dem angezeigten Baum. Sobald ſie ihn erreicht, verlor Dyk keinen Augen- blick länger, warf ſeinen Rock ab, maß ſorgfältig die ſechs Schritte vom Erdhaufen nach dem Abteithurm, und begann aufs emſigſte zu graben. Johny folgte ſchweigend ſeinem Beiſpiel, und nachdem ſo unter manchem innerlichen Stoßgebet und Zeichen des heili- gen Kreuzes, eine Stunde verfloſſen ſeyn mochte, fühlte Dyk zuerſt ſeinen Spaten auf etwas Hartes ſtoßen. Die loſe Erde wegſchaufelnd, fanden ſie, daß ein platter breiter Stein vor ihnen lag. Lange quälten ſie ſich vergebens, ihn von der Stelle zu bringen, und nur nach unſäglicher Anſtrengung ge- lang es ihnen endlich, denſelben ein wenig zu lüften, und dann mit Hülfe eiſerner Hebel, die ſie vorſichtig mitgenommen, völlig umzukippen. Sie wurden da- durch eine ſchmale Treppe gewahr, und ermuthigt durch die jetzt gewonnene Ueberzeugung, daß die Er- ſcheinung ſie nicht betrogen, zündeten ſie ihre Blend- laternen an, und ſtiegen voller Zuverſicht, wenn

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/152>, abgerufen am 22.11.2024.