schnitts gemacht, die der Arzt nicht unternehmen wollte, weil er sie bei der Schwäche des Patienten für tödtlich heilt, von diesem aber fast dazu gezwun- gen wurde.
Er konnte damals sein Bett noch nicht verlassen, sah wie ein Todter aus, und ich machte beim Herein- treten unwillkührlich eine mine de doleance, mit der ich ihm eben mein Bedauern bezeigen wollte, als er mir lachend ins Wort fiel und mir zurief, ich sollte nur die Grimassen lassen. Was nicht zu ändern sey, meinte er nachher, das müsse man ertragen, besser lustig als traurig, und was ihn beträfe, so babe er gewiß alle Ursache, wenigstens über seine Aerzte zu lachen, denn mehr als zehnmal hätten sie ihm mit Bestimmtheit den Laufpaß gegeben, und waren doch jetzt fast alle selbst vor ihm zum T ..... gefahren. "Uebrigens," setzte er ganz resignirt hinzu, "habe ich mein Leben wie Wenige genossen, und muß auch die Schattenseite davon kennen lernen."
Bei allen diesen Freuden und Leiden ist der le- benslustige Mann indeß doch so gut conservirt ge- blieben, daß er, seit er wieder herumgeht, in seiner artistischen Perrücke kaum mehr als ein Vierziger zu seyn scheint, und dabei eine kühne und rayonnante Physiognomie zur Schau trägt, deren Züge einst schön gewesen seyn müssen.
ſchnitts gemacht, die der Arzt nicht unternehmen wollte, weil er ſie bei der Schwäche des Patienten für tödtlich heilt, von dieſem aber faſt dazu gezwun- gen wurde.
Er konnte damals ſein Bett noch nicht verlaſſen, ſah wie ein Todter aus, und ich machte beim Herein- treten unwillkührlich eine mine de doléance, mit der ich ihm eben mein Bedauern bezeigen wollte, als er mir lachend ins Wort fiel und mir zurief, ich ſollte nur die Grimaſſen laſſen. Was nicht zu ändern ſey, meinte er nachher, das müſſe man ertragen, beſſer luſtig als traurig, und was ihn beträfe, ſo babe er gewiß alle Urſache, wenigſtens über ſeine Aerzte zu lachen, denn mehr als zehnmal hätten ſie ihm mit Beſtimmtheit den Laufpaß gegeben, und waren doch jetzt faſt alle ſelbſt vor ihm zum T ..... gefahren. „Uebrigens,“ ſetzte er ganz reſignirt hinzu, „habe ich mein Leben wie Wenige genoſſen, und muß auch die Schattenſeite davon kennen lernen.“
Bei allen dieſen Freuden und Leiden iſt der le- bensluſtige Mann indeß doch ſo gut conſervirt ge- blieben, daß er, ſeit er wieder herumgeht, in ſeiner artiſtiſchen Perrücke kaum mehr als ein Vierziger zu ſeyn ſcheint, und dabei eine kühne und rayonnante Phyſiognomie zur Schau trägt, deren Züge einſt ſchön geweſen ſeyn müſſen.
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ſchnitts gemacht, die der Arzt nicht unternehmen
wollte, weil er ſie bei der Schwäche des Patienten
für tödtlich heilt, von dieſem aber faſt dazu gezwun-
gen wurde.
Er konnte damals ſein Bett noch nicht verlaſſen,
ſah wie ein Todter aus, und ich machte beim Herein-
treten unwillkührlich eine mine de doléance, mit der
ich ihm eben mein Bedauern bezeigen wollte, als er
mir lachend ins Wort fiel und mir zurief, ich ſollte
nur die Grimaſſen laſſen. Was nicht zu ändern
ſey, meinte er nachher, das müſſe man ertragen,
beſſer luſtig als traurig, und was ihn beträfe, ſo
babe er gewiß alle Urſache, wenigſtens über ſeine
Aerzte zu lachen, denn mehr als zehnmal hätten ſie
ihm mit Beſtimmtheit den Laufpaß gegeben, und
waren doch jetzt faſt alle ſelbſt vor ihm zum T .....
gefahren. „Uebrigens,“ ſetzte er ganz reſignirt hinzu,
„habe ich mein Leben wie Wenige genoſſen, und
muß auch die Schattenſeite davon kennen lernen.“
Bei allen dieſen Freuden und Leiden iſt der le-
bensluſtige Mann indeß doch ſo gut conſervirt ge-
blieben, daß er, ſeit er wieder herumgeht, in ſeiner
artiſtiſchen Perrücke kaum mehr als ein Vierziger zu
ſeyn ſcheint, und dabei eine kühne und rayonnante
Phyſiognomie zur Schau trägt, deren Züge einſt ſchön
geweſen ſeyn müſſen.
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/206>, abgerufen am 21.11.2024.
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