arbeitende, edle Seele. Den Tag vor seinem Tode hatte er noch zu einem Manne, den er, auf vor- gegebnen Verdacht revolutionairer Umtriebe, sechs Wo- chen in Ketten legen lassen, indem er ihn endlich frei ließ, ganz öffentlich gesagt: Vorigen Monat schickte ich zu Euch und verlangte Euch zu sprechen. Ihr kamt nicht, -- dafür habe ich Euch jetzt die kleine Lektion gegeben, die Euch künftig, wie ich hoffe, etwas geschmeidiger machen wird. Ist es nicht der Fall, so sollt ihr in sechs Wochen baumeln, dar- auf verlaßt Euch! Die Grafschaft war nämlich da- mals, nach einer partiellen Empörung, unter martial law (Kriegsgesetz) gestellt, und den Behörden so lange fast unumschränkte Macht eingeräumt, weshalb sie sich Alles erlauben durften. Die Ursache von Bakers Ermordung war von der Art, daß man ihn kaum bemitleiden kann. Er schuldete einem Milch- händler 500 Lst., theils für gelieferte Waare, theils für baar hergeliehenes Geld, und hatte versprochen, die Summe zu bezahlen, sobald der Mann seine Tochter verheirathen würde, für welche dieselbe als Ausstattung bestimmt war. Der Fall trat nach eini- gen Jahren ein, und der Milchhändler bat beschei- den um sein Geld. Da indeß Baker ihn immer mit Ausflüchten hinhielt, und er nichts als vague Ver- sprechungen von ihm erhalten konnte, drohte er end- lich mit einer gerichtlichen Klage, und reiste auch nach Cork, um sich deshalb mit einem Rechtsgelehr- ten zu besprechen. Diese Abwesenheit benutzend, er- schien Baker schon des andern Tages in seinem
arbeitende, edle Seele. Den Tag vor ſeinem Tode hatte er noch zu einem Manne, den er, auf vor- gegebnen Verdacht revolutionairer Umtriebe, ſechs Wo- chen in Ketten legen laſſen, indem er ihn endlich frei ließ, ganz öffentlich geſagt: Vorigen Monat ſchickte ich zu Euch und verlangte Euch zu ſprechen. Ihr kamt nicht, — dafür habe ich Euch jetzt die kleine Lektion gegeben, die Euch künftig, wie ich hoffe, etwas geſchmeidiger machen wird. Iſt es nicht der Fall, ſo ſollt ihr in ſechs Wochen baumeln, dar- auf verlaßt Euch! Die Grafſchaft war nämlich da- mals, nach einer partiellen Empörung, unter martial law (Kriegsgeſetz) geſtellt, und den Behörden ſo lange faſt unumſchränkte Macht eingeräumt, weshalb ſie ſich Alles erlauben durften. Die Urſache von Bakers Ermordung war von der Art, daß man ihn kaum bemitleiden kann. Er ſchuldete einem Milch- händler 500 Lſt., theils für gelieferte Waare, theils für baar hergeliehenes Geld, und hatte verſprochen, die Summe zu bezahlen, ſobald der Mann ſeine Tochter verheirathen würde, für welche dieſelbe als Ausſtattung beſtimmt war. Der Fall trat nach eini- gen Jahren ein, und der Milchhändler bat beſchei- den um ſein Geld. Da indeß Baker ihn immer mit Ausflüchten hinhielt, und er nichts als vague Ver- ſprechungen von ihm erhalten konnte, drohte er end- lich mit einer gerichtlichen Klage, und reiste auch nach Cork, um ſich deshalb mit einem Rechtsgelehr- ten zu beſprechen. Dieſe Abweſenheit benutzend, er- ſchien Baker ſchon des andern Tages in ſeinem
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arbeitende, edle Seele. Den Tag vor ſeinem Tode
hatte er noch zu einem Manne, den er, auf vor-
gegebnen Verdacht revolutionairer Umtriebe, ſechs Wo-
chen in Ketten legen laſſen, indem er ihn endlich
frei ließ, ganz öffentlich geſagt: Vorigen Monat
ſchickte ich zu Euch und verlangte Euch zu ſprechen.
Ihr kamt nicht, — dafür habe ich Euch jetzt die
kleine Lektion gegeben, die Euch künftig, wie ich
hoffe, etwas geſchmeidiger machen wird. Iſt es nicht
der Fall, ſo ſollt ihr in ſechs Wochen baumeln, dar-
auf verlaßt Euch! Die Grafſchaft war nämlich da-
mals, nach einer partiellen Empörung, unter martial
law (Kriegsgeſetz) geſtellt, und den Behörden ſo lange
faſt unumſchränkte Macht eingeräumt, weshalb ſie
ſich Alles erlauben durften. Die Urſache von
Bakers Ermordung war von der Art, daß man ihn
kaum bemitleiden kann. Er ſchuldete einem Milch-
händler 500 Lſt., theils für gelieferte Waare, theils
für baar hergeliehenes Geld, und hatte verſprochen,
die Summe zu bezahlen, ſobald der Mann ſeine
Tochter verheirathen würde, für welche dieſelbe als
Ausſtattung beſtimmt war. Der Fall trat nach eini-
gen Jahren ein, und der Milchhändler bat beſchei-
den um ſein Geld. Da indeß Baker ihn immer mit
Ausflüchten hinhielt, und er nichts als vague Ver-
ſprechungen von ihm erhalten konnte, drohte er end-
lich mit einer gerichtlichen Klage, und reiste auch
nach Cork, um ſich deshalb mit einem Rechtsgelehr-
ten zu beſprechen. Dieſe Abweſenheit benutzend, er-
ſchien Baker ſchon des andern Tages in ſeinem
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/155>, abgerufen am 22.11.2024.
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