Heute war Concert beim großen Herzog, in dem der alte Veluti wie ein Capaun krähte, worüber den- noch Alles in Entzücken gerieth, weil er einst gut sang, hier aber noch immer den alten Ruhm usur- pirt. Dann ging ich auf einen der hübschesten Bälle, den ich noch in London gesehen, bei einer vornehmen schottischen Dame. Der große Saal war unter an- dern ganz mit Papierlampen dekorirt, die sämmtlich Formen der verschiedensten Blumen nachahmten, und sehr geschmackvoll gruppirt waren.
Als wir um 6 Uhr bei Sonnenschein in die Wägen stiegen, nahmen sich die Damen höchst sonderbar aus. Keine Fraicheur konnte diese Probe bestehen. Sie changirten Farben wie das Chamäleon. Einige sa- hen ganz blau, andere scheckig, die meisten leichenar- tig aus, die Locken herabhängend, die Augen glä- sern. Es war ganz abscheulich anzusehen, wie die beim Lampenschein blühenden Knospen vor den Strah- len der Sonne plötzlich zu entblätterten Rosen ver- blichen. Das Loos des Schönen auf der Erde!
Den 23sten.
Was sagst Du, gute Julie, zu einem Frühstück, zu dem 2000 Menschen eingeladen sind? Ein solches fand heute statt in den horticultural gardens, die groß genug sind, um so viel Menschen bequem zu fassen. Indeß ging es doch nicht ohne fürchterliches Gedränge bei den Eßzelten ab, besonders da, wo
Heute war Concert beim großen Herzog, in dem der alte Veluti wie ein Capaun krähte, worüber den- noch Alles in Entzücken gerieth, weil er einſt gut ſang, hier aber noch immer den alten Ruhm uſur- pirt. Dann ging ich auf einen der hübſcheſten Bälle, den ich noch in London geſehen, bei einer vornehmen ſchottiſchen Dame. Der große Saal war unter an- dern ganz mit Papierlampen dekorirt, die ſämmtlich Formen der verſchiedenſten Blumen nachahmten, und ſehr geſchmackvoll gruppirt waren.
Als wir um 6 Uhr bei Sonnenſchein in die Wägen ſtiegen, nahmen ſich die Damen höchſt ſonderbar aus. Keine Fraicheur konnte dieſe Probe beſtehen. Sie changirten Farben wie das Chamäleon. Einige ſa- hen ganz blau, andere ſcheckig, die meiſten leichenar- tig aus, die Locken herabhängend, die Augen glä- ſern. Es war ganz abſcheulich anzuſehen, wie die beim Lampenſchein blühenden Knospen vor den Strah- len der Sonne plötzlich zu entblätterten Roſen ver- blichen. Das Loos des Schönen auf der Erde!
Den 23ſten.
Was ſagſt Du, gute Julie, zu einem Frühſtück, zu dem 2000 Menſchen eingeladen ſind? Ein ſolches fand heute ſtatt in den horticultural gardens, die groß genug ſind, um ſo viel Menſchen bequem zu faſſen. Indeß ging es doch nicht ohne fürchterliches Gedränge bei den Eßzelten ab, beſonders da, wo
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0076"n="60"/><p>Heute war Concert beim großen Herzog, in dem<lb/>
der alte Veluti wie ein Capaun krähte, worüber den-<lb/>
noch Alles in Entzücken gerieth, weil er einſt gut<lb/>ſang, hier aber noch immer den alten Ruhm uſur-<lb/>
pirt. Dann ging ich auf einen der hübſcheſten Bälle,<lb/>
den ich noch in London geſehen, bei einer vornehmen<lb/>ſchottiſchen Dame. Der große Saal war unter an-<lb/>
dern ganz mit Papierlampen dekorirt, die ſämmtlich<lb/>
Formen der verſchiedenſten Blumen nachahmten, und<lb/>ſehr geſchmackvoll gruppirt waren.</p><lb/><p>Als wir um 6 Uhr bei Sonnenſchein in die Wägen<lb/>ſtiegen, nahmen ſich die Damen höchſt ſonderbar aus.<lb/>
Keine Fraicheur konnte dieſe Probe beſtehen. Sie<lb/>
changirten Farben wie das Chamäleon. Einige ſa-<lb/>
hen ganz blau, andere ſcheckig, die meiſten leichenar-<lb/>
tig aus, die Locken herabhängend, die Augen glä-<lb/>ſern. Es war ganz abſcheulich anzuſehen, wie die<lb/>
beim Lampenſchein blühenden Knospen vor den Strah-<lb/>
len der Sonne plötzlich zu entblätterten Roſen ver-<lb/>
blichen. Das Loos des Schönen auf der Erde!</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Den 23ſten.</hi></dateline></opener><lb/><p>Was ſagſt Du, gute Julie, zu einem Frühſtück,<lb/>
zu dem 2000 Menſchen eingeladen ſind? Ein ſolches<lb/>
fand heute ſtatt in den <hirendition="#aq">horticultural gardens,</hi> die<lb/>
groß genug ſind, um ſo viel Menſchen bequem zu<lb/>
faſſen. Indeß ging es doch nicht ohne fürchterliches<lb/>
Gedränge bei den Eßzelten ab, beſonders da, wo<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[60/0076]
Heute war Concert beim großen Herzog, in dem
der alte Veluti wie ein Capaun krähte, worüber den-
noch Alles in Entzücken gerieth, weil er einſt gut
ſang, hier aber noch immer den alten Ruhm uſur-
pirt. Dann ging ich auf einen der hübſcheſten Bälle,
den ich noch in London geſehen, bei einer vornehmen
ſchottiſchen Dame. Der große Saal war unter an-
dern ganz mit Papierlampen dekorirt, die ſämmtlich
Formen der verſchiedenſten Blumen nachahmten, und
ſehr geſchmackvoll gruppirt waren.
Als wir um 6 Uhr bei Sonnenſchein in die Wägen
ſtiegen, nahmen ſich die Damen höchſt ſonderbar aus.
Keine Fraicheur konnte dieſe Probe beſtehen. Sie
changirten Farben wie das Chamäleon. Einige ſa-
hen ganz blau, andere ſcheckig, die meiſten leichenar-
tig aus, die Locken herabhängend, die Augen glä-
ſern. Es war ganz abſcheulich anzuſehen, wie die
beim Lampenſchein blühenden Knospen vor den Strah-
len der Sonne plötzlich zu entblätterten Roſen ver-
blichen. Das Loos des Schönen auf der Erde!
Den 23ſten.
Was ſagſt Du, gute Julie, zu einem Frühſtück,
zu dem 2000 Menſchen eingeladen ſind? Ein ſolches
fand heute ſtatt in den horticultural gardens, die
groß genug ſind, um ſo viel Menſchen bequem zu
faſſen. Indeß ging es doch nicht ohne fürchterliches
Gedränge bei den Eßzelten ab, beſonders da, wo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/76>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.