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Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

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L. Purtscheller.
laben, um mit uns Antheil zu nehmen an dem Hochgenusse des
Erhabenen, Ewigen und Grossen.

Und wie herrlich gestaltet sich nicht schon eine Fahrt nach
dem Alpenlande! Hinter uns liegt die weite, fruchtschwere Ebene,
das burgenreiche, eposverklärte Stromthal; unsere Blicke aber sind
nach Süden gerichtet, dem Lande der Verheissung. Endlich zer-
theilen sich die sanft geschwungenen Hügelwellen, durch blau-
purpurne Thäler erstrahlt das Eis der ewigen, hochgethürmten
Alpen, winkt die vorgeschobene Blockgallerie der grossen Kalk-
kolosse, des Hochlandes wunderbarer, anmuthsvoller Gruss!

Mehr als ein anderes Objekt der sinnlichen Anschauung
wirken die Gebirge durch ihre Masse, durch ihre stete Grösse auf
unsere Einbildungskraft; sie sind das älteste Denkmal der Materie,
die gewaltigsten Zeugen einer früheren Epoche der Erdbildung;
das Polarlicht, wie die scheitelrechte Sonne des Aequators hat
ihnen geleuchtet.

Die Alpen zu kennen gilt heutzutage als ein Postulat der
allgemeinen Bildung. Aber die Bergeswelt regt nicht nur die
Gedanken an, sondern auch unser Empfindungsleben. Den Berges-
riesen gegenüber, die alle Wandelungen der Zeit in souveräner
Ruhe überdauern, fühlen wir so recht die Hinfälligkeit, die Leere,
die Bedeutungslosigkeit aller menschlichen Dinge, wir ahnen die
göttliche Naturseele und die lebendigen Kräfte der Elemente;
und des Erdengeistes eherne Gewalten, sie steigen vor uns auf,
wie des Pantheons urkräftige Weltsymbole. Die grossen Probleme,
welche die Menschheit seit ihrer Kindheit beschäftigen, Ursprung,
Bau, Leben und Zukunft der Erde, wie auch unser eigenes
Geschick, treten hier unvermittelt vor unsere Sinne und unser
Gemüth, und unser Geist bewegt sich in der Ideenwelt des Pla-
tonischen Genius.

Gedanken und Empfindungen dieser Art werden Jeden über-
kommen, der den Zauber der Hochgebirgsnatur auf sich ein-
wirken lässt. Und dieser Hochlandszauber, er kann berauschen,
ganz anders berauschen, als der frisch gekelterte Most. An die
verkörperte Anmuth, die über dem eisigen Elemente schwebt,
knüpfen sich jene tapferen Thaten und stolzen Triumphe, an denen
der flammende Blick und die plastische Musik der Körperbewegung
gleich grossen Antheil haben.

Des Hochgebirges kunstvoller Bau, seine Schwierigkeiten
und Gefahren fordern zu einem Wettstreite mit ihm auf, es gilt
zu zeigen, was das Uebermaass an Civilisation, was städtische

L. Purtscheller.
laben, um mit uns Antheil zu nehmen an dem Hochgenusse des
Erhabenen, Ewigen und Grossen.

Und wie herrlich gestaltet sich nicht schon eine Fahrt nach
dem Alpenlande! Hinter uns liegt die weite, fruchtschwere Ebene,
das burgenreiche, eposverklärte Stromthal; unsere Blicke aber sind
nach Süden gerichtet, dem Lande der Verheissung. Endlich zer-
theilen sich die sanft geschwungenen Hügelwellen, durch blau-
purpurne Thäler erstrahlt das Eis der ewigen, hochgethürmten
Alpen, winkt die vorgeschobene Blockgallerie der grossen Kalk-
kolosse, des Hochlandes wunderbarer, anmuthsvoller Gruss!

Mehr als ein anderes Objekt der sinnlichen Anschauung
wirken die Gebirge durch ihre Masse, durch ihre stete Grösse auf
unsere Einbildungskraft; sie sind das älteste Denkmal der Materie,
die gewaltigsten Zeugen einer früheren Epoche der Erdbildung;
das Polarlicht, wie die scheitelrechte Sonne des Aequators hat
ihnen geleuchtet.

Die Alpen zu kennen gilt heutzutage als ein Postulat der
allgemeinen Bildung. Aber die Bergeswelt regt nicht nur die
Gedanken an, sondern auch unser Empfindungsleben. Den Berges-
riesen gegenüber, die alle Wandelungen der Zeit in souveräner
Ruhe überdauern, fühlen wir so recht die Hinfälligkeit, die Leere,
die Bedeutungslosigkeit aller menschlichen Dinge, wir ahnen die
göttliche Naturseele und die lebendigen Kräfte der Elemente;
und des Erdengeistes eherne Gewalten, sie steigen vor uns auf,
wie des Pantheons urkräftige Weltsymbole. Die grossen Probleme,
welche die Menschheit seit ihrer Kindheit beschäftigen, Ursprung,
Bau, Leben und Zukunft der Erde, wie auch unser eigenes
Geschick, treten hier unvermittelt vor unsere Sinne und unser
Gemüth, und unser Geist bewegt sich in der Ideenwelt des Pla-
tonischen Genius.

Gedanken und Empfindungen dieser Art werden Jeden über-
kommen, der den Zauber der Hochgebirgsnatur auf sich ein-
wirken lässt. Und dieser Hochlandszauber, er kann berauschen,
ganz anders berauschen, als der frisch gekelterte Most. An die
verkörperte Anmuth, die über dem eisigen Elemente schwebt,
knüpfen sich jene tapferen Thaten und stolzen Triumphe, an denen
der flammende Blick und die plastische Musik der Körperbewegung
gleich grossen Antheil haben.

Des Hochgebirges kunstvoller Bau, seine Schwierigkeiten
und Gefahren fordern zu einem Wettstreite mit ihm auf, es gilt
zu zeigen, was das Uebermaass an Civilisation, was städtische

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[116/0022] L. Purtscheller. laben, um mit uns Antheil zu nehmen an dem Hochgenusse des Erhabenen, Ewigen und Grossen. Und wie herrlich gestaltet sich nicht schon eine Fahrt nach dem Alpenlande! Hinter uns liegt die weite, fruchtschwere Ebene, das burgenreiche, eposverklärte Stromthal; unsere Blicke aber sind nach Süden gerichtet, dem Lande der Verheissung. Endlich zer- theilen sich die sanft geschwungenen Hügelwellen, durch blau- purpurne Thäler erstrahlt das Eis der ewigen, hochgethürmten Alpen, winkt die vorgeschobene Blockgallerie der grossen Kalk- kolosse, des Hochlandes wunderbarer, anmuthsvoller Gruss! Mehr als ein anderes Objekt der sinnlichen Anschauung wirken die Gebirge durch ihre Masse, durch ihre stete Grösse auf unsere Einbildungskraft; sie sind das älteste Denkmal der Materie, die gewaltigsten Zeugen einer früheren Epoche der Erdbildung; das Polarlicht, wie die scheitelrechte Sonne des Aequators hat ihnen geleuchtet. Die Alpen zu kennen gilt heutzutage als ein Postulat der allgemeinen Bildung. Aber die Bergeswelt regt nicht nur die Gedanken an, sondern auch unser Empfindungsleben. Den Berges- riesen gegenüber, die alle Wandelungen der Zeit in souveräner Ruhe überdauern, fühlen wir so recht die Hinfälligkeit, die Leere, die Bedeutungslosigkeit aller menschlichen Dinge, wir ahnen die göttliche Naturseele und die lebendigen Kräfte der Elemente; und des Erdengeistes eherne Gewalten, sie steigen vor uns auf, wie des Pantheons urkräftige Weltsymbole. Die grossen Probleme, welche die Menschheit seit ihrer Kindheit beschäftigen, Ursprung, Bau, Leben und Zukunft der Erde, wie auch unser eigenes Geschick, treten hier unvermittelt vor unsere Sinne und unser Gemüth, und unser Geist bewegt sich in der Ideenwelt des Pla- tonischen Genius. Gedanken und Empfindungen dieser Art werden Jeden über- kommen, der den Zauber der Hochgebirgsnatur auf sich ein- wirken lässt. Und dieser Hochlandszauber, er kann berauschen, ganz anders berauschen, als der frisch gekelterte Most. An die verkörperte Anmuth, die über dem eisigen Elemente schwebt, knüpfen sich jene tapferen Thaten und stolzen Triumphe, an denen der flammende Blick und die plastische Musik der Körperbewegung gleich grossen Antheil haben. Des Hochgebirges kunstvoller Bau, seine Schwierigkeiten und Gefahren fordern zu einem Wettstreite mit ihm auf, es gilt zu zeigen, was das Uebermaass an Civilisation, was städtische

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Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/22>, abgerufen am 21.11.2024.