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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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Nutzen immer erst mit dem Studium der Details,
indessen müssen die Mauern doch erst hingestellt
seyn, ehe man die Gemächer ausschmücken kann. Bei
einem wie dem andern Studium aber, halte ich
Selbstunterricht für den Erfolgreichsten, wenigstens
war er es bei mir -- gewiß ist es jedoch, daß manche
Menschen überhaupt, und auf keine Art etwas wahr-
haft lernen können. Studiren sie z. B. Geschichte,
so macht sie ihnen nie das Ewige und Wahre an-
schaulich; es bleibt für sie nur eine Chronik, die ihr
vortreffliches Gedächtniß an den Fingern abzählt.
Jede andre Wissenschaft wird von ihnen ebenfalls
nur mechanisch erlernt, und bleibt bloßes Buchstaben-
werk. Dennoch wird in der Regel grade dies gründ-
liches Wissen genannt, ja die meisten Examinato-
ren von Profession verlangen nichts mehr. Das Un-
wesen, das in dieser Hinsicht noch an manchen Orten ge-
trieben wird, würde zu ergötzlichen Anecdoten Anlaß
geben, wenn man es näher beleuchtete. Ich kenne
unter andern einen jungen Mann, dem, im diploma-
tischen Examen, welches erst kürzlich in einer gewissen
Residenz eingeführt worden war, die Frage vorgelegt
wurde: Wieviel wiegt ein Kubikfuß Holz? Schade
daß er nicht antwortete: Wieviel wiegt ein Gold-
stück, oder wieviel Gehirn hat ein Dummkopf? Ei-
nen Andern vom Militairfach frug man daselbst:
welches die merkwürdigste Belagerung sey? Ohne zu
stocken erwiederte dieser, (ein in Deutschland natio-
nalisirter Ausländer): die Belagerung von Jericho,
weil die Mauern mit Trompeten eingeblasen wurden.

19*

Nutzen immer erſt mit dem Studium der Details,
indeſſen müſſen die Mauern doch erſt hingeſtellt
ſeyn, ehe man die Gemächer ausſchmücken kann. Bei
einem wie dem andern Studium aber, halte ich
Selbſtunterricht für den Erfolgreichſten, wenigſtens
war er es bei mir — gewiß iſt es jedoch, daß manche
Menſchen überhaupt, und auf keine Art etwas wahr-
haft lernen können. Studiren ſie z. B. Geſchichte,
ſo macht ſie ihnen nie das Ewige und Wahre an-
ſchaulich; es bleibt für ſie nur eine Chronik, die ihr
vortreffliches Gedächtniß an den Fingern abzählt.
Jede andre Wiſſenſchaft wird von ihnen ebenfalls
nur mechaniſch erlernt, und bleibt bloßes Buchſtaben-
werk. Dennoch wird in der Regel grade dies gründ-
liches Wiſſen genannt, ja die meiſten Examinato-
ren von Profeſſion verlangen nichts mehr. Das Un-
weſen, das in dieſer Hinſicht noch an manchen Orten ge-
trieben wird, würde zu ergötzlichen Anecdoten Anlaß
geben, wenn man es näher beleuchtete. Ich kenne
unter andern einen jungen Mann, dem, im diploma-
tiſchen Examen, welches erſt kürzlich in einer gewiſſen
Reſidenz eingeführt worden war, die Frage vorgelegt
wurde: Wieviel wiegt ein Kubikfuß Holz? Schade
daß er nicht antwortete: Wieviel wiegt ein Gold-
ſtück, oder wieviel Gehirn hat ein Dummkopf? Ei-
nen Andern vom Militairfach frug man daſelbſt:
welches die merkwürdigſte Belagerung ſey? Ohne zu
ſtocken erwiederte dieſer, (ein in Deutſchland natio-
naliſirter Ausländer): die Belagerung von Jericho,
weil die Mauern mit Trompeten eingeblaſen wurden.

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[289/0311] Nutzen immer erſt mit dem Studium der Details, indeſſen müſſen die Mauern doch erſt hingeſtellt ſeyn, ehe man die Gemächer ausſchmücken kann. Bei einem wie dem andern Studium aber, halte ich Selbſtunterricht für den Erfolgreichſten, wenigſtens war er es bei mir — gewiß iſt es jedoch, daß manche Menſchen überhaupt, und auf keine Art etwas wahr- haft lernen können. Studiren ſie z. B. Geſchichte, ſo macht ſie ihnen nie das Ewige und Wahre an- ſchaulich; es bleibt für ſie nur eine Chronik, die ihr vortreffliches Gedächtniß an den Fingern abzählt. Jede andre Wiſſenſchaft wird von ihnen ebenfalls nur mechaniſch erlernt, und bleibt bloßes Buchſtaben- werk. Dennoch wird in der Regel grade dies gründ- liches Wiſſen genannt, ja die meiſten Examinato- ren von Profeſſion verlangen nichts mehr. Das Un- weſen, das in dieſer Hinſicht noch an manchen Orten ge- trieben wird, würde zu ergötzlichen Anecdoten Anlaß geben, wenn man es näher beleuchtete. Ich kenne unter andern einen jungen Mann, dem, im diploma- tiſchen Examen, welches erſt kürzlich in einer gewiſſen Reſidenz eingeführt worden war, die Frage vorgelegt wurde: Wieviel wiegt ein Kubikfuß Holz? Schade daß er nicht antwortete: Wieviel wiegt ein Gold- ſtück, oder wieviel Gehirn hat ein Dummkopf? Ei- nen Andern vom Militairfach frug man daſelbſt: welches die merkwürdigſte Belagerung ſey? Ohne zu ſtocken erwiederte dieſer, (ein in Deutſchland natio- naliſirter Ausländer): die Belagerung von Jericho, weil die Mauern mit Trompeten eingeblaſen wurden. 19*

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/311>, abgerufen am 22.11.2024.