mußte zurück, das war klar, und zwar so schnell als möglich. Mein Pferd schien dieselben Reflexionen ge- macht zu haben, denn, wie mit neuen Kräften be- gabt, trug es mich, fast gallopirend, davon. Aber, glaubst Du es wohl? eine schwarze Gestalt war abermals bestimmt, mir aus der Verlegenheit zu hel- fen. Vous direz que c'en est trop -- mais ce n'est pas ma faute. Le vrai souvent n'est pas vraisem- blable. Kurzum, ich sah eine schwarze Gestalt wie einen undeutlichen Schatten über den Weg gleiten, und sich hinter den Felsen verlieren. Mein Rufen, meine Bitten, meine Versprechungen blieben vergeb- lich, -- war es ein Schmuggler, die an dieser Küste besonders ihr Wesen treiben sollen, oder ein aber- gläubischer Bauer, der mich ärmsten Revenant für ei- nen Geist ansah? -- jedenfalls schien er sich nicht herauswagen zu wollen, und ich verzweifelte fast schon an der gehofften Hülfe -- als sein Kopf plötz- lich dicht neben mir aus einer Steinspalte hervor- lugte. Nun gelang es mir bald ihn zu beruhigen; auch erklärte er mir das Räthsel des im Meere auf- hörenden Weges. Dieser war nämlich nur für die Dauer der Ebbe eingerichtet -- um diese Zeit, sagte er, ist die halbe Fluth schon heran, eine Viertelstunde später ist der Durchgang unmöglich, jetzt aber will ich Sie für ein gutes Trinkgeld noch hinüberzubringen versuchen, doch dürfen wir keinen Augenblick verlie- ren. Mit diesen Worten war er mit einem Satze hinter mir auf dem Pferde, und was es vermochte, eilten wir der, mit jedem Moment höher schwellenden
mußte zurück, das war klar, und zwar ſo ſchnell als möglich. Mein Pferd ſchien dieſelben Reflexionen ge- macht zu haben, denn, wie mit neuen Kräften be- gabt, trug es mich, faſt gallopirend, davon. Aber, glaubſt Du es wohl? eine ſchwarze Geſtalt war abermals beſtimmt, mir aus der Verlegenheit zu hel- fen. Vous direz que c’en est trop — mais ce n’est pas ma faute. Le vrai souvent n’est pas vraisem- blable. Kurzum, ich ſah eine ſchwarze Geſtalt wie einen undeutlichen Schatten über den Weg gleiten, und ſich hinter den Felſen verlieren. Mein Rufen, meine Bitten, meine Verſprechungen blieben vergeb- lich, — war es ein Schmuggler, die an dieſer Küſte beſonders ihr Weſen treiben ſollen, oder ein aber- gläubiſcher Bauer, der mich ärmſten Revenant für ei- nen Geiſt anſah? — jedenfalls ſchien er ſich nicht herauswagen zu wollen, und ich verzweifelte faſt ſchon an der gehofften Hülfe — als ſein Kopf plötz- lich dicht neben mir aus einer Steinſpalte hervor- lugte. Nun gelang es mir bald ihn zu beruhigen; auch erklärte er mir das Räthſel des im Meere auf- hörenden Weges. Dieſer war nämlich nur für die Dauer der Ebbe eingerichtet — um dieſe Zeit, ſagte er, iſt die halbe Fluth ſchon heran, eine Viertelſtunde ſpäter iſt der Durchgang unmöglich, jetzt aber will ich Sie für ein gutes Trinkgeld noch hinüberzubringen verſuchen, doch dürfen wir keinen Augenblick verlie- ren. Mit dieſen Worten war er mit einem Satze hinter mir auf dem Pferde, und was es vermochte, eilten wir der, mit jedem Moment höher ſchwellenden
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0031"n="9"/>
mußte zurück, das war klar, und zwar ſo ſchnell als<lb/>
möglich. Mein Pferd ſchien dieſelben Reflexionen ge-<lb/>
macht zu haben, denn, wie mit neuen Kräften be-<lb/>
gabt, trug es mich, faſt gallopirend, davon. Aber,<lb/>
glaubſt Du es wohl? eine ſchwarze Geſtalt war<lb/>
abermals beſtimmt, mir aus der Verlegenheit zu hel-<lb/>
fen. <hirendition="#aq">Vous direz que c’en est trop — mais ce n’est<lb/>
pas ma faute. Le vrai souvent n’est pas vraisem-<lb/>
blable</hi>. Kurzum, ich ſah eine ſchwarze Geſtalt wie<lb/>
einen undeutlichen Schatten über den Weg gleiten,<lb/>
und ſich hinter den Felſen verlieren. Mein Rufen,<lb/>
meine Bitten, meine Verſprechungen blieben vergeb-<lb/>
lich, — war es ein Schmuggler, die an dieſer Küſte<lb/>
beſonders ihr Weſen treiben ſollen, oder ein aber-<lb/>
gläubiſcher Bauer, der mich ärmſten Revenant für ei-<lb/>
nen Geiſt anſah? — jedenfalls ſchien er ſich nicht<lb/>
herauswagen zu wollen, und ich verzweifelte faſt<lb/>ſchon an der gehofften Hülfe — als ſein Kopf plötz-<lb/>
lich dicht neben mir aus einer Steinſpalte hervor-<lb/>
lugte. Nun gelang es mir bald ihn zu beruhigen;<lb/>
auch erklärte er mir das <choice><sic>Rȧthſel</sic><corr>Räthſel</corr></choice> des im Meere auf-<lb/>
hörenden Weges. Dieſer war nämlich nur für die<lb/>
Dauer der Ebbe eingerichtet — um <hirendition="#g">dieſe</hi> Zeit, ſagte<lb/>
er, iſt die halbe Fluth ſchon heran, eine Viertelſtunde<lb/>ſpäter iſt der Durchgang unmöglich, jetzt aber will ich<lb/>
Sie für ein gutes Trinkgeld noch hinüberzubringen<lb/>
verſuchen, doch dürfen wir keinen Augenblick verlie-<lb/>
ren. Mit dieſen Worten war er mit einem Satze<lb/>
hinter mir auf dem Pferde, und was es vermochte,<lb/>
eilten wir der, mit jedem Moment höher ſchwellenden<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[9/0031]
mußte zurück, das war klar, und zwar ſo ſchnell als
möglich. Mein Pferd ſchien dieſelben Reflexionen ge-
macht zu haben, denn, wie mit neuen Kräften be-
gabt, trug es mich, faſt gallopirend, davon. Aber,
glaubſt Du es wohl? eine ſchwarze Geſtalt war
abermals beſtimmt, mir aus der Verlegenheit zu hel-
fen. Vous direz que c’en est trop — mais ce n’est
pas ma faute. Le vrai souvent n’est pas vraisem-
blable. Kurzum, ich ſah eine ſchwarze Geſtalt wie
einen undeutlichen Schatten über den Weg gleiten,
und ſich hinter den Felſen verlieren. Mein Rufen,
meine Bitten, meine Verſprechungen blieben vergeb-
lich, — war es ein Schmuggler, die an dieſer Küſte
beſonders ihr Weſen treiben ſollen, oder ein aber-
gläubiſcher Bauer, der mich ärmſten Revenant für ei-
nen Geiſt anſah? — jedenfalls ſchien er ſich nicht
herauswagen zu wollen, und ich verzweifelte faſt
ſchon an der gehofften Hülfe — als ſein Kopf plötz-
lich dicht neben mir aus einer Steinſpalte hervor-
lugte. Nun gelang es mir bald ihn zu beruhigen;
auch erklärte er mir das Räthſel des im Meere auf-
hörenden Weges. Dieſer war nämlich nur für die
Dauer der Ebbe eingerichtet — um dieſe Zeit, ſagte
er, iſt die halbe Fluth ſchon heran, eine Viertelſtunde
ſpäter iſt der Durchgang unmöglich, jetzt aber will ich
Sie für ein gutes Trinkgeld noch hinüberzubringen
verſuchen, doch dürfen wir keinen Augenblick verlie-
ren. Mit dieſen Worten war er mit einem Satze
hinter mir auf dem Pferde, und was es vermochte,
eilten wir der, mit jedem Moment höher ſchwellenden
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/31>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.