Medizin gegeben worden war, verschluckt, als der Herzog von Wellington hereintrat, um mir ganz kaltblütig zu sagen: Es sey nichts von Bedeutung, er habe eben dasselbe bekommen, hier sey das Gegen- gift. Nach diesem Genuß begann die gewöhnliche Operation der Gegengifte, (wahrscheinlich schon die Anticipation im Traume des morgenden Zustandes auf der See --) in Kurzem ward mir jedoch wohler als je. Alles ging überdem in meinen Geschäften nach Wunsch, ich reiste ab, und war bereits dem Ziele in jeder Hinsicht nahe. Da überfallen mich Räuber, reißen mich aus dem Wagen, und schleppen mich durch Gestrüpp und Ruinen auf eine thurmhohe schmale Mauer, auf der wir hastig fortschreiten, wäh- rend sie, von Alter zerbröckelt, unter unsern Füßen zu wanken scheint. Der Marsch will kein Ende fin- den, und außer der Angst quält mich, wie die Räu- ber gleichfalls, ein nagender Hunger. Sie rufen mir endlich wüthend zu, ich solle ihnen Nahrung schaffen, oder sie würden mich selbst schlachten. In dieser Noth däucht es mir, eine leise Stimme zu hören, die mir zuruft: Weise ihnen jene Thür. Ich blicke auf, und erblicke ein hohes klosterartiges Gebäude, mit Epheu überwachsen, an welches schwarze Tannen sich schmiegen, ohne Fenster noch Thüre, ausgenommen eine verschlossene porte cochere von Bronce, hoch ge- nug um ein Haus hineinzuschieben. Schnell gefaßt, rufe ich nun den Räubern zu: Ihr Narren, was verlangt ihr von mir Nahrung, wenn das große Magazin gerade vor Euch liegt! -- Wo? brüllt der
Medizin gegeben worden war, verſchluckt, als der Herzog von Wellington hereintrat, um mir ganz kaltblütig zu ſagen: Es ſey nichts von Bedeutung, er habe eben daſſelbe bekommen, hier ſey das Gegen- gift. Nach dieſem Genuß begann die gewöhnliche Operation der Gegengifte, (wahrſcheinlich ſchon die Anticipation im Traume des morgenden Zuſtandes auf der See —) in Kurzem ward mir jedoch wohler als je. Alles ging überdem in meinen Geſchäften nach Wunſch, ich reiste ab, und war bereits dem Ziele in jeder Hinſicht nahe. Da überfallen mich Räuber, reißen mich aus dem Wagen, und ſchleppen mich durch Geſtrüpp und Ruinen auf eine thurmhohe ſchmale Mauer, auf der wir haſtig fortſchreiten, wäh- rend ſie, von Alter zerbröckelt, unter unſern Füßen zu wanken ſcheint. Der Marſch will kein Ende fin- den, und außer der Angſt quält mich, wie die Räu- ber gleichfalls, ein nagender Hunger. Sie rufen mir endlich wüthend zu, ich ſolle ihnen Nahrung ſchaffen, oder ſie würden mich ſelbſt ſchlachten. In dieſer Noth däucht es mir, eine leiſe Stimme zu hören, die mir zuruft: Weiſe ihnen jene Thür. Ich blicke auf, und erblicke ein hohes kloſterartiges Gebäude, mit Epheu überwachſen, an welches ſchwarze Tannen ſich ſchmiegen, ohne Fenſter noch Thüre, ausgenommen eine verſchloſſene porte cochère von Bronce, hoch ge- nug um ein Haus hineinzuſchieben. Schnell gefaßt, rufe ich nun den Räubern zu: Ihr Narren, was verlangt ihr von mir Nahrung, wenn das große Magazin gerade vor Euch liegt! — Wo? brüllt der
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Medizin gegeben worden war, verſchluckt, als der
Herzog von Wellington hereintrat, um mir ganz
kaltblütig zu ſagen: Es ſey nichts von Bedeutung,
er habe eben daſſelbe bekommen, hier ſey das Gegen-
gift. Nach dieſem Genuß begann die gewöhnliche
Operation der Gegengifte, (wahrſcheinlich ſchon die
Anticipation im Traume des morgenden Zuſtandes
auf der See —) in Kurzem ward mir jedoch wohler
als je. Alles ging überdem in meinen Geſchäften
nach Wunſch, ich reiste ab, und war bereits dem
Ziele in jeder Hinſicht nahe. Da überfallen mich
Räuber, reißen mich aus dem Wagen, und ſchleppen
mich durch Geſtrüpp und Ruinen auf eine thurmhohe
ſchmale Mauer, auf der wir haſtig fortſchreiten, wäh-
rend ſie, von Alter zerbröckelt, unter unſern Füßen
zu wanken ſcheint. Der Marſch will kein Ende fin-
den, und außer der Angſt quält mich, wie die Räu-
ber gleichfalls, ein nagender Hunger. Sie rufen mir
endlich wüthend zu, ich ſolle ihnen Nahrung ſchaffen,
oder ſie würden mich ſelbſt ſchlachten. In dieſer
Noth däucht es mir, eine leiſe Stimme zu hören, die
mir zuruft: Weiſe ihnen jene Thür. Ich blicke auf,
und erblicke ein hohes kloſterartiges Gebäude, mit
Epheu überwachſen, an welches ſchwarze Tannen ſich
ſchmiegen, ohne Fenſter noch Thüre, ausgenommen
eine verſchloſſene porte cochère von Bronce, hoch ge-
nug um ein Haus hineinzuſchieben. Schnell gefaßt,
rufe ich nun den Räubern zu: Ihr Narren, was
verlangt ihr von mir Nahrung, wenn das große
Magazin gerade vor Euch liegt! — Wo? brüllt der
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/260>, abgerufen am 22.11.2024.
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