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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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Ich hätte dieses Schloß nicht zu sehen bekommen,
da es durchaus verboten war, irgend einen Frem-
den, ohne eine schriftliche Erlaubniß des Besitzers,
einzulassen, wenn ich nicht die unschuldige List ge-
braucht hätte (welche der Herr des Hauses wenn er
es erfahren, mir nun wohl verziehen haben wird)
mich bei der ritterlichen Castellanin für einen russi-
schen Verwandten der Familie auszugeben, mit ei-
nem, für sie unlesbaren und unaussprechbaren, Na-
men. Es ist zu unangenehm 4 Meilen gefahren zu
seyn, eines solchen Zweckes halber, und dann un-
verrichteter Sache wieder zurückkehren zu müssen,
daher lade ich meine Nothlüge auf die Schuld der
inhumanen englischen Sitten, denn bei uns ist man
nicht so grausam, und nie wird hier einem Englän-
der mit gleicher Illiberalität vergolten.

Auf der andern Seite der Stadt liegt eine zweite
interessante Besitzung, Langford, dem Grafen Rad-
nor gehörig, ein weiter Park und sehr altes Schloß,
von sonderbarer dreieckiger Form mit ungeheuer
dicken Thürmen, deren Mauern Mosaik nachahmen.
In unansehnlichen, niedrigen und schlecht meublirten
Zimmern fand ich hier eine der kostbarsten Gemälde-
sammlungen, ausgesuchte Bilder der größten Meister,
wie es deren so viele bei englischen Privatpersonen
giebt, verborgene Schätze, die Niemand sieht, und
Niemand kennt. Ein Sonnen-Auf- und Untergang
von Claude Lorrain stehen oben an. Der Morgen
zeigt uns Aeneas mit seinem Gefolge am glücklichen
Strande Italiens landend, und man beneidet die

Ich hätte dieſes Schloß nicht zu ſehen bekommen,
da es durchaus verboten war, irgend einen Frem-
den, ohne eine ſchriftliche Erlaubniß des Beſitzers,
einzulaſſen, wenn ich nicht die unſchuldige Liſt ge-
braucht hätte (welche der Herr des Hauſes wenn er
es erfahren, mir nun wohl verziehen haben wird)
mich bei der ritterlichen Caſtellanin für einen ruſſi-
ſchen Verwandten der Familie auszugeben, mit ei-
nem, für ſie unlesbaren und unausſprechbaren, Na-
men. Es iſt zu unangenehm 4 Meilen gefahren zu
ſeyn, eines ſolchen Zweckes halber, und dann un-
verrichteter Sache wieder zurückkehren zu müſſen,
daher lade ich meine Nothlüge auf die Schuld der
inhumanen engliſchen Sitten, denn bei uns iſt man
nicht ſo grauſam, und nie wird hier einem Englän-
der mit gleicher Illiberalität vergolten.

Auf der andern Seite der Stadt liegt eine zweite
intereſſante Beſitzung, Langford, dem Grafen Rad-
nor gehörig, ein weiter Park und ſehr altes Schloß,
von ſonderbarer dreieckiger Form mit ungeheuer
dicken Thürmen, deren Mauern Moſaik nachahmen.
In unanſehnlichen, niedrigen und ſchlecht meublirten
Zimmern fand ich hier eine der koſtbarſten Gemälde-
ſammlungen, ausgeſuchte Bilder der größten Meiſter,
wie es deren ſo viele bei engliſchen Privatperſonen
giebt, verborgene Schätze, die Niemand ſieht, und
Niemand kennt. Ein Sonnen-Auf- und Untergang
von Claude Lorrain ſtehen oben an. Der Morgen
zeigt uns Aeneas mit ſeinem Gefolge am glücklichen
Strande Italiens landend, und man beneidet die

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[300/0322] Ich hätte dieſes Schloß nicht zu ſehen bekommen, da es durchaus verboten war, irgend einen Frem- den, ohne eine ſchriftliche Erlaubniß des Beſitzers, einzulaſſen, wenn ich nicht die unſchuldige Liſt ge- braucht hätte (welche der Herr des Hauſes wenn er es erfahren, mir nun wohl verziehen haben wird) mich bei der ritterlichen Caſtellanin für einen ruſſi- ſchen Verwandten der Familie auszugeben, mit ei- nem, für ſie unlesbaren und unausſprechbaren, Na- men. Es iſt zu unangenehm 4 Meilen gefahren zu ſeyn, eines ſolchen Zweckes halber, und dann un- verrichteter Sache wieder zurückkehren zu müſſen, daher lade ich meine Nothlüge auf die Schuld der inhumanen engliſchen Sitten, denn bei uns iſt man nicht ſo grauſam, und nie wird hier einem Englän- der mit gleicher Illiberalität vergolten. Auf der andern Seite der Stadt liegt eine zweite intereſſante Beſitzung, Langford, dem Grafen Rad- nor gehörig, ein weiter Park und ſehr altes Schloß, von ſonderbarer dreieckiger Form mit ungeheuer dicken Thürmen, deren Mauern Moſaik nachahmen. In unanſehnlichen, niedrigen und ſchlecht meublirten Zimmern fand ich hier eine der koſtbarſten Gemälde- ſammlungen, ausgeſuchte Bilder der größten Meiſter, wie es deren ſo viele bei engliſchen Privatperſonen giebt, verborgene Schätze, die Niemand ſieht, und Niemand kennt. Ein Sonnen-Auf- und Untergang von Claude Lorrain ſtehen oben an. Der Morgen zeigt uns Aeneas mit ſeinem Gefolge am glücklichen Strande Italiens landend, und man beneidet die

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/322>, abgerufen am 22.11.2024.