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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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Als ich früh angezogen war, und nach schnell ge-
nommenem Frühstück abreisen wollte, bemerkte ich,
nicht ohne unangenehme Ueberraschung, daß mir meine
Börse und Taschenbuch fehlten, die ich immer bei
mir zu tragen pflege. Ich erinnerte mich ganz genau,
sie gestern Abends, als ich im Coffeeroom, wo ich
mich ganz allein befand, gegessen und an Dich ge-
schrieben hatte, vor mir hingelegt zu haben, weil ich
aus dem Taschenbuch Noten für meinen Brief ent-
nahm, und die Börse gebrauchte, um die Schiffer zu
bezahlen. Ohne Zweifel hatte ich sie dort liegen
lassen, und der Kellner sie sich zu Gemüthe geführt.
Ich ließ ihn sogleich rufen, rekapitulirte das ange-
gebne Factum, und fragte, ihn scharf dabei ansehend,
ob er wirklich nichts gefunden? Der Mensch ward
blaß und verlegen, und stammelte, er habe nichts
gesehen, als ein einzelnes beschriebenes Blatt Papier,
was, wie er glaube, noch unter dem Tische liege.
Ich sah nach, und fand es in der That an der be-
zeichneten Stelle. Alles dies schien mir immer ver-
dächtiger, ich machte daher dem Wirth, einem höchst
widrig aussehenden baumlangen Kerl, Vorstellungen,
die zugleich einige Drohungen enthielten, er aber
antwortete kurz: Er kenne seine Leute, ein Dieb-
stahl sei bei ihm seit dreißig Jahren nicht vorgefallen,
mein Vorgeben sei ihm daher höchst auffallend -- er
werde zwar, wenn ich es wolle, sogleich nach einem
Magistrat schicken, alle seine Leute schwören, sein


Als ich früh angezogen war, und nach ſchnell ge-
nommenem Frühſtück abreiſen wollte, bemerkte ich,
nicht ohne unangenehme Ueberraſchung, daß mir meine
Börſe und Taſchenbuch fehlten, die ich immer bei
mir zu tragen pflege. Ich erinnerte mich ganz genau,
ſie geſtern Abends, als ich im Coffeeroom, wo ich
mich ganz allein befand, gegeſſen und an Dich ge-
ſchrieben hatte, vor mir hingelegt zu haben, weil ich
aus dem Taſchenbuch Noten für meinen Brief ent-
nahm, und die Börſe gebrauchte, um die Schiffer zu
bezahlen. Ohne Zweifel hatte ich ſie dort liegen
laſſen, und der Kellner ſie ſich zu Gemüthe geführt.
Ich ließ ihn ſogleich rufen, rekapitulirte das ange-
gebne Factum, und fragte, ihn ſcharf dabei anſehend,
ob er wirklich nichts gefunden? Der Menſch ward
blaß und verlegen, und ſtammelte, er habe nichts
geſehen, als ein einzelnes beſchriebenes Blatt Papier,
was, wie er glaube, noch unter dem Tiſche liege.
Ich ſah nach, und fand es in der That an der be-
zeichneten Stelle. Alles dies ſchien mir immer ver-
dächtiger, ich machte daher dem Wirth, einem höchſt
widrig ausſehenden baumlangen Kerl, Vorſtellungen,
die zugleich einige Drohungen enthielten, er aber
antwortete kurz: Er kenne ſeine Leute, ein Dieb-
ſtahl ſei bei ihm ſeit dreißig Jahren nicht vorgefallen,
mein Vorgeben ſei ihm daher höchſt auffallend — er
werde zwar, wenn ich es wolle, ſogleich nach einem
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[251/0273] Chepſtow, den 19ten. Als ich früh angezogen war, und nach ſchnell ge- nommenem Frühſtück abreiſen wollte, bemerkte ich, nicht ohne unangenehme Ueberraſchung, daß mir meine Börſe und Taſchenbuch fehlten, die ich immer bei mir zu tragen pflege. Ich erinnerte mich ganz genau, ſie geſtern Abends, als ich im Coffeeroom, wo ich mich ganz allein befand, gegeſſen und an Dich ge- ſchrieben hatte, vor mir hingelegt zu haben, weil ich aus dem Taſchenbuch Noten für meinen Brief ent- nahm, und die Börſe gebrauchte, um die Schiffer zu bezahlen. Ohne Zweifel hatte ich ſie dort liegen laſſen, und der Kellner ſie ſich zu Gemüthe geführt. Ich ließ ihn ſogleich rufen, rekapitulirte das ange- gebne Factum, und fragte, ihn ſcharf dabei anſehend, ob er wirklich nichts gefunden? Der Menſch ward blaß und verlegen, und ſtammelte, er habe nichts geſehen, als ein einzelnes beſchriebenes Blatt Papier, was, wie er glaube, noch unter dem Tiſche liege. Ich ſah nach, und fand es in der That an der be- zeichneten Stelle. Alles dies ſchien mir immer ver- dächtiger, ich machte daher dem Wirth, einem höchſt widrig ausſehenden baumlangen Kerl, Vorſtellungen, die zugleich einige Drohungen enthielten, er aber antwortete kurz: Er kenne ſeine Leute, ein Dieb- ſtahl ſei bei ihm ſeit dreißig Jahren nicht vorgefallen, mein Vorgeben ſei ihm daher höchſt auffallend — er werde zwar, wenn ich es wolle, ſogleich nach einem Magiſtrat ſchicken, alle ſeine Leute ſchwören, ſein

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/273>, abgerufen am 22.11.2024.