Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

stets das seyn, was man nerveus nennt; das
heißt, sie mögen von Natur fest und gut gebildet
seyn, so weit als das Grundwerk der Maschine geht;
sie mögen ein starkes und dichtes Knochengebäude
haben, und von ausgedehnten Verhältnissen, sie mö-
gen ein eben so starkes Muskelsystem besitzen, die
Circulation des Blutes und die absorbirenden Organe
energisch seyn, und dennoch werden sie in einem
Punkte
immer schwächlich genannt werden müssen,
nämlich die Organe, welche von der Natur bestimmt
sind, die Eindrücke des Gefühls und Empfindens
weiter zu befördern, werden so beschaffen seyn, daß
sie mit Blitzesschnelle durch die leichteste Irritations-
Ursache in einen unordentlichen Zustand übergehen,
zu einer Zeit krankhaft reizbar sind, zu einer andern
in eine Art Gefühllosigkeit verfallen, und nie ganz
den Ton und Stärke erlangen, welche zu einer festen
und regelmäßigen Erfüllung ihrer Funktionen erfor-
dert werden."

Das können wir nun nicht ändern, aber dagegen
arbeiten können wir mannigfach, durch Beobachtung
unsrer selbst und durch die Kraft des Willens.

Aber nun fährt unser ärztlicher Freund eben so er-
götzlich als weise so fort:

"Der nerveuse Kranke ist immer mit seinen Kla-
gen fertig. Dem Freunde wird er hundert seltsame
Seelenleiden mitzutheilen, und täglich neue Ent-
deckungen an sich zu machen haben, dem Arzte aber
bald von sonderbaren Schmerzen in den Augen, an
allen Ecken des Kopfes, Stichen und Summen in

ſtets das ſeyn, was man nerveus nennt; das
heißt, ſie mögen von Natur feſt und gut gebildet
ſeyn, ſo weit als das Grundwerk der Maſchine geht;
ſie mögen ein ſtarkes und dichtes Knochengebäude
haben, und von ausgedehnten Verhältniſſen, ſie mö-
gen ein eben ſo ſtarkes Muskelſyſtem beſitzen, die
Circulation des Blutes und die abſorbirenden Organe
energiſch ſeyn, und dennoch werden ſie in einem
Punkte
immer ſchwächlich genannt werden müſſen,
nämlich die Organe, welche von der Natur beſtimmt
ſind, die Eindrücke des Gefühls und Empfindens
weiter zu befördern, werden ſo beſchaffen ſeyn, daß
ſie mit Blitzesſchnelle durch die leichteſte Irritations-
Urſache in einen unordentlichen Zuſtand übergehen,
zu einer Zeit krankhaft reizbar ſind, zu einer andern
in eine Art Gefühlloſigkeit verfallen, und nie ganz
den Ton und Stärke erlangen, welche zu einer feſten
und regelmäßigen Erfüllung ihrer Funktionen erfor-
dert werden.“

Das können wir nun nicht ändern, aber dagegen
arbeiten können wir mannigfach, durch Beobachtung
unſrer ſelbſt und durch die Kraft des Willens.

Aber nun fährt unſer ärztlicher Freund eben ſo er-
götzlich als weiſe ſo fort:

„Der nerveuſe Kranke iſt immer mit ſeinen Kla-
gen fertig. Dem Freunde wird er hundert ſeltſame
Seelenleiden mitzutheilen, und täglich neue Ent-
deckungen an ſich zu machen haben, dem Arzte aber
bald von ſonderbaren Schmerzen in den Augen, an
allen Ecken des Kopfes, Stichen und Summen in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0281" n="265"/>
&#x017F;tets das &#x017F;eyn, was man <hi rendition="#g">nerveus</hi> nennt; das<lb/>
heißt, &#x017F;ie mögen von Natur fe&#x017F;t und gut gebildet<lb/>
&#x017F;eyn, &#x017F;o weit als das Grundwerk der Ma&#x017F;chine geht;<lb/>
&#x017F;ie mögen ein &#x017F;tarkes und dichtes Knochengebäude<lb/>
haben, und von ausgedehnten Verhältni&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie mö-<lb/>
gen ein eben &#x017F;o &#x017F;tarkes Muskel&#x017F;y&#x017F;tem be&#x017F;itzen, die<lb/>
Circulation des Blutes und die ab&#x017F;orbirenden Organe<lb/>
energi&#x017F;ch &#x017F;eyn, und dennoch werden &#x017F;ie in <hi rendition="#g">einem<lb/>
Punkte</hi> immer &#x017F;chwächlich genannt werden mü&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
nämlich <hi rendition="#g">die</hi> Organe, welche von der Natur be&#x017F;timmt<lb/>
&#x017F;ind, die Eindrücke des Gefühls und Empfindens<lb/>
weiter zu befördern, werden &#x017F;o be&#x017F;chaffen &#x017F;eyn, daß<lb/>
&#x017F;ie mit Blitzes&#x017F;chnelle durch die leichte&#x017F;te Irritations-<lb/>
Ur&#x017F;ache in einen unordentlichen Zu&#x017F;tand übergehen,<lb/>
zu einer Zeit krankhaft reizbar &#x017F;ind, zu einer andern<lb/>
in eine Art Gefühllo&#x017F;igkeit verfallen, und nie ganz<lb/>
den Ton und Stärke erlangen, welche zu einer fe&#x017F;ten<lb/>
und regelmäßigen Erfüllung ihrer Funktionen erfor-<lb/>
dert werden.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Das können wir nun nicht ändern, aber dagegen<lb/>
arbeiten können wir mannigfach, durch Beobachtung<lb/>
un&#x017F;rer &#x017F;elb&#x017F;t und durch die Kraft des Willens.</p><lb/>
          <p>Aber nun fährt un&#x017F;er ärztlicher Freund eben &#x017F;o er-<lb/>
götzlich als wei&#x017F;e &#x017F;o fort:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Der nerveu&#x017F;e Kranke i&#x017F;t immer mit &#x017F;einen Kla-<lb/>
gen fertig. Dem Freunde wird er hundert &#x017F;elt&#x017F;ame<lb/>
Seelenleiden mitzutheilen, und täglich neue Ent-<lb/>
deckungen an &#x017F;ich zu machen haben, dem Arzte aber<lb/>
bald von &#x017F;onderbaren Schmerzen in den Augen, an<lb/>
allen Ecken des Kopfes, Stichen und Summen in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[265/0281] ſtets das ſeyn, was man nerveus nennt; das heißt, ſie mögen von Natur feſt und gut gebildet ſeyn, ſo weit als das Grundwerk der Maſchine geht; ſie mögen ein ſtarkes und dichtes Knochengebäude haben, und von ausgedehnten Verhältniſſen, ſie mö- gen ein eben ſo ſtarkes Muskelſyſtem beſitzen, die Circulation des Blutes und die abſorbirenden Organe energiſch ſeyn, und dennoch werden ſie in einem Punkte immer ſchwächlich genannt werden müſſen, nämlich die Organe, welche von der Natur beſtimmt ſind, die Eindrücke des Gefühls und Empfindens weiter zu befördern, werden ſo beſchaffen ſeyn, daß ſie mit Blitzesſchnelle durch die leichteſte Irritations- Urſache in einen unordentlichen Zuſtand übergehen, zu einer Zeit krankhaft reizbar ſind, zu einer andern in eine Art Gefühlloſigkeit verfallen, und nie ganz den Ton und Stärke erlangen, welche zu einer feſten und regelmäßigen Erfüllung ihrer Funktionen erfor- dert werden.“ Das können wir nun nicht ändern, aber dagegen arbeiten können wir mannigfach, durch Beobachtung unſrer ſelbſt und durch die Kraft des Willens. Aber nun fährt unſer ärztlicher Freund eben ſo er- götzlich als weiſe ſo fort: „Der nerveuſe Kranke iſt immer mit ſeinen Kla- gen fertig. Dem Freunde wird er hundert ſeltſame Seelenleiden mitzutheilen, und täglich neue Ent- deckungen an ſich zu machen haben, dem Arzte aber bald von ſonderbaren Schmerzen in den Augen, an allen Ecken des Kopfes, Stichen und Summen in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/281
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/281>, abgerufen am 23.12.2024.