Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pufendorf, Samuel von: Einleitung zur Sitten- und Staats-Lehre. Leipzig, 1691.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
Gesetze anbelanget/ die nicht GOTT/
sondern unsern Nechsten betreffen/ so
ist die Sache gleichfalls klar. Denn da
dürffte GOTT dem Menschen zu der
Zeit/ als er noch in der anerschaffenen
Vollkommenheit lebete/ nur schlechter
Dinges befohlen haben/ daß er seinen
Nechsten lieben solte/
worzu er oh-
ne dem von Natur inclinirete. Allein/
wie hätte ihm damals können verboten
werden/ nicht zu tödten/ zu der Zeit/
da der Tod noch keinen Menschen über-
fiele/ sindemal derselbe allererst durch die
Sünde in die Welt gekommen ist? Nun-
mehro aber/ und nach dem kläglichen
Sünden-Falle/ brauchet es des Verbo-
tes
mehr als zu sehr/ da/ an statt der Lie-
be/ ein solcher Haß und Feindseligkeit un-
ter denen Menschen eiugerissen ist/ daß
auch ihrer viel nicht allein Unschuldige/
sondern auch ihre besten Freunde und
Gutthäter/ aus blossen Neid/ um ihre
Wohlfahrt zu bringen/ und ihr vergäl-
letes und unruhiges Beginnen noch wol
mit dem Deck-Mantel eines guten Ge-
wissens zuverstellen/ kein Bedencken

tra-

Vorrede.
Geſetze anbelanget/ die nicht GOTT/
ſondern unſern Nechſten betreffen/ ſo
iſt die Sache gleichfalls klar. Denn da
dürffte GOTT dem Menſchen zu der
Zeit/ als er noch in der anerſchaffenen
Vollkommenheit lebete/ nur ſchlechter
Dinges befohlen haben/ daß er ſeinen
Nechſten lieben ſolte/
worzu er oh-
ne dem von Natur inclinirete. Allein/
wie haͤtte ihm damals koͤnnen verboten
werden/ nicht zu toͤdten/ zu der Zeit/
da der Tod noch keinen Menſchen uͤber-
fiele/ ſindemal derſelbe allererſt durch die
Suͤnde in die Welt gekommen iſt? Nun-
mehro aber/ und nach dem klaͤglichen
Suͤnden-Falle/ brauchet es des Verbo-
tes
mehr als zu ſehr/ da/ an ſtatt der Lie-
be/ ein ſolcher Haß und Feindſeligkeit un-
ter denen Menſchen eiugeriſſen iſt/ daß
auch ihrer viel nicht allein Unſchuldige/
ſondern auch ihre beſten Freunde und
Gutthaͤter/ aus bloſſen Neid/ um ihre
Wohlfahrt zu bringen/ und ihr vergaͤl-
letes und unruhiges Beginnen noch wol
mit dem Deck-Mantel eines guten Ge-
wiſſens zuverſtellen/ kein Bedencken

tra-
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vorrede.</hi></fw><lb/>
Ge&#x017F;etze anbelanget/ die nicht GOTT/<lb/>
&#x017F;ondern un&#x017F;ern Nech&#x017F;ten betreffen/ &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t die Sache gleichfalls klar. Denn da<lb/>
dürffte GOTT dem Men&#x017F;chen zu der<lb/>
Zeit/ als er noch in der aner&#x017F;chaffenen<lb/>
Vollkommenheit lebete/ nur &#x017F;chlechter<lb/>
Dinges befohlen haben/ <hi rendition="#fr">daß er &#x017F;einen<lb/>
Nech&#x017F;ten lieben &#x017F;olte/</hi> worzu er oh-<lb/>
ne dem von Natur <hi rendition="#aq">inclinire</hi>te. Allein/<lb/>
wie ha&#x0364;tte ihm damals ko&#x0364;nnen verboten<lb/>
werden/ <hi rendition="#fr">nicht zu to&#x0364;dten/</hi> zu der Zeit/<lb/>
da der Tod noch keinen Men&#x017F;chen u&#x0364;ber-<lb/>
fiele/ &#x017F;indemal der&#x017F;elbe allerer&#x017F;t durch die<lb/>
Su&#x0364;nde in die Welt gekommen i&#x017F;t? Nun-<lb/>
mehro aber/ und nach dem kla&#x0364;glichen<lb/>
Su&#x0364;nden-Falle/ brauchet es des <hi rendition="#fr">Verbo-<lb/>
tes</hi> mehr als zu &#x017F;ehr/ da/ an &#x017F;tatt der Lie-<lb/>
be/ ein &#x017F;olcher Haß und Feind&#x017F;eligkeit un-<lb/>
ter denen Men&#x017F;chen eiugeri&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t/ daß<lb/>
auch ihrer viel nicht allein Un&#x017F;chuldige/<lb/>
&#x017F;ondern auch ihre be&#x017F;ten Freunde und<lb/>
Guttha&#x0364;ter/ aus blo&#x017F;&#x017F;en Neid/ um ihre<lb/>
Wohlfahrt zu bringen/ und ihr verga&#x0364;l-<lb/>
letes und unruhiges Beginnen noch wol<lb/>
mit dem Deck-Mantel eines guten Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;ens zuver&#x017F;tellen/ kein Bedencken<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tra-</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0046] Vorrede. Geſetze anbelanget/ die nicht GOTT/ ſondern unſern Nechſten betreffen/ ſo iſt die Sache gleichfalls klar. Denn da dürffte GOTT dem Menſchen zu der Zeit/ als er noch in der anerſchaffenen Vollkommenheit lebete/ nur ſchlechter Dinges befohlen haben/ daß er ſeinen Nechſten lieben ſolte/ worzu er oh- ne dem von Natur inclinirete. Allein/ wie haͤtte ihm damals koͤnnen verboten werden/ nicht zu toͤdten/ zu der Zeit/ da der Tod noch keinen Menſchen uͤber- fiele/ ſindemal derſelbe allererſt durch die Suͤnde in die Welt gekommen iſt? Nun- mehro aber/ und nach dem klaͤglichen Suͤnden-Falle/ brauchet es des Verbo- tes mehr als zu ſehr/ da/ an ſtatt der Lie- be/ ein ſolcher Haß und Feindſeligkeit un- ter denen Menſchen eiugeriſſen iſt/ daß auch ihrer viel nicht allein Unſchuldige/ ſondern auch ihre beſten Freunde und Gutthaͤter/ aus bloſſen Neid/ um ihre Wohlfahrt zu bringen/ und ihr vergaͤl- letes und unruhiges Beginnen noch wol mit dem Deck-Mantel eines guten Ge- wiſſens zuverſtellen/ kein Bedencken tra-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pufendorf_einleitung_1691
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pufendorf_einleitung_1691/46
Zitationshilfe: Pufendorf, Samuel von: Einleitung zur Sitten- und Staats-Lehre. Leipzig, 1691, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pufendorf_einleitung_1691/46>, abgerufen am 22.12.2024.