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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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9) Aussicht wegen d. Churf. u. Jesuit.

Ihr Schulunterricht beschränkte sich meist aufV.
mechanische Kenntniß der Lateinischen Sprache

und
alles,
alles, was es nur angriff, erwarten sollen! -- --
Man hatte aber doch dabey eine Menge Sachen
vergessen mit in Anschlag zu bringen. Wird eine
solche Erziehung nicht zu einseitig, nicht dem In-
teresse dieses Corps, wo nicht gänzlich, doch mei-
stens angemessen seyn? Wird nicht das Interesse
des Staates darüber entweder vergessen, oder doch
ersterem untergeordnet werden? Werden einzelne
Glieder hinlängliche Freyheit haben, ohne welche
nichts oder wenig gedeiliches bey Wissenschaften zu
erwarten ist? Läuft der Staat nicht zuletzt Ge-
fahr, daß das gefährlichste Monopol just aus dem-
jenigen werde, was ihm am schätzbarsten seyn muß?
Und muß endlich, wenn man die Sache auch in
öconomischen Rücksichten betrachtet, derselbe nicht
allemal zehn Menschen ernähren, bis einer oder
der andere würkliche Dienste leistet? Wenn vol-
lends ein solches Corps Volksaufklärung nicht zu-
träglich für Religion oder seine übrigen Absichten
hält; wenn es einen gewissen Grad von Unwissen-
heit geflissentlich unterhält, und selbst auch in den
Wissenschaften höchstens so viel thut, als ihm nö-
thig ist, diejenigen, die um selbes unmittelbar
herum sind, zu übersehen; wenn die Mönchs-Mo-
ral und Anhänglichkeit an Ordensregeln und her-
gebrachte Maximen alle wahre Philosophie bey
ihm, und eben dadurch auch den Keim davon bey
seinen Zöglingen erstickt; wenn so gar Ordensre-
geln den einzelnen Mitgliedern vorschreiben, sich
nicht zu unterstehen, etwas neues und von den
übrigen verschiedenes zu lehren, gerade als hätten
die Vorgänger derselben bereits alles erschöpft;
wenn es mit dem Geiste zu herrschen behaftet ist,
und schon glaubt ein Unbild zu leiden, wenn es
nicht alles in allem ist; wenn es sich mehr sucht
fürchten als lieben zu machen; wenn es mehr durch
Nebenwege, als durch wahre Verdienste das Ver-
trauen des Publicums zu erhalten sucht; wenn es
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9) Ausſicht wegen d. Churf. u. Jeſuit.

Ihr Schulunterricht beſchraͤnkte ſich meiſt aufV.
mechaniſche Kenntniß der Lateiniſchen Sprache

und
alles,
alles, was es nur angriff, erwarten ſollen! — —
Man hatte aber doch dabey eine Menge Sachen
vergeſſen mit in Anſchlag zu bringen. Wird eine
ſolche Erziehung nicht zu einſeitig, nicht dem In-
tereſſe dieſes Corps, wo nicht gaͤnzlich, doch mei-
ſtens angemeſſen ſeyn? Wird nicht das Intereſſe
des Staates daruͤber entweder vergeſſen, oder doch
erſterem untergeordnet werden? Werden einzelne
Glieder hinlaͤngliche Freyheit haben, ohne welche
nichts oder wenig gedeiliches bey Wiſſenſchaften zu
erwarten iſt? Laͤuft der Staat nicht zuletzt Ge-
fahr, daß das gefaͤhrlichſte Monopol juſt aus dem-
jenigen werde, was ihm am ſchaͤtzbarſten ſeyn muß?
Und muß endlich, wenn man die Sache auch in
oͤconomiſchen Ruͤckſichten betrachtet, derſelbe nicht
allemal zehn Menſchen ernaͤhren, bis einer oder
der andere wuͤrkliche Dienſte leiſtet? Wenn vol-
lends ein ſolches Corps Volksaufklaͤrung nicht zu-
traͤglich fuͤr Religion oder ſeine uͤbrigen Abſichten
haͤlt; wenn es einen gewiſſen Grad von Unwiſſen-
heit gefliſſentlich unterhaͤlt, und ſelbſt auch in den
Wiſſenſchaften hoͤchſtens ſo viel thut, als ihm noͤ-
thig iſt, diejenigen, die um ſelbes unmittelbar
herum ſind, zu uͤberſehen; wenn die Moͤnchs-Mo-
ral und Anhaͤnglichkeit an Ordensregeln und her-
gebrachte Maximen alle wahre Philoſophie bey
ihm, und eben dadurch auch den Keim davon bey
ſeinen Zoͤglingen erſtickt; wenn ſo gar Ordensre-
geln den einzelnen Mitgliedern vorſchreiben, ſich
nicht zu unterſtehen, etwas neues und von den
uͤbrigen verſchiedenes zu lehren, gerade als haͤtten
die Vorgaͤnger derſelben bereits alles erſchoͤpft;
wenn es mit dem Geiſte zu herrſchen behaftet iſt,
und ſchon glaubt ein Unbild zu leiden, wenn es
nicht alles in allem iſt; wenn es ſich mehr ſucht
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[437/0471] 9) Ausſicht wegen d. Churf. u. Jeſuit. Ihr Schulunterricht beſchraͤnkte ſich meiſt auf mechaniſche Kenntniß der Lateiniſchen Sprache und (b) alles, V. (b) alles, was es nur angriff, erwarten ſollen! — — Man hatte aber doch dabey eine Menge Sachen vergeſſen mit in Anſchlag zu bringen. Wird eine ſolche Erziehung nicht zu einſeitig, nicht dem In- tereſſe dieſes Corps, wo nicht gaͤnzlich, doch mei- ſtens angemeſſen ſeyn? Wird nicht das Intereſſe des Staates daruͤber entweder vergeſſen, oder doch erſterem untergeordnet werden? Werden einzelne Glieder hinlaͤngliche Freyheit haben, ohne welche nichts oder wenig gedeiliches bey Wiſſenſchaften zu erwarten iſt? Laͤuft der Staat nicht zuletzt Ge- fahr, daß das gefaͤhrlichſte Monopol juſt aus dem- jenigen werde, was ihm am ſchaͤtzbarſten ſeyn muß? Und muß endlich, wenn man die Sache auch in oͤconomiſchen Ruͤckſichten betrachtet, derſelbe nicht allemal zehn Menſchen ernaͤhren, bis einer oder der andere wuͤrkliche Dienſte leiſtet? Wenn vol- lends ein ſolches Corps Volksaufklaͤrung nicht zu- traͤglich fuͤr Religion oder ſeine uͤbrigen Abſichten haͤlt; wenn es einen gewiſſen Grad von Unwiſſen- heit gefliſſentlich unterhaͤlt, und ſelbſt auch in den Wiſſenſchaften hoͤchſtens ſo viel thut, als ihm noͤ- thig iſt, diejenigen, die um ſelbes unmittelbar herum ſind, zu uͤberſehen; wenn die Moͤnchs-Mo- ral und Anhaͤnglichkeit an Ordensregeln und her- gebrachte Maximen alle wahre Philoſophie bey ihm, und eben dadurch auch den Keim davon bey ſeinen Zoͤglingen erſtickt; wenn ſo gar Ordensre- geln den einzelnen Mitgliedern vorſchreiben, ſich nicht zu unterſtehen, etwas neues und von den uͤbrigen verſchiedenes zu lehren, gerade als haͤtten die Vorgaͤnger derſelben bereits alles erſchoͤpft; wenn es mit dem Geiſte zu herrſchen behaftet iſt, und ſchon glaubt ein Unbild zu leiden, wenn es nicht alles in allem iſt; wenn es ſich mehr ſucht fuͤrchten als lieben zu machen; wenn es mehr durch Nebenwege, als durch wahre Verdienſte das Ver- trauen des Publicums zu erhalten ſucht; wenn es E e 3

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/471>, abgerufen am 10.05.2024.