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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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nur hie und da durch Neues ersetzt. Die Steinar-
beit überall vortrefflich, auf das Feinste und Nied-
lichste wie geschnitztes Holz gearbeitet, alle Arten von
Blättern, Thieren, Engeln und Potentaten darstel-
lend. Von den zwei Hauptfenstern an den beiden
Enden der Kirche ist das Eine nicht weniger als fünf
und siebenzig Fuß hoch und zwei und dreißig Fuß
breit. Das entgegengesetzte stellt in seinen seltsamen
Steinverzweigungen die Adern des menschlichen Her-
zens dar, und giebt mit dem blutrothen Glase einen
wunderbaren Anblick. Ein andres großes Seitenfen-
ster ist dadurch merkwürdig, daß das Glas in Nachah-
mung von Stickerei und Nadelarbeit gemalt ist, so
daß es nur einer feinen bunten Tapete gleicht, ohne
irgend ein andres Bild zu enthalten. Im Chor steht
ein alter Stuhl, auf dem mehrere Könige Englands
gekrönt worden sind. Ich setzte mich neugierig auch
darauf, und fand ihn für einen Steinstuhl sehr be-
quem. Noch angenehmer mag es sich allerdings dar-
auf sitzen, wenn man im Begriff ist, die königliche
Krone zu empfangen.

Neben der Kirche ist eine sehr hübsche, gothisch
verzierte Bibliothek, deren Einrichtung mir sehr zweck-
mäßig schien. Die Schränke und Fächer sind nume-
rirt, die ersten mit römischen Zahlen, die zweiten
mit Buchstaben. Jedes Buch hat drei Nummern
aufgeklebt, oben die des Schranks, dann des Fachs
und unten seine eigne Zahl, so daß man es im Au-
genblick finden kann. Die Nummern verstellen auch
die Bücher gar nicht, da es Papierchen in Form gold-

nur hie und da durch Neues erſetzt. Die Steinar-
beit überall vortrefflich, auf das Feinſte und Nied-
lichſte wie geſchnitztes Holz gearbeitet, alle Arten von
Blättern, Thieren, Engeln und Potentaten darſtel-
lend. Von den zwei Hauptfenſtern an den beiden
Enden der Kirche iſt das Eine nicht weniger als fünf
und ſiebenzig Fuß hoch und zwei und dreißig Fuß
breit. Das entgegengeſetzte ſtellt in ſeinen ſeltſamen
Steinverzweigungen die Adern des menſchlichen Her-
zens dar, und giebt mit dem blutrothen Glaſe einen
wunderbaren Anblick. Ein andres großes Seitenfen-
ſter iſt dadurch merkwürdig, daß das Glas in Nachah-
mung von Stickerei und Nadelarbeit gemalt iſt, ſo
daß es nur einer feinen bunten Tapete gleicht, ohne
irgend ein andres Bild zu enthalten. Im Chor ſteht
ein alter Stuhl, auf dem mehrere Könige Englands
gekrönt worden ſind. Ich ſetzte mich neugierig auch
darauf, und fand ihn für einen Steinſtuhl ſehr be-
quem. Noch angenehmer mag es ſich allerdings dar-
auf ſitzen, wenn man im Begriff iſt, die königliche
Krone zu empfangen.

Neben der Kirche iſt eine ſehr hübſche, gothiſch
verzierte Bibliothek, deren Einrichtung mir ſehr zweck-
mäßig ſchien. Die Schränke und Fächer ſind nume-
rirt, die erſten mit römiſchen Zahlen, die zweiten
mit Buchſtaben. Jedes Buch hat drei Nummern
aufgeklebt, oben die des Schranks, dann des Fachs
und unten ſeine eigne Zahl, ſo daß man es im Au-
genblick finden kann. Die Nummern verſtellen auch
die Bücher gar nicht, da es Papierchen in Form gold-

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[175/0191] nur hie und da durch Neues erſetzt. Die Steinar- beit überall vortrefflich, auf das Feinſte und Nied- lichſte wie geſchnitztes Holz gearbeitet, alle Arten von Blättern, Thieren, Engeln und Potentaten darſtel- lend. Von den zwei Hauptfenſtern an den beiden Enden der Kirche iſt das Eine nicht weniger als fünf und ſiebenzig Fuß hoch und zwei und dreißig Fuß breit. Das entgegengeſetzte ſtellt in ſeinen ſeltſamen Steinverzweigungen die Adern des menſchlichen Her- zens dar, und giebt mit dem blutrothen Glaſe einen wunderbaren Anblick. Ein andres großes Seitenfen- ſter iſt dadurch merkwürdig, daß das Glas in Nachah- mung von Stickerei und Nadelarbeit gemalt iſt, ſo daß es nur einer feinen bunten Tapete gleicht, ohne irgend ein andres Bild zu enthalten. Im Chor ſteht ein alter Stuhl, auf dem mehrere Könige Englands gekrönt worden ſind. Ich ſetzte mich neugierig auch darauf, und fand ihn für einen Steinſtuhl ſehr be- quem. Noch angenehmer mag es ſich allerdings dar- auf ſitzen, wenn man im Begriff iſt, die königliche Krone zu empfangen. Neben der Kirche iſt eine ſehr hübſche, gothiſch verzierte Bibliothek, deren Einrichtung mir ſehr zweck- mäßig ſchien. Die Schränke und Fächer ſind nume- rirt, die erſten mit römiſchen Zahlen, die zweiten mit Buchſtaben. Jedes Buch hat drei Nummern aufgeklebt, oben die des Schranks, dann des Fachs und unten ſeine eigne Zahl, ſo daß man es im Au- genblick finden kann. Die Nummern verſtellen auch die Bücher gar nicht, da es Papierchen in Form gold-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/191>, abgerufen am 22.12.2024.