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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558.
wo nicht von dem Jahre 1521. an mit Begierde
aufgenommen wäre, was von Luthern zu sehen oder
zu hören war. Es bedurfte gewiß keiner obrig-
keitlichen Befehle oder Ermunterungen sowohl für
den gemeinen Mann als für Gelehrte und Vor-
nehme, um Luthers Schriften zu lesen, oder Vor-
träge, die nach seiner Lehre gebildet waren, zu hö-
ren. Nicht anders, als mit gewaltsamen Mitteln
konnten Leute davon zurückgehalten werden. Wo
Obrigkeiten ihre Unterthanen nur zulaßungsweise
gewähren ließen, war bald deren einmüthige Stim-
me für Luthern vereiniget. Die meisten Obrigkei-
ten durften aus Furcht vor Kaiser und Pabst oder
aus anderen Rücksichten nur kaum sich getrauen,
die Unterthanen gewähren zu laßen. Einige ver-
sagten es den Unterthanen durchaus, wenn sie dar-
um anhielten, ihnen nicht nur Luthers Schriften
zu lesen, sondern auch Prediger nach Luthers Lehre
zu gestatten. Hin und wieder ließ man es selbst
an gewaltsamen Zwangsmitteln dagegen nicht fehlen.


XIII.

Auf der andern Seite glaubten aber auch viele,
daß hier ein Fall einträte, wo man seinem Gewis-
sen zufolge und in der wichtigen Sache, die eines
jeden Menschen Verhältniß gegen Gott betreffe,
allenfalls Gott mehr als Menschen zu gehorchen
habe. In manchen Städten entwichen die Ein-
wohner an benachbarte Orte, um Gottes Wort,
wie sie sagten, lauter predigen zu hören. Man-
che Obrigkeiten wurden genöthiget, ihren Unter-
thanen solche Prediger zu gestatten. So weit war
es entfernt, daß die große Veränderung in der
Kirche, die sich jetzt immer mehr entwickelte, ihren
ersten Ursprung nur Teutschen Fürsten zu verdan-

ken

V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558.
wo nicht von dem Jahre 1521. an mit Begierde
aufgenommen waͤre, was von Luthern zu ſehen oder
zu hoͤren war. Es bedurfte gewiß keiner obrig-
keitlichen Befehle oder Ermunterungen ſowohl fuͤr
den gemeinen Mann als fuͤr Gelehrte und Vor-
nehme, um Luthers Schriften zu leſen, oder Vor-
traͤge, die nach ſeiner Lehre gebildet waren, zu hoͤ-
ren. Nicht anders, als mit gewaltſamen Mitteln
konnten Leute davon zuruͤckgehalten werden. Wo
Obrigkeiten ihre Unterthanen nur zulaßungsweiſe
gewaͤhren ließen, war bald deren einmuͤthige Stim-
me fuͤr Luthern vereiniget. Die meiſten Obrigkei-
ten durften aus Furcht vor Kaiſer und Pabſt oder
aus anderen Ruͤckſichten nur kaum ſich getrauen,
die Unterthanen gewaͤhren zu laßen. Einige ver-
ſagten es den Unterthanen durchaus, wenn ſie dar-
um anhielten, ihnen nicht nur Luthers Schriften
zu leſen, ſondern auch Prediger nach Luthers Lehre
zu geſtatten. Hin und wieder ließ man es ſelbſt
an gewaltſamen Zwangsmitteln dagegen nicht fehlen.


XIII.

Auf der andern Seite glaubten aber auch viele,
daß hier ein Fall eintraͤte, wo man ſeinem Gewiſ-
ſen zufolge und in der wichtigen Sache, die eines
jeden Menſchen Verhaͤltniß gegen Gott betreffe,
allenfalls Gott mehr als Menſchen zu gehorchen
habe. In manchen Staͤdten entwichen die Ein-
wohner an benachbarte Orte, um Gottes Wort,
wie ſie ſagten, lauter predigen zu hoͤren. Man-
che Obrigkeiten wurden genoͤthiget, ihren Unter-
thanen ſolche Prediger zu geſtatten. So weit war
es entfernt, daß die große Veraͤnderung in der
Kirche, die ſich jetzt immer mehr entwickelte, ihren
erſten Urſprung nur Teutſchen Fuͤrſten zu verdan-

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[362/0396] V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558. wo nicht von dem Jahre 1521. an mit Begierde aufgenommen waͤre, was von Luthern zu ſehen oder zu hoͤren war. Es bedurfte gewiß keiner obrig- keitlichen Befehle oder Ermunterungen ſowohl fuͤr den gemeinen Mann als fuͤr Gelehrte und Vor- nehme, um Luthers Schriften zu leſen, oder Vor- traͤge, die nach ſeiner Lehre gebildet waren, zu hoͤ- ren. Nicht anders, als mit gewaltſamen Mitteln konnten Leute davon zuruͤckgehalten werden. Wo Obrigkeiten ihre Unterthanen nur zulaßungsweiſe gewaͤhren ließen, war bald deren einmuͤthige Stim- me fuͤr Luthern vereiniget. Die meiſten Obrigkei- ten durften aus Furcht vor Kaiſer und Pabſt oder aus anderen Ruͤckſichten nur kaum ſich getrauen, die Unterthanen gewaͤhren zu laßen. Einige ver- ſagten es den Unterthanen durchaus, wenn ſie dar- um anhielten, ihnen nicht nur Luthers Schriften zu leſen, ſondern auch Prediger nach Luthers Lehre zu geſtatten. Hin und wieder ließ man es ſelbſt an gewaltſamen Zwangsmitteln dagegen nicht fehlen. Auf der andern Seite glaubten aber auch viele, daß hier ein Fall eintraͤte, wo man ſeinem Gewiſ- ſen zufolge und in der wichtigen Sache, die eines jeden Menſchen Verhaͤltniß gegen Gott betreffe, allenfalls Gott mehr als Menſchen zu gehorchen habe. In manchen Staͤdten entwichen die Ein- wohner an benachbarte Orte, um Gottes Wort, wie ſie ſagten, lauter predigen zu hoͤren. Man- che Obrigkeiten wurden genoͤthiget, ihren Unter- thanen ſolche Prediger zu geſtatten. So weit war es entfernt, daß die große Veraͤnderung in der Kirche, die ſich jetzt immer mehr entwickelte, ihren erſten Urſprung nur Teutſchen Fuͤrſten zu verdan- ken

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/396>, abgerufen am 22.11.2024.