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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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einzelner Felsen im Meere nicht weiter, und beide
Brüder mit ihren Kriegern stürzten sich in das Was-
ser, um schwimmend die Insel zu erreichen. Da nun
der Aelteste sah, daß ihm sein jüngerer Bruder zu-
vorkam, zog er sein kurzes Schwerdt, legte die linke
Hand auf eine hervorragende Klippe, hieb sie mit
einem Hieb ab, ergriff sie bei den Fingern, und warf
sie, bei seinem Bruder vorbei, blutend ans Ufer, in-
dem er ausrief: "Gott ist mein Zeuge, daß mein
Fleisch und Blut zuerst das Land berührt hat." Und
so ward er König der Insel, die seine Nachkommen
durch zehn Generationen unumschränkt beherrschten.

Die Geschichte der blutigen Hand schien mir nicht
unpoetisch, und ein treffendes Bild jener rohen, aber
kräftigen Zeiten. Ich ermangelte nicht, ihm einen
Pendant aus dem Nibelungenliede von meinem
(wahrscheinlich eben so fabelhaften) Ahnherrn zu er-
zählen, und wir trennten uns über den Geistern
unserer Manen als die besten Freunde.

Es giebt jetzt täglich hier mehrere Privatbälle, und
das in so kleinen Quartieren, daß ein ehrlicher deut-
scher Bürger nicht wagen würde, zwölf Personen da-
hin einzuladen, wo man hier einige hundert, wie
Negersclaven, zusammendrängt. Es ist noch ärger
wie in London, und der Raum für die Contredanse
gewährt nur eben die mathematische Möglichkeit,
ranzähnliche Demonstrationen anzudeuten. Ein Ball
ohne dieses Gedränge würde indeß ganz gering ge-
schätzt werden, und ein Gast, der die Treppe leer

einzelner Felſen im Meere nicht weiter, und beide
Brüder mit ihren Kriegern ſtürzten ſich in das Waſ-
ſer, um ſchwimmend die Inſel zu erreichen. Da nun
der Aelteſte ſah, daß ihm ſein jüngerer Bruder zu-
vorkam, zog er ſein kurzes Schwerdt, legte die linke
Hand auf eine hervorragende Klippe, hieb ſie mit
einem Hieb ab, ergriff ſie bei den Fingern, und warf
ſie, bei ſeinem Bruder vorbei, blutend ans Ufer, in-
dem er ausrief: „Gott iſt mein Zeuge, daß mein
Fleiſch und Blut zuerſt das Land berührt hat.“ Und
ſo ward er König der Inſel, die ſeine Nachkommen
durch zehn Generationen unumſchränkt beherrſchten.

Die Geſchichte der blutigen Hand ſchien mir nicht
unpoetiſch, und ein treffendes Bild jener rohen, aber
kräftigen Zeiten. Ich ermangelte nicht, ihm einen
Pendant aus dem Nibelungenliede von meinem
(wahrſcheinlich eben ſo fabelhaften) Ahnherrn zu er-
zählen, und wir trennten uns über den Geiſtern
unſerer Manen als die beſten Freunde.

Es giebt jetzt täglich hier mehrere Privatbälle, und
das in ſo kleinen Quartieren, daß ein ehrlicher deut-
ſcher Bürger nicht wagen würde, zwölf Perſonen da-
hin einzuladen, wo man hier einige hundert, wie
Negerſclaven, zuſammendrängt. Es iſt noch ärger
wie in London, und der Raum für die Contredanse
gewährt nur eben die mathematiſche Möglichkeit,
ranzähnliche Demonſtrationen anzudeuten. Ein Ball
ohne dieſes Gedränge würde indeß ganz gering ge-
ſchätzt werden, und ein Gaſt, der die Treppe leer

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[372/0418] einzelner Felſen im Meere nicht weiter, und beide Brüder mit ihren Kriegern ſtürzten ſich in das Waſ- ſer, um ſchwimmend die Inſel zu erreichen. Da nun der Aelteſte ſah, daß ihm ſein jüngerer Bruder zu- vorkam, zog er ſein kurzes Schwerdt, legte die linke Hand auf eine hervorragende Klippe, hieb ſie mit einem Hieb ab, ergriff ſie bei den Fingern, und warf ſie, bei ſeinem Bruder vorbei, blutend ans Ufer, in- dem er ausrief: „Gott iſt mein Zeuge, daß mein Fleiſch und Blut zuerſt das Land berührt hat.“ Und ſo ward er König der Inſel, die ſeine Nachkommen durch zehn Generationen unumſchränkt beherrſchten. Die Geſchichte der blutigen Hand ſchien mir nicht unpoetiſch, und ein treffendes Bild jener rohen, aber kräftigen Zeiten. Ich ermangelte nicht, ihm einen Pendant aus dem Nibelungenliede von meinem (wahrſcheinlich eben ſo fabelhaften) Ahnherrn zu er- zählen, und wir trennten uns über den Geiſtern unſerer Manen als die beſten Freunde. Es giebt jetzt täglich hier mehrere Privatbälle, und das in ſo kleinen Quartieren, daß ein ehrlicher deut- ſcher Bürger nicht wagen würde, zwölf Perſonen da- hin einzuladen, wo man hier einige hundert, wie Negerſclaven, zuſammendrängt. Es iſt noch ärger wie in London, und der Raum für die Contredanse gewährt nur eben die mathematiſche Möglichkeit, ranzähnliche Demonſtrationen anzudeuten. Ein Ball ohne dieſes Gedränge würde indeß ganz gering ge- ſchätzt werden, und ein Gaſt, der die Treppe leer

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/418>, abgerufen am 24.11.2024.