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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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"Wüste mich zum Todeskampf -- ich stehe Dir. Doch
"diese blut'gen Locken schüttle nicht, starre mich nicht
"an mit diesen Augen ohne Leben -- fort! fürchter-
"licher Schatten, fort, verbirg Dich in der Erde Ein-
"geweiden wieder, u. s. w." fing er sehr rich-
tig, statt zu steigern, gleich mit aller Anstrengung
verzweifelnder Wuth an, sank nach und nach, von
Entsetzen überwältigt immer mehr mit der Stimme,
bis er die letzten Worte nur lallend aussprach. Dann
plötzlich schlug er, in fürchterlicher Todesangst dumpf
aufschreiend, den Mantel über das Gesicht, und sank
halb leblos auf seinen Sessel zurück. Er erreichte
hierdurch die höchste Wirkung. Man fühlte als Mensch
es schaudernd mit, daß unser kühnster Muth doch
dem Grausen einer andern Welt nicht gewachsen ist
-- und bemerkte keine Spur von dem bloßen Thea-
terhelden, der um die Natur sich wenig bekümmert,
und nur für die Gallerie auf Effekt spielend, in im-
mer steigendem Geschrei und Wüthen seinen höchsten
Triumph sucht. Herrlich nimmt Macready auch den
letzten Akt, wo Gewissen und Furcht gleichmäßig
erschöpft sind, und starre Apathie schon beider
Stelle eingenommen hat, wenn in drei schnell auf-
einanderfolgenden Schlägen nun das letzte Gericht
über den Sünder hereinbricht, der Tod der Königin,
die Erfüllung der trügerischen Weissagung der Hexen,
und endlich Macduffs vernichtende Erklärung, daß
ihn kein Weib geboren.

Was früher Macbeths Gemüth marterte, und ihn
über seinen Zustand grübeln, gegen die Plage seines

„Wüſte mich zum Todeskampf — ich ſtehe Dir. Doch
„dieſe blut’gen Locken ſchüttle nicht, ſtarre mich nicht
„an mit dieſen Augen ohne Leben — fort! fürchter-
„licher Schatten, fort, verbirg Dich in der Erde Ein-
„geweiden wieder, u. ſ. w.“ fing er ſehr rich-
tig, ſtatt zu ſteigern, gleich mit aller Anſtrengung
verzweifelnder Wuth an, ſank nach und nach, von
Entſetzen überwältigt immer mehr mit der Stimme,
bis er die letzten Worte nur lallend ausſprach. Dann
plötzlich ſchlug er, in fürchterlicher Todesangſt dumpf
aufſchreiend, den Mantel über das Geſicht, und ſank
halb leblos auf ſeinen Seſſel zurück. Er erreichte
hierdurch die höchſte Wirkung. Man fühlte als Menſch
es ſchaudernd mit, daß unſer kühnſter Muth doch
dem Grauſen einer andern Welt nicht gewachſen iſt
— und bemerkte keine Spur von dem bloßen Thea-
terhelden, der um die Natur ſich wenig bekümmert,
und nur für die Gallerie auf Effekt ſpielend, in im-
mer ſteigendem Geſchrei und Wüthen ſeinen höchſten
Triumph ſucht. Herrlich nimmt Macready auch den
letzten Akt, wo Gewiſſen und Furcht gleichmäßig
erſchöpft ſind, und ſtarre Apathie ſchon beider
Stelle eingenommen hat, wenn in drei ſchnell auf-
einanderfolgenden Schlägen nun das letzte Gericht
über den Sünder hereinbricht, der Tod der Königin,
die Erfüllung der trügeriſchen Weiſſagung der Hexen,
und endlich Macduffs vernichtende Erklärung, daß
ihn kein Weib geboren.

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über ſeinen Zuſtand grübeln, gegen die Plage ſeines

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[256/0272] „Wüſte mich zum Todeskampf — ich ſtehe Dir. Doch „dieſe blut’gen Locken ſchüttle nicht, ſtarre mich nicht „an mit dieſen Augen ohne Leben — fort! fürchter- „licher Schatten, fort, verbirg Dich in der Erde Ein- „geweiden wieder, u. ſ. w.“ fing er ſehr rich- tig, ſtatt zu ſteigern, gleich mit aller Anſtrengung verzweifelnder Wuth an, ſank nach und nach, von Entſetzen überwältigt immer mehr mit der Stimme, bis er die letzten Worte nur lallend ausſprach. Dann plötzlich ſchlug er, in fürchterlicher Todesangſt dumpf aufſchreiend, den Mantel über das Geſicht, und ſank halb leblos auf ſeinen Seſſel zurück. Er erreichte hierdurch die höchſte Wirkung. Man fühlte als Menſch es ſchaudernd mit, daß unſer kühnſter Muth doch dem Grauſen einer andern Welt nicht gewachſen iſt — und bemerkte keine Spur von dem bloßen Thea- terhelden, der um die Natur ſich wenig bekümmert, und nur für die Gallerie auf Effekt ſpielend, in im- mer ſteigendem Geſchrei und Wüthen ſeinen höchſten Triumph ſucht. Herrlich nimmt Macready auch den letzten Akt, wo Gewiſſen und Furcht gleichmäßig erſchöpft ſind, und ſtarre Apathie ſchon beider Stelle eingenommen hat, wenn in drei ſchnell auf- einanderfolgenden Schlägen nun das letzte Gericht über den Sünder hereinbricht, der Tod der Königin, die Erfüllung der trügeriſchen Weiſſagung der Hexen, und endlich Macduffs vernichtende Erklärung, daß ihn kein Weib geboren. Was früher Macbeths Gemüth marterte, und ihn über ſeinen Zuſtand grübeln, gegen die Plage ſeines

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/272>, abgerufen am 23.12.2024.