England keinen Gentleman verrathen haben würde. Mehrmal war ich in großer Ungewißheit, welchen der halb unsichtbaren Stege ich einschlagen sollte, wählte aber glücklicherweise, mich dem Meere stets so nahe als möglich haltend, keinen ganz unrechten, wenn gleich wahrscheinlich nicht immer den nächsten. In- dessen die Zeit verging -- und wenn ich in langen Intervallen einem menschlichen Wesen wieder begeg- nete und frug: Wie weit noch zu Mr. O'Connel? so segneten sie zwar immer den Vorsatz dieses Be- suchs mit: God bless Your honour, die Meilenzahl schien sich aber eher zu vermehren als zu vermindern. Dies ward mir erst nachher begreiflich, da ich erfuhr, daß ich dennoch einen, mehrere Meilen abkürzenden, Weg verfehlt, und dadurch einen unnützen Zeitver- lust erlitten hatte.
So fing es endlich an zu dunkeln, als ich einen Theil der Küste betrat, der gewiß wenig seines Glei- chen hat. Fremde Reisende sind wahrscheinlich noch nie in diesen verlassenen Winkel der Erde verschlagen worden, welcher Eulen und Seemöven mehr als den Menschen angehört, von dessen furchtbarer Wildniß es aber schwer ist, einen genügenden Begriff zu geben. Gewundene, zerrissene, kohlschwarze Felsen, mit tie- fen Höhlen, in welche das Meer unaufhörlich don- nernd einbricht, und seinen weißen Schaum Thurm- hoch wieder daraus hervorsprüht, der nachher an vie- len Stellen trocknet, und dann vom Winde, wie wollene compakte Flocken aussehend, bis auf die höch-
England keinen Gentleman verrathen haben würde. Mehrmal war ich in großer Ungewißheit, welchen der halb unſichtbaren Stege ich einſchlagen ſollte, wählte aber glücklicherweiſe, mich dem Meere ſtets ſo nahe als möglich haltend, keinen ganz unrechten, wenn gleich wahrſcheinlich nicht immer den nächſten. In- deſſen die Zeit verging — und wenn ich in langen Intervallen einem menſchlichen Weſen wieder begeg- nete und frug: Wie weit noch zu Mr. O’Connel? ſo ſegneten ſie zwar immer den Vorſatz dieſes Be- ſuchs mit: God bless Your honour, die Meilenzahl ſchien ſich aber eher zu vermehren als zu vermindern. Dies ward mir erſt nachher begreiflich, da ich erfuhr, daß ich dennoch einen, mehrere Meilen abkürzenden, Weg verfehlt, und dadurch einen unnützen Zeitver- luſt erlitten hatte.
So fing es endlich an zu dunkeln, als ich einen Theil der Küſte betrat, der gewiß wenig ſeines Glei- chen hat. Fremde Reiſende ſind wahrſcheinlich noch nie in dieſen verlaſſenen Winkel der Erde verſchlagen worden, welcher Eulen und Seemöven mehr als den Menſchen angehört, von deſſen furchtbarer Wildniß es aber ſchwer iſt, einen genügenden Begriff zu geben. Gewundene, zerriſſene, kohlſchwarze Felſen, mit tie- fen Höhlen, in welche das Meer unaufhörlich don- nernd einbricht, und ſeinen weißen Schaum Thurm- hoch wieder daraus hervorſprüht, der nachher an vie- len Stellen trocknet, und dann vom Winde, wie wollene compakte Flocken ausſehend, bis auf die höch-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0028"n="6"/>
England keinen Gentleman verrathen haben würde.<lb/>
Mehrmal war ich in großer Ungewißheit, welchen der<lb/>
halb unſichtbaren Stege ich einſchlagen ſollte, wählte<lb/>
aber glücklicherweiſe, mich dem Meere ſtets ſo nahe<lb/>
als möglich haltend, keinen ganz unrechten, wenn<lb/>
gleich wahrſcheinlich nicht immer den nächſten. In-<lb/>
deſſen die Zeit verging — und wenn ich in langen<lb/>
Intervallen einem menſchlichen Weſen wieder begeg-<lb/>
nete und frug: Wie weit noch zu <hirendition="#aq">Mr. O’Connel?</hi><lb/>ſo ſegneten ſie zwar immer den Vorſatz dieſes Be-<lb/>ſuchs mit: <hirendition="#aq">God bless Your honour,</hi> die Meilenzahl<lb/>ſchien ſich aber eher zu vermehren als zu vermindern.<lb/>
Dies ward mir erſt nachher begreiflich, da ich erfuhr,<lb/>
daß ich dennoch einen, mehrere Meilen abkürzenden,<lb/>
Weg verfehlt, und dadurch einen unnützen Zeitver-<lb/>
luſt erlitten hatte.</p><lb/><p>So fing es endlich an zu dunkeln, als ich einen<lb/>
Theil der Küſte betrat, der gewiß wenig ſeines Glei-<lb/>
chen hat. Fremde Reiſende ſind wahrſcheinlich noch<lb/>
nie in dieſen verlaſſenen Winkel der Erde verſchlagen<lb/>
worden, welcher Eulen und Seemöven mehr als den<lb/>
Menſchen angehört, von deſſen furchtbarer Wildniß<lb/>
es aber ſchwer iſt, einen genügenden Begriff zu geben.<lb/>
Gewundene, zerriſſene, kohlſchwarze Felſen, mit tie-<lb/>
fen Höhlen, in welche das Meer unaufhörlich don-<lb/>
nernd einbricht, und ſeinen weißen Schaum Thurm-<lb/>
hoch wieder daraus hervorſprüht, der nachher an vie-<lb/>
len Stellen trocknet, und dann vom Winde, wie<lb/>
wollene compakte Flocken ausſehend, bis auf die höch-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[6/0028]
England keinen Gentleman verrathen haben würde.
Mehrmal war ich in großer Ungewißheit, welchen der
halb unſichtbaren Stege ich einſchlagen ſollte, wählte
aber glücklicherweiſe, mich dem Meere ſtets ſo nahe
als möglich haltend, keinen ganz unrechten, wenn
gleich wahrſcheinlich nicht immer den nächſten. In-
deſſen die Zeit verging — und wenn ich in langen
Intervallen einem menſchlichen Weſen wieder begeg-
nete und frug: Wie weit noch zu Mr. O’Connel?
ſo ſegneten ſie zwar immer den Vorſatz dieſes Be-
ſuchs mit: God bless Your honour, die Meilenzahl
ſchien ſich aber eher zu vermehren als zu vermindern.
Dies ward mir erſt nachher begreiflich, da ich erfuhr,
daß ich dennoch einen, mehrere Meilen abkürzenden,
Weg verfehlt, und dadurch einen unnützen Zeitver-
luſt erlitten hatte.
So fing es endlich an zu dunkeln, als ich einen
Theil der Küſte betrat, der gewiß wenig ſeines Glei-
chen hat. Fremde Reiſende ſind wahrſcheinlich noch
nie in dieſen verlaſſenen Winkel der Erde verſchlagen
worden, welcher Eulen und Seemöven mehr als den
Menſchen angehört, von deſſen furchtbarer Wildniß
es aber ſchwer iſt, einen genügenden Begriff zu geben.
Gewundene, zerriſſene, kohlſchwarze Felſen, mit tie-
fen Höhlen, in welche das Meer unaufhörlich don-
nernd einbricht, und ſeinen weißen Schaum Thurm-
hoch wieder daraus hervorſprüht, der nachher an vie-
len Stellen trocknet, und dann vom Winde, wie
wollene compakte Flocken ausſehend, bis auf die höch-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/28>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.