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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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blickle man allein das harmlose, jugendlich fröhliche,
unbefangene tändelnde Kind; dann, wie die Liebe er-
wachte, schien eine neue Sonne über sie aufzugehen,
alle ihre Bewegungen wurden üppiger, ihre Miene
strahlender, es war die, mit allem Feuer des Südens,
sich ganz dem Geliebten hingebende Jungfrau. So
erschloß sie sich in der lieblichsten, reichsten Blüthe --
aber Sorge und Unglück reifte bald vor unsern Au-
gen die edle Frucht. Imposante Würde, die höchste
Zärtlichkeit für den Gemahl, der festeste Entschluß in
der Noth, nahm jetzt die Stelle der glühenden Lei-
denschaft ein, des leichten, genußbegierigen Sinns --
und wie ward die Verzweiflung dargestellt, am Ende
-- als Alles verloren! -- Wie furchtbar, wie herz-
zerreißend, wie wahr, und dennoch immer schön,
wußte sie hier bis zum letzten Moment zu steigern!
Ihrer Sache gewiß, erlaubte sie sich zuweilen bis an
die äußerste Grenze des Darstellungsfähigen zu strei-
fen, was keine Andere hätte wagen dürfen, ohne in
das Lächerliche zu fallen. Bei ihr wirkten jedoch
grade diese Effekte, wie ein elektrischer Schlag. Ihr
Wahnsinn und Sterben in Belvedeira unter andern *)
hatte eine so schaudervolle physische Wahrheit, daß
der Anblick kaum zu ertragen war, und doch blieb
es immer nur der Seelenschmerz, durch den körper-
lichen auf's Höchste veranschaulicht, der so mächtig,
ja vernichtend auf den Zuschauer wirkte. Ich wenig-

*) In: Venice preserved von Otway.
A. d. H.

blickle man allein das harmloſe, jugendlich fröhliche,
unbefangene tändelnde Kind; dann, wie die Liebe er-
wachte, ſchien eine neue Sonne über ſie aufzugehen,
alle ihre Bewegungen wurden üppiger, ihre Miene
ſtrahlender, es war die, mit allem Feuer des Südens,
ſich ganz dem Geliebten hingebende Jungfrau. So
erſchloß ſie ſich in der lieblichſten, reichſten Blüthe —
aber Sorge und Unglück reifte bald vor unſern Au-
gen die edle Frucht. Impoſante Würde, die höchſte
Zärtlichkeit für den Gemahl, der feſteſte Entſchluß in
der Noth, nahm jetzt die Stelle der glühenden Lei-
denſchaft ein, des leichten, genußbegierigen Sinns —
und wie ward die Verzweiflung dargeſtellt, am Ende
— als Alles verloren! — Wie furchtbar, wie herz-
zerreißend, wie wahr, und dennoch immer ſchön,
wußte ſie hier bis zum letzten Moment zu ſteigern!
Ihrer Sache gewiß, erlaubte ſie ſich zuweilen bis an
die äußerſte Grenze des Darſtellungsfähigen zu ſtrei-
fen, was keine Andere hätte wagen dürfen, ohne in
das Lächerliche zu fallen. Bei ihr wirkten jedoch
grade dieſe Effekte, wie ein elektriſcher Schlag. Ihr
Wahnſinn und Sterben in Belvedeira unter andern *)
hatte eine ſo ſchaudervolle phyſiſche Wahrheit, daß
der Anblick kaum zu ertragen war, und doch blieb
es immer nur der Seelenſchmerz, durch den körper-
lichen auf’s Höchſte veranſchaulicht, der ſo mächtig,
ja vernichtend auf den Zuſchauer wirkte. Ich wenig-

*) In: Venice preserved von Otway.
A. d. H.
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[201/0223] blickle man allein das harmloſe, jugendlich fröhliche, unbefangene tändelnde Kind; dann, wie die Liebe er- wachte, ſchien eine neue Sonne über ſie aufzugehen, alle ihre Bewegungen wurden üppiger, ihre Miene ſtrahlender, es war die, mit allem Feuer des Südens, ſich ganz dem Geliebten hingebende Jungfrau. So erſchloß ſie ſich in der lieblichſten, reichſten Blüthe — aber Sorge und Unglück reifte bald vor unſern Au- gen die edle Frucht. Impoſante Würde, die höchſte Zärtlichkeit für den Gemahl, der feſteſte Entſchluß in der Noth, nahm jetzt die Stelle der glühenden Lei- denſchaft ein, des leichten, genußbegierigen Sinns — und wie ward die Verzweiflung dargeſtellt, am Ende — als Alles verloren! — Wie furchtbar, wie herz- zerreißend, wie wahr, und dennoch immer ſchön, wußte ſie hier bis zum letzten Moment zu ſteigern! Ihrer Sache gewiß, erlaubte ſie ſich zuweilen bis an die äußerſte Grenze des Darſtellungsfähigen zu ſtrei- fen, was keine Andere hätte wagen dürfen, ohne in das Lächerliche zu fallen. Bei ihr wirkten jedoch grade dieſe Effekte, wie ein elektriſcher Schlag. Ihr Wahnſinn und Sterben in Belvedeira unter andern *) hatte eine ſo ſchaudervolle phyſiſche Wahrheit, daß der Anblick kaum zu ertragen war, und doch blieb es immer nur der Seelenſchmerz, durch den körper- lichen auf’s Höchſte veranſchaulicht, der ſo mächtig, ja vernichtend auf den Zuſchauer wirkte. Ich wenig- *) In: Venice preserved von Otway. A. d. H.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/223>, abgerufen am 22.11.2024.