nigstens, wie die Wiege auf Kinder wirkt. Ich fühlte mich sehr wohl und heiter am nächsten Morgen, und bemerkte, daß das Land allgemach anfing, einen hol- ländischen Charakter anzunehmen. Altväterische Häu- ser mit vielfachen Giebeln und Schiebfenstern, ein unverständliches Plattdeutsch, welches an Wohllaut dem holländischen nichts nachgiebt, phlegmatischere Menschen, besser meublirte Stuben, wiewohl noch ohne holländische Reinlichkeit, Thee statt Kaffee, überall vortreffliche frische Butter und Rahm, nebst erhöhter Prellerei der Gastwirthe -- Alles zeigte eine neue Schattirung dieser bunten Welt.
Die Gegenden, durch welche mein Weg führte, ge- hörten einer anmuthigen und sanften Natur an, be- sonders bei Stehlen an der Ruhr, ein Ort, für den gemacht, der sich vom Getümmel des Lebens in heitre Einsamkeit zurückzuziehen wünscht. Nicht satt sehen konnte ich mich an der saftig frischen Vegetation, den prachtvollen Eich- und Buchen-Wäldern, die rechts und links die Berge krönen, zuweilen sich über die Straße hinzogen, dann wieder in weite Ferne zurück- wichen, aber überall den fruchtbarsten Boden begränz- ten, braun und roth schattirt, wo er frisch geackert war, hell oder dunkelgrün schimmernd, wo junge Wintersaat und frischer Klee ihn bedeckten. Jedes Dorf umgiebt ein Hain schön belaubter Bäume, und nichts übertrifft die Ueppigkeit der Wiesen, durch welche sich die Ruhr in den seltsamsten Krümmungen schlän- gelt. Ich dachte lachend, daß, wenn Einem prophe- zeihet würde, an der Ruhr zu sterben, er sich hier
nigſtens, wie die Wiege auf Kinder wirkt. Ich fühlte mich ſehr wohl und heiter am nächſten Morgen, und bemerkte, daß das Land allgemach anfing, einen hol- ländiſchen Charakter anzunehmen. Altväteriſche Häu- ſer mit vielfachen Giebeln und Schiebfenſtern, ein unverſtändliches Plattdeutſch, welches an Wohllaut dem holländiſchen nichts nachgiebt, phlegmatiſchere Menſchen, beſſer meublirte Stuben, wiewohl noch ohne holländiſche Reinlichkeit, Thee ſtatt Kaffee, überall vortreffliche friſche Butter und Rahm, nebſt erhöhter Prellerei der Gaſtwirthe — Alles zeigte eine neue Schattirung dieſer bunten Welt.
Die Gegenden, durch welche mein Weg führte, ge- hörten einer anmuthigen und ſanften Natur an, be- ſonders bei Stehlen an der Ruhr, ein Ort, für den gemacht, der ſich vom Getümmel des Lebens in heitre Einſamkeit zurückzuziehen wünſcht. Nicht ſatt ſehen konnte ich mich an der ſaftig friſchen Vegetation, den prachtvollen Eich- und Buchen-Wäldern, die rechts und links die Berge krönen, zuweilen ſich über die Straße hinzogen, dann wieder in weite Ferne zurück- wichen, aber überall den fruchtbarſten Boden begränz- ten, braun und roth ſchattirt, wo er friſch geackert war, hell oder dunkelgrün ſchimmernd, wo junge Winterſaat und friſcher Klee ihn bedeckten. Jedes Dorf umgiebt ein Hain ſchön belaubter Bäume, und nichts übertrifft die Ueppigkeit der Wieſen, durch welche ſich die Ruhr in den ſeltſamſten Krümmungen ſchlän- gelt. Ich dachte lachend, daß, wenn Einem prophe- zeihet würde, an der Ruhr zu ſterben, er ſich hier
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0065"n="25"/>
nigſtens, wie die Wiege auf Kinder wirkt. Ich fühlte<lb/>
mich ſehr wohl und heiter am nächſten Morgen, und<lb/>
bemerkte, daß das Land allgemach anfing, einen hol-<lb/>
ländiſchen Charakter anzunehmen. Altväteriſche Häu-<lb/>ſer mit vielfachen Giebeln und Schiebfenſtern, ein<lb/>
unverſtändliches Plattdeutſch, welches an Wohllaut<lb/>
dem holländiſchen nichts nachgiebt, phlegmatiſchere<lb/>
Menſchen, beſſer meublirte Stuben, wiewohl noch<lb/>
ohne holländiſche Reinlichkeit, Thee ſtatt Kaffee,<lb/>
überall vortreffliche friſche Butter und Rahm, nebſt<lb/>
erhöhter Prellerei der Gaſtwirthe — Alles zeigte eine<lb/>
neue Schattirung dieſer bunten Welt.</p><lb/><p>Die Gegenden, durch welche mein Weg führte, ge-<lb/>
hörten einer anmuthigen und ſanften Natur an, be-<lb/>ſonders bei Stehlen an der Ruhr, ein Ort, für den<lb/>
gemacht, der ſich vom Getümmel des Lebens in heitre<lb/>
Einſamkeit zurückzuziehen wünſcht. Nicht ſatt ſehen<lb/>
konnte ich mich an der ſaftig friſchen Vegetation, den<lb/>
prachtvollen Eich- und Buchen-Wäldern, die rechts<lb/>
und links die Berge krönen, zuweilen ſich über die<lb/>
Straße hinzogen, dann wieder in weite Ferne zurück-<lb/>
wichen, aber überall den fruchtbarſten Boden begränz-<lb/>
ten, braun und roth ſchattirt, wo er friſch geackert<lb/>
war, hell oder dunkelgrün ſchimmernd, wo junge<lb/>
Winterſaat und friſcher Klee ihn bedeckten. Jedes<lb/>
Dorf umgiebt ein Hain ſchön belaubter Bäume, und<lb/>
nichts übertrifft die Ueppigkeit der Wieſen, durch welche<lb/>ſich die Ruhr in den ſeltſamſten Krümmungen ſchlän-<lb/>
gelt. Ich dachte lachend, daß, wenn Einem prophe-<lb/>
zeihet würde, an der Ruhr zu ſterben, er ſich hier<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[25/0065]
nigſtens, wie die Wiege auf Kinder wirkt. Ich fühlte
mich ſehr wohl und heiter am nächſten Morgen, und
bemerkte, daß das Land allgemach anfing, einen hol-
ländiſchen Charakter anzunehmen. Altväteriſche Häu-
ſer mit vielfachen Giebeln und Schiebfenſtern, ein
unverſtändliches Plattdeutſch, welches an Wohllaut
dem holländiſchen nichts nachgiebt, phlegmatiſchere
Menſchen, beſſer meublirte Stuben, wiewohl noch
ohne holländiſche Reinlichkeit, Thee ſtatt Kaffee,
überall vortreffliche friſche Butter und Rahm, nebſt
erhöhter Prellerei der Gaſtwirthe — Alles zeigte eine
neue Schattirung dieſer bunten Welt.
Die Gegenden, durch welche mein Weg führte, ge-
hörten einer anmuthigen und ſanften Natur an, be-
ſonders bei Stehlen an der Ruhr, ein Ort, für den
gemacht, der ſich vom Getümmel des Lebens in heitre
Einſamkeit zurückzuziehen wünſcht. Nicht ſatt ſehen
konnte ich mich an der ſaftig friſchen Vegetation, den
prachtvollen Eich- und Buchen-Wäldern, die rechts
und links die Berge krönen, zuweilen ſich über die
Straße hinzogen, dann wieder in weite Ferne zurück-
wichen, aber überall den fruchtbarſten Boden begränz-
ten, braun und roth ſchattirt, wo er friſch geackert
war, hell oder dunkelgrün ſchimmernd, wo junge
Winterſaat und friſcher Klee ihn bedeckten. Jedes
Dorf umgiebt ein Hain ſchön belaubter Bäume, und
nichts übertrifft die Ueppigkeit der Wieſen, durch welche
ſich die Ruhr in den ſeltſamſten Krümmungen ſchlän-
gelt. Ich dachte lachend, daß, wenn Einem prophe-
zeihet würde, an der Ruhr zu ſterben, er ſich hier
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/65>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.