einen landschaftlichen Microcosmus, und selten findet man deren in kurzen Räumen mehr vereinigt als auf dieser Fahrt, wo jede neue Wendung des Flusses, so zu sagen, einen neuen Kunst -Genuß darbietet; Pope singt irgendwo schön von dieser Gegend:
Die deutsche Sprache hat, bei allen ihrem Reich- thum, etwas Unbehülfliches für die Uebersetzung, be- sonders bei Uebertragungen aus der englischen, der dagegen ihre Zusammensetzung aus so vielen Spra- chen, eine ganz eigenthümliche Leichtigkeit giebt, fremde Gedanken auszudrücken. Mir ist daher auch die erwähnte Strophe fast unübersetzbar erschienen. So oft ich es versuchte, verlor der Gedanke seine Grazie, vielleicht war aber auch meine eigne Unbe- hülflichkeit daran Schuld.
Daß zwei der schönsten Ruinen in der Welt am River Wye liegen, ist ebenfalls kein kleiner Vorzug, und nie wurde es mir klarer als hier, daß Prophe- ten in ihrem Vaterlande nichts gelten, denn wie würden sonst soviel tausend Engländer weit hinweg- ziehen, um oft über viel geringere Schönheiten in Enthusiasmus zu gerathen, als ihr eignes Vaterland darbietet. Noch eine Frage möchte ich aufwerfen, warum überhaupt Ruinen so viel mehr die mensch- liche Seele ergreifen, als es kaum die höchsten voll- endeten architektonischen Kunstwerke vermögen? Es
einen landſchaftlichen Microcosmus, und ſelten findet man deren in kurzen Räumen mehr vereinigt als auf dieſer Fahrt, wo jede neue Wendung des Fluſſes, ſo zu ſagen, einen neuen Kunſt -Genuß darbietet; Pope ſingt irgendwo ſchön von dieſer Gegend:
Die deutſche Sprache hat, bei allen ihrem Reich- thum, etwas Unbehülfliches für die Ueberſetzung, be- ſonders bei Uebertragungen aus der engliſchen, der dagegen ihre Zuſammenſetzung aus ſo vielen Spra- chen, eine ganz eigenthümliche Leichtigkeit giebt, fremde Gedanken auszudrücken. Mir iſt daher auch die erwähnte Strophe faſt unüberſetzbar erſchienen. So oft ich es verſuchte, verlor der Gedanke ſeine Grazie, vielleicht war aber auch meine eigne Unbe- hülflichkeit daran Schuld.
Daß zwei der ſchönſten Ruinen in der Welt am River Wye liegen, iſt ebenfalls kein kleiner Vorzug, und nie wurde es mir klarer als hier, daß Prophe- ten in ihrem Vaterlande nichts gelten, denn wie würden ſonſt ſoviel tauſend Engländer weit hinweg- ziehen, um oft über viel geringere Schönheiten in Enthuſiasmus zu gerathen, als ihr eignes Vaterland darbietet. Noch eine Frage möchte ich aufwerfen, warum überhaupt Ruinen ſo viel mehr die menſch- liche Seele ergreifen, als es kaum die höchſten voll- endeten architektoniſchen Kunſtwerke vermögen? Es
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0287"n="265"/>
einen landſchaftlichen Microcosmus, und ſelten findet<lb/>
man deren in kurzen Räumen mehr vereinigt als auf<lb/>
dieſer Fahrt, wo jede neue Wendung des Fluſſes, ſo<lb/>
zu ſagen, einen neuen <hirendition="#g">Kunſt</hi> -Genuß darbietet;<lb/>
Pope ſingt irgendwo ſchön von dieſer Gegend:</p><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#aq">Pleas d’Vaga echoes thro ’its winding bounds,</hi></l><lb/><l><hirendition="#aq">And rapid Severn hoarse applause resounds.</hi></l></lg><lb/><p>Die deutſche Sprache hat, bei allen ihrem Reich-<lb/>
thum, etwas Unbehülfliches <choice><sic>fu̇r</sic><corr>für</corr></choice> die Ueberſetzung, be-<lb/>ſonders bei Uebertragungen aus der engliſchen, der<lb/>
dagegen ihre Zuſammenſetzung aus ſo vielen Spra-<lb/>
chen, eine ganz eigenthümliche Leichtigkeit giebt,<lb/>
fremde Gedanken auszudrücken. Mir iſt daher auch<lb/>
die erwähnte Strophe faſt unüberſetzbar erſchienen.<lb/>
So oft ich es verſuchte, verlor der Gedanke ſeine<lb/>
Grazie, vielleicht war aber auch meine eigne Unbe-<lb/>
hülflichkeit daran Schuld.</p><lb/><p>Daß zwei der ſchönſten Ruinen in der Welt am<lb/><hirendition="#aq">River Wye</hi> liegen, iſt ebenfalls kein kleiner Vorzug,<lb/>
und nie wurde es mir klarer als hier, daß Prophe-<lb/>
ten in ihrem Vaterlande nichts gelten, denn wie<lb/>
würden ſonſt ſoviel tauſend Engländer weit hinweg-<lb/>
ziehen, um oft über viel geringere Schönheiten in<lb/>
Enthuſiasmus zu gerathen, als ihr eignes Vaterland<lb/>
darbietet. Noch eine Frage möchte ich aufwerfen,<lb/>
warum überhaupt Ruinen ſo viel mehr die menſch-<lb/>
liche Seele ergreifen, als es kaum die höchſten voll-<lb/>
endeten architektoniſchen Kunſtwerke vermögen? Es<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[265/0287]
einen landſchaftlichen Microcosmus, und ſelten findet
man deren in kurzen Räumen mehr vereinigt als auf
dieſer Fahrt, wo jede neue Wendung des Fluſſes, ſo
zu ſagen, einen neuen Kunſt -Genuß darbietet;
Pope ſingt irgendwo ſchön von dieſer Gegend:
Pleas d’Vaga echoes thro ’its winding bounds,
And rapid Severn hoarse applause resounds.
Die deutſche Sprache hat, bei allen ihrem Reich-
thum, etwas Unbehülfliches für die Ueberſetzung, be-
ſonders bei Uebertragungen aus der engliſchen, der
dagegen ihre Zuſammenſetzung aus ſo vielen Spra-
chen, eine ganz eigenthümliche Leichtigkeit giebt,
fremde Gedanken auszudrücken. Mir iſt daher auch
die erwähnte Strophe faſt unüberſetzbar erſchienen.
So oft ich es verſuchte, verlor der Gedanke ſeine
Grazie, vielleicht war aber auch meine eigne Unbe-
hülflichkeit daran Schuld.
Daß zwei der ſchönſten Ruinen in der Welt am
River Wye liegen, iſt ebenfalls kein kleiner Vorzug,
und nie wurde es mir klarer als hier, daß Prophe-
ten in ihrem Vaterlande nichts gelten, denn wie
würden ſonſt ſoviel tauſend Engländer weit hinweg-
ziehen, um oft über viel geringere Schönheiten in
Enthuſiasmus zu gerathen, als ihr eignes Vaterland
darbietet. Noch eine Frage möchte ich aufwerfen,
warum überhaupt Ruinen ſo viel mehr die menſch-
liche Seele ergreifen, als es kaum die höchſten voll-
endeten architektoniſchen Kunſtwerke vermögen? Es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/287>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.