Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

einladende Beschreibung eines Freundes verlockt, ein
schmales Stück von einem besonders vortrefflichen
und wohlfeilen Käse zu kaufen. Doch ehe er noch da-
mit zu Haus kam, überfielen ihn schon Gewissensbisse
und Reue. Er verwünschte seine thörichte Extra-
vaganz, und statt den Käse, wie er früher beabsichtigte, zu
essen, verschloß er ihn in eine Flasche, und begnügte
sich in Gesellschaft des Knaben bei jedem Mahle ihre
Brodrinden im Angesicht des Käses zu genießen,
dieselbe aber vor jedem Bissen gegen die Bouteille zu
reiben, und so den Käse einstweilen nur mit der
Einbildungskraft zu schmecken. Einmal, berichtet die
Geschichte weiter, verspätete Harpagon sich auswärts,
und fand, als er eine Stunde nach der Essenszeit zu
Haus kam, seinen Sohn bereits mit der täglichen
Brodrinde beschäftigt, und diese emsig gegen die
Schrankthüre reibend. Was treibt der Bengel?
rief er verwundert aus: "O Vater! es ist Essens-
zeit, Ihr habt den Schlüssel zum Schranke mitge-
nommen, und da habe ich denn mein Brod ein bis-
chen gegen die Thüre gerieben, weil ich nicht zur
Flasche kommen konnte." Infame Range, schrie der
Vater im höchsten Zorne, kannst Du nicht einen ein-
zigen Tag ohne Käse leben? Geh mir aus den Au-
gen, verschwenderische Brut, Du wirst nimmer ein
reicher Mann werden.

So reibe auch ich zuweilen meine Brodrinde gegen
die Schrankthüre, denn das Reichwerden habe ich
ebenfalls längst aufgegeben.

einladende Beſchreibung eines Freundes verlockt, ein
ſchmales Stück von einem beſonders vortrefflichen
und wohlfeilen Käſe zu kaufen. Doch ehe er noch da-
mit zu Haus kam, überfielen ihn ſchon Gewiſſensbiſſe
und Reue. Er verwünſchte ſeine thörichte Extra-
vaganz, und ſtatt den Käſe, wie er früher beabſichtigte, zu
eſſen, verſchloß er ihn in eine Flaſche, und begnügte
ſich in Geſellſchaft des Knaben bei jedem Mahle ihre
Brodrinden im Angeſicht des Käſes zu genießen,
dieſelbe aber vor jedem Biſſen gegen die Bouteille zu
reiben, und ſo den Käſe einſtweilen nur mit der
Einbildungskraft zu ſchmecken. Einmal, berichtet die
Geſchichte weiter, verſpätete Harpagon ſich auswärts,
und fand, als er eine Stunde nach der Eſſenszeit zu
Haus kam, ſeinen Sohn bereits mit der täglichen
Brodrinde beſchäftigt, und dieſe emſig gegen die
Schrankthüre reibend. Was treibt der Bengel?
rief er verwundert aus: „O Vater! es iſt Eſſens-
zeit, Ihr habt den Schlüſſel zum Schranke mitge-
nommen, und da habe ich denn mein Brod ein bis-
chen gegen die Thüre gerieben, weil ich nicht zur
Flaſche kommen konnte.“ Infame Range, ſchrie der
Vater im höchſten Zorne, kannſt Du nicht einen ein-
zigen Tag ohne Käſe leben? Geh mir aus den Au-
gen, verſchwenderiſche Brut, Du wirſt nimmer ein
reicher Mann werden.

So reibe auch ich zuweilen meine Brodrinde gegen
die Schrankthüre, denn das Reichwerden habe ich
ebenfalls längſt aufgegeben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0137" n="121"/>
einladende Be&#x017F;chreibung eines Freundes verlockt, ein<lb/>
&#x017F;chmales Stück von einem be&#x017F;onders vortrefflichen<lb/>
und wohlfeilen Kä&#x017F;e zu kaufen. Doch ehe er noch da-<lb/>
mit zu Haus kam, überfielen ihn &#x017F;chon Gewi&#x017F;&#x017F;ensbi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und Reue. Er verwün&#x017F;chte &#x017F;eine thörichte Extra-<lb/>
vaganz, und &#x017F;tatt den Kä&#x017F;e, wie er früher beab&#x017F;ichtigte, zu<lb/>
e&#x017F;&#x017F;en, ver&#x017F;chloß er ihn in eine Fla&#x017F;che, und begnügte<lb/>
&#x017F;ich in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft des Knaben bei jedem Mahle ihre<lb/>
Brodrinden im <hi rendition="#g">Ange&#x017F;icht</hi> des Kä&#x017F;es zu genießen,<lb/>
die&#x017F;elbe aber vor jedem Bi&#x017F;&#x017F;en gegen die Bouteille zu<lb/>
reiben, und &#x017F;o den Kä&#x017F;e ein&#x017F;tweilen nur mit der<lb/>
Einbildungskraft zu &#x017F;chmecken. Einmal, berichtet die<lb/>
Ge&#x017F;chichte weiter, ver&#x017F;pätete Harpagon &#x017F;ich auswärts,<lb/>
und fand, als er eine Stunde nach der E&#x017F;&#x017F;enszeit zu<lb/>
Haus kam, &#x017F;einen Sohn bereits mit der täglichen<lb/>
Brodrinde be&#x017F;chäftigt, und die&#x017F;e em&#x017F;ig gegen die<lb/><hi rendition="#g">Schrankthüre</hi> reibend. Was treibt der Bengel?<lb/>
rief er verwundert aus: &#x201E;O Vater! es i&#x017F;t E&#x017F;&#x017F;ens-<lb/>
zeit, Ihr habt den Schlü&#x017F;&#x017F;el zum Schranke mitge-<lb/>
nommen, und da habe ich denn mein Brod ein bis-<lb/>
chen gegen die Thüre gerieben, weil ich nicht zur<lb/>
Fla&#x017F;che kommen konnte.&#x201C; Infame Range, &#x017F;chrie der<lb/>
Vater im höch&#x017F;ten Zorne, kann&#x017F;t Du nicht einen ein-<lb/>
zigen Tag ohne Kä&#x017F;e leben? Geh mir aus den Au-<lb/>
gen, ver&#x017F;chwenderi&#x017F;che Brut, <hi rendition="#g">Du</hi> wir&#x017F;t nimmer ein<lb/>
reicher Mann werden.</p><lb/>
          <p>So reibe auch ich zuweilen meine Brodrinde gegen<lb/>
die Schrankthüre, denn das Reichwerden habe ich<lb/>
ebenfalls läng&#x017F;t aufgegeben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0137] einladende Beſchreibung eines Freundes verlockt, ein ſchmales Stück von einem beſonders vortrefflichen und wohlfeilen Käſe zu kaufen. Doch ehe er noch da- mit zu Haus kam, überfielen ihn ſchon Gewiſſensbiſſe und Reue. Er verwünſchte ſeine thörichte Extra- vaganz, und ſtatt den Käſe, wie er früher beabſichtigte, zu eſſen, verſchloß er ihn in eine Flaſche, und begnügte ſich in Geſellſchaft des Knaben bei jedem Mahle ihre Brodrinden im Angeſicht des Käſes zu genießen, dieſelbe aber vor jedem Biſſen gegen die Bouteille zu reiben, und ſo den Käſe einſtweilen nur mit der Einbildungskraft zu ſchmecken. Einmal, berichtet die Geſchichte weiter, verſpätete Harpagon ſich auswärts, und fand, als er eine Stunde nach der Eſſenszeit zu Haus kam, ſeinen Sohn bereits mit der täglichen Brodrinde beſchäftigt, und dieſe emſig gegen die Schrankthüre reibend. Was treibt der Bengel? rief er verwundert aus: „O Vater! es iſt Eſſens- zeit, Ihr habt den Schlüſſel zum Schranke mitge- nommen, und da habe ich denn mein Brod ein bis- chen gegen die Thüre gerieben, weil ich nicht zur Flaſche kommen konnte.“ Infame Range, ſchrie der Vater im höchſten Zorne, kannſt Du nicht einen ein- zigen Tag ohne Käſe leben? Geh mir aus den Au- gen, verſchwenderiſche Brut, Du wirſt nimmer ein reicher Mann werden. So reibe auch ich zuweilen meine Brodrinde gegen die Schrankthüre, denn das Reichwerden habe ich ebenfalls längſt aufgegeben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/137
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/137>, abgerufen am 22.12.2024.