Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus. mässige und
häufige Erscheinung, so dass auf sie bei Betretenvon Schneegipfeln und Firnschneiden zu achten ist. Man über- zeugt sich von dem Vorhandensein und der Ausdehnung einer Wächte, wenn man von einer Knickstelle des Grates aus dessen Verlauf untersucht. Eine Schneewächte soll unter keinen Umständen betreten werden, selbst auf die Gefahr hin, dass man den Gipfel gar nicht oder erst nach langer, mühsamer Traversierung erreicht. Dennoch wird oft - und selbst von den tüchtigsten Führern - gegen diese Regel verstossen, im Vertrauen auf das Glück, das wir auf den Bergen nie ganz entbehren können. Ueber die Aus- dehnung der Schneewächten kann sich selbst ein erfahrener Führer täuschen. Wir glauben auf sicherem Boden zu stehen, während der Fuss auf einem phantastischen, völlig ausgehöhlten Gebilde ruht, das jeden Augenblick zusammenbrechen kann. Die alpine Chronik verzeichnet eine Reihe von Unglücksfällen, die durch das Abbrechen von Schneewächten verursacht wurden. Der Lyskamm, das Gabelhorn, die Glocknerwand sind berüchtigt wegen ihrer Schneeüberhänge, und mancher Hochgipfel kann wegen der Wächte nicht völlig erklettert werden. Eine Gesellschaft, die sich an der Ansatzstelle der Wächte auf fester Schneeunter- lage für sicher hält, kann sich täuschen, da die Wächte nach ein- wärts abbrechen und ein grosses Stück der nicht überhängenden Schneemasse mitreissen kann. Selbst wenn man am Seil gehalten wird, ist es nicht räthlich, auf eine Wächte zu treten, da der Ge- stürzte, zwischen den sich ablösenden Schneemassen eingeklemmt, auch Diejenigen mit fortreissen könnte, die mit ihm durch das Seil verknüpft sind. Einer besonderen Beliebtheit erfreuen sich in neuerer Zeit Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus. mässige und
häufige Erscheinung, so dass auf sie bei Betretenvon Schneegipfeln und Firnschneiden zu achten ist. Man über- zeugt sich von dem Vorhandensein und der Ausdehnung einer Wächte, wenn man von einer Knickstelle des Grates aus dessen Verlauf untersucht. Eine Schneewächte soll unter keinen Umständen betreten werden, selbst auf die Gefahr hin, dass man den Gipfel gar nicht oder erst nach langer, mühsamer Traversierung erreicht. Dennoch wird oft – und selbst von den tüchtigsten Führern – gegen diese Regel verstossen, im Vertrauen auf das Glück, das wir auf den Bergen nie ganz entbehren können. Ueber die Aus- dehnung der Schneewächten kann sich selbst ein erfahrener Führer täuschen. Wir glauben auf sicherem Boden zu stehen, während der Fuss auf einem phantastischen, völlig ausgehöhlten Gebilde ruht, das jeden Augenblick zusammenbrechen kann. Die alpine Chronik verzeichnet eine Reihe von Unglücksfällen, die durch das Abbrechen von Schneewächten verursacht wurden. Der Lyskamm, das Gabelhorn, die Glocknerwand sind berüchtigt wegen ihrer Schneeüberhänge, und mancher Hochgipfel kann wegen der Wächte nicht völlig erklettert werden. Eine Gesellschaft, die sich an der Ansatzstelle der Wächte auf fester Schneeunter- lage für sicher hält, kann sich täuschen, da die Wächte nach ein- wärts abbrechen und ein grosses Stück der nicht überhängenden Schneemasse mitreissen kann. Selbst wenn man am Seil gehalten wird, ist es nicht räthlich, auf eine Wächte zu treten, da der Ge- stürzte, zwischen den sich ablösenden Schneemassen eingeklemmt, auch Diejenigen mit fortreissen könnte, die mit ihm durch das Seil verknüpft sind. Einer besonderen Beliebtheit erfreuen sich in neuerer Zeit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0075" n="169"/><fw place="top" type="header">Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.<lb/></fw>mässige und häufige Erscheinung, so dass auf sie bei Betreten<lb/> von Schneegipfeln und Firnschneiden zu achten ist. Man über-<lb/> zeugt sich von dem Vorhandensein und der Ausdehnung einer<lb/> Wächte, wenn man von einer Knickstelle des Grates aus dessen<lb/> Verlauf untersucht. Eine Schneewächte soll unter keinen Umständen<lb/> betreten werden, selbst auf die Gefahr hin, dass man den Gipfel<lb/> gar nicht oder erst nach langer, mühsamer Traversierung erreicht.<lb/> Dennoch wird oft – und selbst von den tüchtigsten Führern –<lb/> gegen diese Regel verstossen, im Vertrauen auf das Glück, das<lb/> wir auf den Bergen nie ganz entbehren können. Ueber die Aus-<lb/> dehnung der Schneewächten kann sich selbst ein erfahrener<lb/> Führer täuschen. Wir glauben auf sicherem Boden zu stehen,<lb/> während der Fuss auf einem phantastischen, völlig ausgehöhlten<lb/> Gebilde ruht, das jeden Augenblick zusammenbrechen kann.<lb/> Die alpine Chronik verzeichnet eine Reihe von Unglücksfällen, die<lb/> durch das Abbrechen von Schneewächten verursacht wurden.<lb/> Der Lyskamm, das Gabelhorn, die Glocknerwand sind berüchtigt<lb/> wegen ihrer Schneeüberhänge, und mancher Hochgipfel kann<lb/> wegen der Wächte nicht völlig erklettert werden. Eine Gesellschaft,<lb/> die sich an der Ansatzstelle der Wächte auf fester Schneeunter-<lb/> lage für sicher hält, kann sich täuschen, da die Wächte nach ein-<lb/> wärts abbrechen und ein grosses Stück der nicht überhängenden<lb/> Schneemasse mitreissen kann. Selbst wenn man am Seil gehalten<lb/> wird, ist es nicht räthlich, auf eine Wächte zu treten, da der Ge-<lb/> stürzte, zwischen den sich ablösenden Schneemassen eingeklemmt,<lb/> auch Diejenigen mit fortreissen könnte, die mit ihm durch das<lb/> Seil verknüpft sind.</p><lb/> <p>Einer besonderen Beliebtheit erfreuen sich in neuerer Zeit<lb/> die Grat- und kombinierten Gipfeltouren, ein Zweig der Hoch-<lb/> touristik, der an die Ausdauer, Gewandtheit und Bergerfahrung<lb/> des Bergsteigers bedeutende Anforderungen stellt. Wenn auch<lb/> bei Grat- und Gipfelwanderungen der sportliche Zweck stark<lb/> hervortritt, so bieten sie doch, ausser einer genauen, allseitigen<lb/> Kenntniss ganzer Gebirgsgruppen, eine reiche Fülle grossartiger<lb/> Eindrücke und ästhetischer Genüsse, die bei einer einzelnen<lb/> Gipfelbesteigung meist allzu kurz und flüchtig auf uns einwirken.<lb/> Grat- und kombinierte Gipfeltouren stehen untereinander in enger<lb/> Verbindung, sodass in der Regel jede Gratwanderung auch eine<lb/> Gipfeltour ist. Ihrer Natur nach sind diese Wanderungen ent-<lb/> weder reine Fels- oder Gletschertouren, oder eine Verbindung<lb/> beider; sie lassen sich umso leichter bewerkstelligen, je niedriger<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [169/0075]
Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.
mässige und häufige Erscheinung, so dass auf sie bei Betreten
von Schneegipfeln und Firnschneiden zu achten ist. Man über-
zeugt sich von dem Vorhandensein und der Ausdehnung einer
Wächte, wenn man von einer Knickstelle des Grates aus dessen
Verlauf untersucht. Eine Schneewächte soll unter keinen Umständen
betreten werden, selbst auf die Gefahr hin, dass man den Gipfel
gar nicht oder erst nach langer, mühsamer Traversierung erreicht.
Dennoch wird oft – und selbst von den tüchtigsten Führern –
gegen diese Regel verstossen, im Vertrauen auf das Glück, das
wir auf den Bergen nie ganz entbehren können. Ueber die Aus-
dehnung der Schneewächten kann sich selbst ein erfahrener
Führer täuschen. Wir glauben auf sicherem Boden zu stehen,
während der Fuss auf einem phantastischen, völlig ausgehöhlten
Gebilde ruht, das jeden Augenblick zusammenbrechen kann.
Die alpine Chronik verzeichnet eine Reihe von Unglücksfällen, die
durch das Abbrechen von Schneewächten verursacht wurden.
Der Lyskamm, das Gabelhorn, die Glocknerwand sind berüchtigt
wegen ihrer Schneeüberhänge, und mancher Hochgipfel kann
wegen der Wächte nicht völlig erklettert werden. Eine Gesellschaft,
die sich an der Ansatzstelle der Wächte auf fester Schneeunter-
lage für sicher hält, kann sich täuschen, da die Wächte nach ein-
wärts abbrechen und ein grosses Stück der nicht überhängenden
Schneemasse mitreissen kann. Selbst wenn man am Seil gehalten
wird, ist es nicht räthlich, auf eine Wächte zu treten, da der Ge-
stürzte, zwischen den sich ablösenden Schneemassen eingeklemmt,
auch Diejenigen mit fortreissen könnte, die mit ihm durch das
Seil verknüpft sind.
Einer besonderen Beliebtheit erfreuen sich in neuerer Zeit
die Grat- und kombinierten Gipfeltouren, ein Zweig der Hoch-
touristik, der an die Ausdauer, Gewandtheit und Bergerfahrung
des Bergsteigers bedeutende Anforderungen stellt. Wenn auch
bei Grat- und Gipfelwanderungen der sportliche Zweck stark
hervortritt, so bieten sie doch, ausser einer genauen, allseitigen
Kenntniss ganzer Gebirgsgruppen, eine reiche Fülle grossartiger
Eindrücke und ästhetischer Genüsse, die bei einer einzelnen
Gipfelbesteigung meist allzu kurz und flüchtig auf uns einwirken.
Grat- und kombinierte Gipfeltouren stehen untereinander in enger
Verbindung, sodass in der Regel jede Gratwanderung auch eine
Gipfeltour ist. Ihrer Natur nach sind diese Wanderungen ent-
weder reine Fels- oder Gletschertouren, oder eine Verbindung
beider; sie lassen sich umso leichter bewerkstelligen, je niedriger
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Gloning, Heike Müller, Bastian Schmidt, Sonja Bayer: Texterfassung und Korrekturen
(2013-05-07T06:54:31Z)
Hannah Sophia Glaum: Konversion nach XML
(2013-05-07T06:54:31Z)
Melanie Henss: Nachkorrekturen
(2013-05-07T06:54:31Z)
ANNO – Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-05-07T06:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |