Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

kenntniß es zu benutzen suchen. Wenigstens habe ich
auf diesem Wege mehr Klarheit über mich selbst er-
langt, als mir sonst vielleicht möglich gewesen wäre.

Da ich den ganzen Tag mit einigen schriftlichen
Arbeiten beschäftigt war, so benutzte ich die milde und
helle Mondnacht zu meinem Spazierritt, denn Gott-
lob, ich brauche mich nicht sclavisch an die Zeit zu
binden!

Die Nacht war ganz italienisch, und außerdem hin-
länglich mit Lampen erleuchtet, in deren Bereich ich
mich stets hielt, und so mehrere Stunden lang in
Stadt und Vorstädten umherritt. Von Westminister-
bridge aus entfaltete sich eine wunderbare Aussicht.
Die vielen Barkenlichter tanzten wie Irrwische auf
der Themse, und die vielen Brücken spannten sich
wie weite illuminirte Bogen-Festons von einer
Häusermasse zur andern über den Fluß. Nur West-
minster-Abtey lag ohne Lampenschein da, und die
sehnsüchtige Luna allein, altvertraut mit Ruinen und
gothischen Denkmälern, buhlte mit ihrem blassen
Scheine mystisch um die steinernen Spitzen und Blu-
men, senkte sich inbrünstig in die dunklen Tiefen, und
versilberte emsig die langgestreckten, glitternden Fenster,
während Dach und Thurm des hohen Baues, in
schwarzer farbloser Majestät, über den Lichtern und
dem Gewimmel der Stadt zum blauen Sternen-
himmel still und starr emporstrebten.

Die Straßen blieben bis Mitternacht ziemlich be-
lebt, ja ich sah sogar einen Knaben von höchstens

kenntniß es zu benutzen ſuchen. Wenigſtens habe ich
auf dieſem Wege mehr Klarheit über mich ſelbſt er-
langt, als mir ſonſt vielleicht möglich geweſen wäre.

Da ich den ganzen Tag mit einigen ſchriftlichen
Arbeiten beſchäftigt war, ſo benutzte ich die milde und
helle Mondnacht zu meinem Spazierritt, denn Gott-
lob, ich brauche mich nicht ſclaviſch an die Zeit zu
binden!

Die Nacht war ganz italieniſch, und außerdem hin-
länglich mit Lampen erleuchtet, in deren Bereich ich
mich ſtets hielt, und ſo mehrere Stunden lang in
Stadt und Vorſtädten umherritt. Von Weſtminiſter-
bridge aus entfaltete ſich eine wunderbare Ausſicht.
Die vielen Barkenlichter tanzten wie Irrwiſche auf
der Themſe, und die vielen Brücken ſpannten ſich
wie weite illuminirte Bogen-Feſtons von einer
Häuſermaſſe zur andern über den Fluß. Nur Weſt-
minſter-Abtey lag ohne Lampenſchein da, und die
ſehnſüchtige Luna allein, altvertraut mit Ruinen und
gothiſchen Denkmälern, buhlte mit ihrem blaſſen
Scheine myſtiſch um die ſteinernen Spitzen und Blu-
men, ſenkte ſich inbrünſtig in die dunklen Tiefen, und
verſilberte emſig die langgeſtreckten, glitternden Fenſter,
während Dach und Thurm des hohen Baues, in
ſchwarzer farbloſer Majeſtät, über den Lichtern und
dem Gewimmel der Stadt zum blauen Sternen-
himmel ſtill und ſtarr emporſtrebten.

Die Straßen blieben bis Mitternacht ziemlich be-
lebt, ja ich ſah ſogar einen Knaben von höchſtens

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0135" n="119"/>
kenntniß es zu benutzen &#x017F;uchen. Wenig&#x017F;tens habe ich<lb/>
auf die&#x017F;em Wege mehr Klarheit über mich &#x017F;elb&#x017F;t er-<lb/>
langt, als mir &#x017F;on&#x017F;t vielleicht möglich gewe&#x017F;en wäre.</p><lb/>
          <p>Da ich den ganzen Tag mit einigen &#x017F;chriftlichen<lb/>
Arbeiten be&#x017F;chäftigt war, &#x017F;o benutzte ich die milde und<lb/>
helle Mondnacht zu meinem Spazierritt, denn Gott-<lb/>
lob, ich brauche mich nicht &#x017F;clavi&#x017F;ch an die Zeit zu<lb/>
binden!</p><lb/>
          <p>Die Nacht war ganz italieni&#x017F;ch, und außerdem hin-<lb/>
länglich mit Lampen erleuchtet, in deren Bereich ich<lb/>
mich &#x017F;tets hielt, und &#x017F;o mehrere Stunden lang in<lb/>
Stadt und Vor&#x017F;tädten umherritt. Von We&#x017F;tmini&#x017F;ter-<lb/>
bridge aus entfaltete &#x017F;ich eine wunderbare Aus&#x017F;icht.<lb/>
Die vielen Barkenlichter tanzten wie Irrwi&#x017F;che auf<lb/>
der Them&#x017F;e, und die vielen Brücken &#x017F;pannten &#x017F;ich<lb/>
wie weite illuminirte Bogen-Fe&#x017F;tons von einer<lb/>
Häu&#x017F;erma&#x017F;&#x017F;e zur andern über den Fluß. Nur We&#x017F;t-<lb/>
min&#x017F;ter-Abtey lag ohne Lampen&#x017F;chein da, und die<lb/>
&#x017F;ehn&#x017F;üchtige Luna allein, altvertraut mit Ruinen und<lb/>
gothi&#x017F;chen Denkmälern, buhlte mit ihrem bla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Scheine my&#x017F;ti&#x017F;ch um die &#x017F;teinernen Spitzen und Blu-<lb/>
men, &#x017F;enkte &#x017F;ich inbrün&#x017F;tig in die dunklen Tiefen, und<lb/>
ver&#x017F;ilberte em&#x017F;ig die langge&#x017F;treckten, glitternden Fen&#x017F;ter,<lb/>
während Dach und Thurm des hohen Baues, in<lb/>
&#x017F;chwarzer farblo&#x017F;er Maje&#x017F;tät, über den Lichtern und<lb/>
dem Gewimmel der Stadt zum blauen Sternen-<lb/>
himmel &#x017F;till und &#x017F;tarr empor&#x017F;trebten.</p><lb/>
          <p>Die Straßen blieben bis Mitternacht ziemlich be-<lb/>
lebt, ja ich &#x017F;ah &#x017F;ogar einen Knaben von höch&#x017F;tens<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0135] kenntniß es zu benutzen ſuchen. Wenigſtens habe ich auf dieſem Wege mehr Klarheit über mich ſelbſt er- langt, als mir ſonſt vielleicht möglich geweſen wäre. Da ich den ganzen Tag mit einigen ſchriftlichen Arbeiten beſchäftigt war, ſo benutzte ich die milde und helle Mondnacht zu meinem Spazierritt, denn Gott- lob, ich brauche mich nicht ſclaviſch an die Zeit zu binden! Die Nacht war ganz italieniſch, und außerdem hin- länglich mit Lampen erleuchtet, in deren Bereich ich mich ſtets hielt, und ſo mehrere Stunden lang in Stadt und Vorſtädten umherritt. Von Weſtminiſter- bridge aus entfaltete ſich eine wunderbare Ausſicht. Die vielen Barkenlichter tanzten wie Irrwiſche auf der Themſe, und die vielen Brücken ſpannten ſich wie weite illuminirte Bogen-Feſtons von einer Häuſermaſſe zur andern über den Fluß. Nur Weſt- minſter-Abtey lag ohne Lampenſchein da, und die ſehnſüchtige Luna allein, altvertraut mit Ruinen und gothiſchen Denkmälern, buhlte mit ihrem blaſſen Scheine myſtiſch um die ſteinernen Spitzen und Blu- men, ſenkte ſich inbrünſtig in die dunklen Tiefen, und verſilberte emſig die langgeſtreckten, glitternden Fenſter, während Dach und Thurm des hohen Baues, in ſchwarzer farbloſer Majeſtät, über den Lichtern und dem Gewimmel der Stadt zum blauen Sternen- himmel ſtill und ſtarr emporſtrebten. Die Straßen blieben bis Mitternacht ziemlich be- lebt, ja ich ſah ſogar einen Knaben von höchſtens

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/135
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/135>, abgerufen am 22.12.2024.