Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

einen förmlich häuslichen Fuß mit ihnen, und sind
auch in diesem Verhältniß so systematisch als in allen
übrigen. Treu sind diese Art Weiber "auf Zeit"
selten, aber oft weit gebildeter an Geist und Sitte
als ihres Gleichen in andern Ländern.

Die Kleine hinter mir schien die Absicht zu haben,
ein solches Verhältniß anzuknüpfen, denn sie benahm
sich nicht ohne Feinheit, und wußte eben so sehr
durch eine artige Coquetterie gegen mich, als durch
ein äußerst gemessenes Benehmen gegen Andere, die
sich ihr zu nähern suchten, bald eine Art Einver-
ständniß zwischen uns hervorzubringen, ohne daß
wir noch ein Wort gewechselt hatten. Auch fehlte
des Anstands halber eine Mutter neben ihr nicht,
die sie chaperonirte, aber sey es nun eine gemiethete
oder eine wahre, nirgends sind diese Mütter beque-
mer als in London. --

Es ist sonderbar, daß die meisten jungen Mädchen,
die hier einem langen Elend so lustig entgegengehen,
nicht von Männern und durch Liebe, sondern, wie
mir ein sehr Kundiger versicherte, fast immer von
ihrem eignen Geschlecht zu solcher Lebensart verführt
werden, wozu der übertriebene Luxus aller Stände
so sehr die Hände bietet. Dennoch bleiben viele von
ihnen weniger interessirt, und weit gefühlvoller als
ihre Nachbarinnen über dem Canal, ja das Roman-
tische selbst verläßt sie nicht immer bei ihrem jam-
mervollen Beruf! Die Nüancen unter diesen Damen
sind übrigens eben so verschieden, als die der ver-

einen förmlich häuslichen Fuß mit ihnen, und ſind
auch in dieſem Verhältniß ſo ſyſtematiſch als in allen
übrigen. Treu ſind dieſe Art Weiber „auf Zeit“
ſelten, aber oft weit gebildeter an Geiſt und Sitte
als ihres Gleichen in andern Ländern.

Die Kleine hinter mir ſchien die Abſicht zu haben,
ein ſolches Verhältniß anzuknüpfen, denn ſie benahm
ſich nicht ohne Feinheit, und wußte eben ſo ſehr
durch eine artige Coquetterie gegen mich, als durch
ein äußerſt gemeſſenes Benehmen gegen Andere, die
ſich ihr zu nähern ſuchten, bald eine Art Einver-
ſtändniß zwiſchen uns hervorzubringen, ohne daß
wir noch ein Wort gewechſelt hatten. Auch fehlte
des Anſtands halber eine Mutter neben ihr nicht,
die ſie chaperonirte, aber ſey es nun eine gemiethete
oder eine wahre, nirgends ſind dieſe Mütter beque-
mer als in London. —

Es iſt ſonderbar, daß die meiſten jungen Mädchen,
die hier einem langen Elend ſo luſtig entgegengehen,
nicht von Männern und durch Liebe, ſondern, wie
mir ein ſehr Kundiger verſicherte, faſt immer von
ihrem eignen Geſchlecht zu ſolcher Lebensart verführt
werden, wozu der übertriebene Luxus aller Stände
ſo ſehr die Hände bietet. Dennoch bleiben viele von
ihnen weniger intereſſirt, und weit gefühlvoller als
ihre Nachbarinnen über dem Canal, ja das Roman-
tiſche ſelbſt verläßt ſie nicht immer bei ihrem jam-
mervollen Beruf! Die Nüancen unter dieſen Damen
ſind übrigens eben ſo verſchieden, als die der ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0122" n="106"/>
einen förmlich häuslichen Fuß mit ihnen, und &#x017F;ind<lb/>
auch in die&#x017F;em Verhältniß &#x017F;o &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;ch als in allen<lb/>
übrigen. Treu &#x017F;ind die&#x017F;e Art Weiber &#x201E;auf Zeit&#x201C;<lb/>
&#x017F;elten, aber oft weit gebildeter an Gei&#x017F;t und Sitte<lb/>
als ihres Gleichen in andern Ländern.</p><lb/>
          <p>Die Kleine hinter mir &#x017F;chien die Ab&#x017F;icht zu haben,<lb/>
ein &#x017F;olches Verhältniß anzuknüpfen, denn &#x017F;ie benahm<lb/>
&#x017F;ich nicht ohne Feinheit, und wußte eben &#x017F;o &#x017F;ehr<lb/>
durch eine artige Coquetterie gegen mich, als durch<lb/>
ein äußer&#x017F;t geme&#x017F;&#x017F;enes Benehmen gegen Andere, die<lb/>
&#x017F;ich ihr zu nähern &#x017F;uchten, bald eine Art Einver-<lb/>
&#x017F;tändniß zwi&#x017F;chen uns hervorzubringen, ohne daß<lb/>
wir noch ein Wort gewech&#x017F;elt hatten. Auch fehlte<lb/>
des An&#x017F;tands halber eine Mutter neben ihr nicht,<lb/>
die &#x017F;ie chaperonirte, aber &#x017F;ey es nun eine gemiethete<lb/>
oder eine wahre, nirgends &#x017F;ind die&#x017F;e Mütter beque-<lb/>
mer als in London. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t &#x017F;onderbar, daß die mei&#x017F;ten jungen Mädchen,<lb/>
die hier einem langen Elend &#x017F;o lu&#x017F;tig entgegengehen,<lb/>
nicht von Männern und durch Liebe, &#x017F;ondern, wie<lb/>
mir ein &#x017F;ehr Kundiger ver&#x017F;icherte, fa&#x017F;t immer von<lb/>
ihrem eignen Ge&#x017F;chlecht zu &#x017F;olcher Lebensart verführt<lb/>
werden, wozu der übertriebene Luxus aller Stände<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr die Hände bietet. Dennoch bleiben viele von<lb/>
ihnen weniger intere&#x017F;&#x017F;irt, und weit gefühlvoller als<lb/>
ihre Nachbarinnen über dem Canal, ja das Roman-<lb/>
ti&#x017F;che &#x017F;elb&#x017F;t verläßt &#x017F;ie nicht immer bei ihrem jam-<lb/>
mervollen Beruf! Die Nüancen unter die&#x017F;en Damen<lb/>
&#x017F;ind übrigens eben &#x017F;o ver&#x017F;chieden, als die der ver-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0122] einen förmlich häuslichen Fuß mit ihnen, und ſind auch in dieſem Verhältniß ſo ſyſtematiſch als in allen übrigen. Treu ſind dieſe Art Weiber „auf Zeit“ ſelten, aber oft weit gebildeter an Geiſt und Sitte als ihres Gleichen in andern Ländern. Die Kleine hinter mir ſchien die Abſicht zu haben, ein ſolches Verhältniß anzuknüpfen, denn ſie benahm ſich nicht ohne Feinheit, und wußte eben ſo ſehr durch eine artige Coquetterie gegen mich, als durch ein äußerſt gemeſſenes Benehmen gegen Andere, die ſich ihr zu nähern ſuchten, bald eine Art Einver- ſtändniß zwiſchen uns hervorzubringen, ohne daß wir noch ein Wort gewechſelt hatten. Auch fehlte des Anſtands halber eine Mutter neben ihr nicht, die ſie chaperonirte, aber ſey es nun eine gemiethete oder eine wahre, nirgends ſind dieſe Mütter beque- mer als in London. — Es iſt ſonderbar, daß die meiſten jungen Mädchen, die hier einem langen Elend ſo luſtig entgegengehen, nicht von Männern und durch Liebe, ſondern, wie mir ein ſehr Kundiger verſicherte, faſt immer von ihrem eignen Geſchlecht zu ſolcher Lebensart verführt werden, wozu der übertriebene Luxus aller Stände ſo ſehr die Hände bietet. Dennoch bleiben viele von ihnen weniger intereſſirt, und weit gefühlvoller als ihre Nachbarinnen über dem Canal, ja das Roman- tiſche ſelbſt verläßt ſie nicht immer bei ihrem jam- mervollen Beruf! Die Nüancen unter dieſen Damen ſind übrigens eben ſo verſchieden, als die der ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/122
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/122>, abgerufen am 22.12.2024.