Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.L.
Purtscheller Ammianus Marcellinus, Polybius, Tacitus über die Alpenbesassen, wie das Mittelalter, ja selbst die letztverflossenen Jahr- hunderte über die Gebirge dachten, bedarf hier keiner näheren Erörterung. Gewiss hätten auch unsere Vorfahren den Alpen den Tribut ihrer Bewunderung gezollt, wäre es ihnen vergönnt gewesen, mit derselben Bequemlichkeit und Sicherheit, wie dies heute geschehen kann, in die weltentrückten Hochthäler ein- zudringen. Dessenungeachtet hat die ältere Epoche eine stattliche Zahl Noch grössere Verdienste um die Alpenwelt als Scheuchzer War schon Haller, eine kräftig angelegte, sittlich gesunde L.
Purtscheller Ammianus Marcellinus, Polybius, Tacitus über die Alpenbesassen, wie das Mittelalter, ja selbst die letztverflossenen Jahr- hunderte über die Gebirge dachten, bedarf hier keiner näheren Erörterung. Gewiss hätten auch unsere Vorfahren den Alpen den Tribut ihrer Bewunderung gezollt, wäre es ihnen vergönnt gewesen, mit derselben Bequemlichkeit und Sicherheit, wie dies heute geschehen kann, in die weltentrückten Hochthäler ein- zudringen. Dessenungeachtet hat die ältere Epoche eine stattliche Zahl Noch grössere Verdienste um die Alpenwelt als Scheuchzer War schon Haller, eine kräftig angelegte, sittlich gesunde <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0002" n="96"/><fw place="top" type="header">L. Purtscheller<lb/></fw><hi rendition="#g">Ammianus Marcellinus, Polybius, Tacitus</hi> über die Alpen<lb/> besassen, wie das Mittelalter, ja selbst die letztverflossenen Jahr-<lb/> hunderte über die Gebirge dachten, bedarf hier keiner näheren<lb/> Erörterung. Gewiss hätten auch unsere Vorfahren den Alpen<lb/> den Tribut ihrer Bewunderung gezollt, wäre es ihnen vergönnt<lb/> gewesen, mit derselben Bequemlichkeit und Sicherheit, wie dies<lb/> heute geschehen kann, in die weltentrückten Hochthäler ein-<lb/> zudringen.</p><lb/> <p>Dessenungeachtet hat die ältere Epoche eine stattliche Zahl<lb/> von Männern aufzuweisen, die mit prophetischem Geiste den<lb/> Ruhm des Alpengebirges erschauten. Zu diesen Männern gehören<lb/> die zwei grossen Vertreter der Renaissance, <hi rendition="#g">Dante</hi> und <hi rendition="#g">Petrarca</hi>,<lb/> der universelle Geist <hi rendition="#g">Leonardo’s da Vinci</hi> und vor Allem die<lb/> berühmten Schweizer Naturforscher, <hi rendition="#g">Konrad Gessner</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Johann Jakob Scheuchzer</hi>. Gessner und sein Zeitgenosse<lb/><hi rendition="#g">Josias Simler</hi>, beide dem XVI. Jahrhunderte angehörig, empfanden<lb/> und schrieben bereits im Sinne unserer heutigen Zeit, und<lb/> Scheuchzer unternahm es 1723, die Früchte seiner Alpenreisen in<lb/> einem vierbändigen Werke „Itinera alpina“ niederzulegen. Wie<lb/> Gessner, besass auch Scheuchzer ein lebhaftes Verständniss für<lb/> die Schönheit der Hochgebirgsnatur, er bekennt unumwunden,<lb/> „an dergleichen wilden und einsamen Orten grössere Belustigung<lb/> und mehr Eifer zur Aufmerkung zu spüren, als bei den Füssen<lb/> des grossen Aristoteles, Epikur und Cartesius.“</p><lb/> <p>Noch grössere Verdienste um die Alpenwelt als Scheuchzer<lb/> erwarb sich ihr erhabenster Sänger, <hi rendition="#g">Albrecht von Haller</hi>. Wie<lb/> die Donnerwürfe des Föhns die Hochthäler durchstürmen und<lb/> ein gewaltiges Echo in den Bergen wachrufen, so fand auch<lb/> Haller’s Dichtung einen mächtigen Widerhall in den Herzen seiner<lb/> Zeitgenossen. Wohl Niemand hat die Bergeswelt in reinerem<lb/> dichterischen Aufschwunge, Niemand ihren Einfluss auf die Sitte<lb/> und Denkweise ihrer Bewohner mit grösserer idealer Begeisterung<lb/> geschildert, als der zwanzigjährige Doctor medicinae, dem die in<lb/> Luxus und Genuss aufwachsenden Städter als ein „verachtetes<lb/> Volk“ erschienen. Diese Dichtung, in der die Kraft, die Klarheit<lb/> und Bilderfülle des Haller’schen Talentes in bewunderungswürdiger<lb/> Weise hervortreten, war der lebendige Ausdruck jenes Natur-<lb/> gefühles, das lange Zeit in der Kunstform des Idylls, des Schäfer-<lb/> romans und des Lehrgedichtes die Gemüther beherrschte.</p><lb/> <p>War schon Haller, eine kräftig angelegte, sittlich gesunde<lb/> Individualität, bei seiner Verehrung für die Natur im Gegensatze<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0002]
L. Purtscheller
Ammianus Marcellinus, Polybius, Tacitus über die Alpen
besassen, wie das Mittelalter, ja selbst die letztverflossenen Jahr-
hunderte über die Gebirge dachten, bedarf hier keiner näheren
Erörterung. Gewiss hätten auch unsere Vorfahren den Alpen
den Tribut ihrer Bewunderung gezollt, wäre es ihnen vergönnt
gewesen, mit derselben Bequemlichkeit und Sicherheit, wie dies
heute geschehen kann, in die weltentrückten Hochthäler ein-
zudringen.
Dessenungeachtet hat die ältere Epoche eine stattliche Zahl
von Männern aufzuweisen, die mit prophetischem Geiste den
Ruhm des Alpengebirges erschauten. Zu diesen Männern gehören
die zwei grossen Vertreter der Renaissance, Dante und Petrarca,
der universelle Geist Leonardo’s da Vinci und vor Allem die
berühmten Schweizer Naturforscher, Konrad Gessner und
Johann Jakob Scheuchzer. Gessner und sein Zeitgenosse
Josias Simler, beide dem XVI. Jahrhunderte angehörig, empfanden
und schrieben bereits im Sinne unserer heutigen Zeit, und
Scheuchzer unternahm es 1723, die Früchte seiner Alpenreisen in
einem vierbändigen Werke „Itinera alpina“ niederzulegen. Wie
Gessner, besass auch Scheuchzer ein lebhaftes Verständniss für
die Schönheit der Hochgebirgsnatur, er bekennt unumwunden,
„an dergleichen wilden und einsamen Orten grössere Belustigung
und mehr Eifer zur Aufmerkung zu spüren, als bei den Füssen
des grossen Aristoteles, Epikur und Cartesius.“
Noch grössere Verdienste um die Alpenwelt als Scheuchzer
erwarb sich ihr erhabenster Sänger, Albrecht von Haller. Wie
die Donnerwürfe des Föhns die Hochthäler durchstürmen und
ein gewaltiges Echo in den Bergen wachrufen, so fand auch
Haller’s Dichtung einen mächtigen Widerhall in den Herzen seiner
Zeitgenossen. Wohl Niemand hat die Bergeswelt in reinerem
dichterischen Aufschwunge, Niemand ihren Einfluss auf die Sitte
und Denkweise ihrer Bewohner mit grösserer idealer Begeisterung
geschildert, als der zwanzigjährige Doctor medicinae, dem die in
Luxus und Genuss aufwachsenden Städter als ein „verachtetes
Volk“ erschienen. Diese Dichtung, in der die Kraft, die Klarheit
und Bilderfülle des Haller’schen Talentes in bewunderungswürdiger
Weise hervortreten, war der lebendige Ausdruck jenes Natur-
gefühles, das lange Zeit in der Kunstform des Idylls, des Schäfer-
romans und des Lehrgedichtes die Gemüther beherrschte.
War schon Haller, eine kräftig angelegte, sittlich gesunde
Individualität, bei seiner Verehrung für die Natur im Gegensatze
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Gloning, Heike Müller, Bastian Schmidt, Sonja Bayer: Texterfassung und Korrekturen
(2013-05-07T06:54:31Z)
Hannah Sophia Glaum: Konversion nach XML
(2013-05-07T06:54:31Z)
Melanie Henss: Nachkorrekturen
(2013-05-07T06:54:31Z)
ANNO – Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-05-07T06:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |