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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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IV. Neuere Zeit. Max I. 1493-1519.
der Selbsthülfe ersetzen, und über Aufrechthaltung
des Landfriedens mit Nachdruck wachen würde.


II.

Beides, Landfriede und Cammergericht,
waren in der That unzertrennliche Dinge. So lange
es einem jeden erlaubt war, sich mit eignen Kräf-
ten Recht zu schaffen, so war an keine Aufnahme
irgend einer Gerichtsstelle zu denken. Wer sich
auf seine Kräfte verlaßen kann, wird, wenn man
ihm die Wahl läßt, immer lieber davon Gebrauch
machen, als erst die Frage: ob er auch Recht
habe? auf die Entscheidung eines Gerichts ankom-
men laßen. Wo also Faustrecht gilt, da werden
immer Gerichte müßig stehen. Fehlt es aber an
Gerichten, oder sind diese nicht in dem gehörigen
Ansehen, oder nicht mit der nöthigen vollziehenden
Gewalt versehen; so hält es schwer der Selbst-
hülfe zu wehren, weil doch Mittel zum Rechte zu
gelangen einmal seyn müßen. Und wenn Selbst-
hülfe auch für Verbrechen erkläret wird, wer soll
über Bestrafung des Verbrechens halten, wenn
kein Gericht dazu in Ordnung ist?


III.

Von allem dem enthielt die bisherige Teutsche
Geschichte die trifftigsten in Erfahrung beruhenden
Beweise. Alle Bemühungen das Unwesen des
Faustrechts zu heben waren bisher vergeblich, so
lange nicht zugleich das Gerichtswesen auf bessern
Fuß kam. An letzteres war nicht zu denken, so
lange Faustrecht galt. Endlich begriff man den
bisherigen Fehler, eines ohne das andere machen
zu wollen. Landfriede und Cammergericht wurden
also vom Kaiser Max durch Unterzeichnung der über
beides entworfenen Ordnungen an einem Tage

(1495.

IV. Neuere Zeit. Max I. 1493-1519.
der Selbſthuͤlfe erſetzen, und uͤber Aufrechthaltung
des Landfriedens mit Nachdruck wachen wuͤrde.


II.

Beides, Landfriede und Cammergericht,
waren in der That unzertrennliche Dinge. So lange
es einem jeden erlaubt war, ſich mit eignen Kraͤf-
ten Recht zu ſchaffen, ſo war an keine Aufnahme
irgend einer Gerichtsſtelle zu denken. Wer ſich
auf ſeine Kraͤfte verlaßen kann, wird, wenn man
ihm die Wahl laͤßt, immer lieber davon Gebrauch
machen, als erſt die Frage: ob er auch Recht
habe? auf die Entſcheidung eines Gerichts ankom-
men laßen. Wo alſo Fauſtrecht gilt, da werden
immer Gerichte muͤßig ſtehen. Fehlt es aber an
Gerichten, oder ſind dieſe nicht in dem gehoͤrigen
Anſehen, oder nicht mit der noͤthigen vollziehenden
Gewalt verſehen; ſo haͤlt es ſchwer der Selbſt-
huͤlfe zu wehren, weil doch Mittel zum Rechte zu
gelangen einmal ſeyn muͤßen. Und wenn Selbſt-
huͤlfe auch fuͤr Verbrechen erklaͤret wird, wer ſoll
uͤber Beſtrafung des Verbrechens halten, wenn
kein Gericht dazu in Ordnung iſt?


III.

Von allem dem enthielt die bisherige Teutſche
Geſchichte die trifftigſten in Erfahrung beruhenden
Beweiſe. Alle Bemuͤhungen das Unweſen des
Fauſtrechts zu heben waren bisher vergeblich, ſo
lange nicht zugleich das Gerichtsweſen auf beſſern
Fuß kam. An letzteres war nicht zu denken, ſo
lange Fauſtrecht galt. Endlich begriff man den
bisherigen Fehler, eines ohne das andere machen
zu wollen. Landfriede und Cammergericht wurden
alſo vom Kaiſer Max durch Unterzeichnung der uͤber
beides entworfenen Ordnungen an einem Tage

(1495.
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[308/0342] IV. Neuere Zeit. Max I. 1493-1519. der Selbſthuͤlfe erſetzen, und uͤber Aufrechthaltung des Landfriedens mit Nachdruck wachen wuͤrde. Beides, Landfriede und Cammergericht, waren in der That unzertrennliche Dinge. So lange es einem jeden erlaubt war, ſich mit eignen Kraͤf- ten Recht zu ſchaffen, ſo war an keine Aufnahme irgend einer Gerichtsſtelle zu denken. Wer ſich auf ſeine Kraͤfte verlaßen kann, wird, wenn man ihm die Wahl laͤßt, immer lieber davon Gebrauch machen, als erſt die Frage: ob er auch Recht habe? auf die Entſcheidung eines Gerichts ankom- men laßen. Wo alſo Fauſtrecht gilt, da werden immer Gerichte muͤßig ſtehen. Fehlt es aber an Gerichten, oder ſind dieſe nicht in dem gehoͤrigen Anſehen, oder nicht mit der noͤthigen vollziehenden Gewalt verſehen; ſo haͤlt es ſchwer der Selbſt- huͤlfe zu wehren, weil doch Mittel zum Rechte zu gelangen einmal ſeyn muͤßen. Und wenn Selbſt- huͤlfe auch fuͤr Verbrechen erklaͤret wird, wer ſoll uͤber Beſtrafung des Verbrechens halten, wenn kein Gericht dazu in Ordnung iſt? Von allem dem enthielt die bisherige Teutſche Geſchichte die trifftigſten in Erfahrung beruhenden Beweiſe. Alle Bemuͤhungen das Unweſen des Fauſtrechts zu heben waren bisher vergeblich, ſo lange nicht zugleich das Gerichtsweſen auf beſſern Fuß kam. An letzteres war nicht zu denken, ſo lange Fauſtrecht galt. Endlich begriff man den bisherigen Fehler, eines ohne das andere machen zu wollen. Landfriede und Cammergericht wurden alſo vom Kaiſer Max durch Unterzeichnung der uͤber beides entworfenen Ordnungen an einem Tage (1495.

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/342>, abgerufen am 22.11.2024.