man zur Mittagszeit alle Laternen in den Straßen anzünden muß, und dennoch nichts sieht -- etwas von demselben trüben Charakter. Le pire est, que je suis tantot trop, et tantot trop peu sensible a l'opinion et aux procedes des autres. In der ersten Stimmung (und Stimmungen beherrschen mich lei- der mit despotischer Gewalt, machen mich nicht nur traurig und fröhlich, sondern leider auch klug und dumm) komme ich mir dann manchmal vor wie Je- mand, der an einer Strickleiter hinaufkletterte, wo ihm die Hände verklommen, und nun, nachdem er lange im vergeblichen Bestreben weiter zu dringen in der Höhe geschwebt, im Begriff ist, endlich loslassen zu müssen, wo er leicht bis auf die unterste Stufe wieder herabsinken mag. Dennoch würde ihm viel- leicht, auf dem ebnen Boden der Gewöhnlichkeit und Unbedeutendheit wieder angelangt, dort ruhiger als in den stürmischen Lüften zu Muthe seyn, und bei weniger Hoffnungen ihn vielleicht eine glückli- chere, wenn auch einfachere Wirklichkeit umfan- gen! Doch hinweg mit solchen Grübeleyen. Sie taugen zu nichts, und selbst Befürchtungen eines dro- henden wahren Unglücks, sollte man immer mit Gewalt verbannen, denn warum sich mit Sorgen quälen über das, was kommen kann, und doch viel- leicht nie kömmt, dann aber nur als ein Traum-Phan- tom uns so viel frohe Gegenwart verkümmert hat.
In allen solchen Gemüthszuständen ist am Ende Dein Bild mein bester Trost, und an Dich, meine
man zur Mittagszeit alle Laternen in den Straßen anzünden muß, und dennoch nichts ſieht — etwas von demſelben trüben Charakter. Le pire est, que je suis tantôt trop, et tantôt trop peu sensible â l’opinion et aux procédés des autres. In der erſten Stimmung (und Stimmungen beherrſchen mich lei- der mit deſpotiſcher Gewalt, machen mich nicht nur traurig und fröhlich, ſondern leider auch klug und dumm) komme ich mir dann manchmal vor wie Je- mand, der an einer Strickleiter hinaufkletterte, wo ihm die Hände verklommen, und nun, nachdem er lange im vergeblichen Beſtreben weiter zu dringen in der Höhe geſchwebt, im Begriff iſt, endlich loslaſſen zu müſſen, wo er leicht bis auf die unterſte Stufe wieder herabſinken mag. Dennoch würde ihm viel- leicht, auf dem ebnen Boden der Gewöhnlichkeit und Unbedeutendheit wieder angelangt, dort ruhiger als in den ſtürmiſchen Lüften zu Muthe ſeyn, und bei weniger Hoffnungen ihn vielleicht eine glückli- chere, wenn auch einfachere Wirklichkeit umfan- gen! Doch hinweg mit ſolchen Grübeleyen. Sie taugen zu nichts, und ſelbſt Befürchtungen eines dro- henden wahren Unglücks, ſollte man immer mit Gewalt verbannen, denn warum ſich mit Sorgen quälen über das, was kommen kann, und doch viel- leicht nie kömmt, dann aber nur als ein Traum-Phan- tom uns ſo viel frohe Gegenwart verkümmert hat.
In allen ſolchen Gemüthszuſtänden iſt am Ende Dein Bild mein beſter Troſt, und an Dich, meine
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man zur Mittagszeit alle Laternen in den Straßen
anzünden muß, und dennoch nichts ſieht — etwas
von demſelben trüben Charakter. Le pire est, que
je suis tantôt trop, et tantôt trop peu sensible â
l’opinion et aux procédés des autres. In der erſten
Stimmung (und Stimmungen beherrſchen mich lei-
der mit deſpotiſcher Gewalt, machen mich nicht nur
traurig und fröhlich, ſondern leider auch klug und
dumm) komme ich mir dann manchmal vor wie Je-
mand, der an einer Strickleiter hinaufkletterte, wo
ihm die Hände verklommen, und nun, nachdem er
lange im vergeblichen Beſtreben weiter zu dringen in
der Höhe geſchwebt, im Begriff iſt, endlich loslaſſen
zu müſſen, wo er leicht bis auf die unterſte Stufe
wieder herabſinken mag. Dennoch würde ihm viel-
leicht, auf dem ebnen Boden der Gewöhnlichkeit und
Unbedeutendheit wieder angelangt, dort ruhiger als
in den ſtürmiſchen Lüften zu Muthe ſeyn, und bei
weniger Hoffnungen ihn vielleicht eine glückli-
chere, wenn auch einfachere Wirklichkeit umfan-
gen! Doch hinweg mit ſolchen Grübeleyen. Sie
taugen zu nichts, und ſelbſt Befürchtungen eines dro-
henden wahren Unglücks, ſollte man immer mit
Gewalt verbannen, denn warum ſich mit Sorgen
quälen über das, was kommen kann, und doch viel-
leicht nie kömmt, dann aber nur als ein Traum-Phan-
tom uns ſo viel frohe Gegenwart verkümmert hat.
In allen ſolchen Gemüthszuſtänden iſt am Ende
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/244>, abgerufen am 21.11.2024.
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